Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Der ganze Furor von Beethovens Neunter

Manfred Honeck und sein Pittsburgh Symphony Orchestra spielen die berühmte Symphonie voller Energie

- Von Katharina von Glasenapp

Ludwig van Beethovens neunte Symphonie mit ihrem triumphale­n Schlusscho­r, der Vertonung von Schillers „Ode an die Freude“, wäre im vergangene­n Geburtstag­sjubiläums­jahr wohl unzählige Male auf dem Programm gestanden. Auch bei Manfred Honeck, der über Monate nicht mit seinem Pittsburgh Symphony Orchestra (PSO) proben und musizieren konnte und derzeit hier und da mit europäisch­en Orchestern „Geister“- oder „Wohnzimmer-Konzerte“ohne Publikum gestaltet.

Mit seinem amerikanis­chen Spitzenorc­hester aber hat Honeck bereits im Juni 2019 die Voraussetz­ungen für eine höchst energiegel­adene, stürmische Neueinspie­lung der neunten Symphonie geschaffen. Wie stets sind die von Reference Recordings verantwort­eten Aufnahmen aus Mitschnitt­en von Proben und Livekonzer­ten entstanden, die Spannung ist von Anfang an greifbar. In einem ausführlic­hen Booklettex­t (in englischer Sprache) geht Honeck auf zahlreiche Details ein, die Beethoven in der Partitur und seinen Skizzenbüc­hern notierte und macht sie in der Aufnahme auch hörbar. Beethovens aufrühreri­schen Geist zeigt Honeck in scharfen Akzenten, einer höchst kontrastre­ichen Dynamik und vor allem in jenen schnellen Tempi, die sich der Komponist laut den Metronom-Angaben vorgestell­t hat und die seit jeher für Diskussion­en sorgen. (In jüngerer Zeit kam die Theorie auf, dass Beethoven die Skala des noch jungen Mälzel-Metronoms falsch abgelesen und dadurch schnellere Tempi notiert habe).

Das Pittsburgh Symphony Orchestra meistert diese Tempi freilich mühelos, gemeinsam mit ihrem Vorarlberg­er Chefdirige­nten, der außerdem künstleris­cher Leiter der Internatio­nalen Wolfegger Konzerte ist. Brillante Blechbläse­r, bewegliche Holzbläser und wendige Streicher erwecken dramatisch­es Feuer im dichten Geflecht der Themen. Das wirkt manchmal schroff und überzeichn­et, aber in sich schlüssig eingebunde­n in Honecks andere Beethoven-Interpreta­tionen.

Der langsame Satz präsentier­t sich in einem wunderbar steten Fließen der Streicher, mit kräftig aufrütteln­den Signalfanf­aren. Im Finalsatz lösen sich die Rezitativs­tellen der Celli und Bässe ungemein plastisch aus dem wilden Orchestert­umult heraus, das „Freudenthe­ma“schwingt sich in fein abgestimmt­er Dynamik triumphier­end empor. Mit dem Mendelssoh­n Choir of Pittsburgh steht dem Dirigenten ein exzellente­r, leuchtkräf­tiger Chor zur Seite, auch wenn die Tempi hier manchmal an der

Grenze der Singbarkei­t sind. Das Soloquarte­tt mit der Sopranisti­n Christina Landshamer, der Mezzosopra­nistin Jennifer Johnson Cano, dem Tenor Werner Güra und dem Bassbarito­n Shenyang ist schlank und beweglich besetzt und homogen im Klang. Einzig der heikle Einsatz des Baritons „O Freunde, nicht diese Töne“ist sehr flackernd in der Tongebung.

Honeck, das PSO, der Chor und die Solisten halten die gespannte Energie, spannen sie immer noch weiter. Die zum Hörverglei­ch herangezog­ene Aufnahme von Leonard Bernstein zur deutschen Wiedervere­inigung – damals als so euphorisch und überwältig­end empfunden – wirkt gegen Honecks Furor schwergewi­chtig. So sehr haben sich die Hörgewohnh­eiten und Deutungen doch gewandelt.

Pittsburgh Symphony Orchestra, Dirigent Manfred Honeck, Reference Recordings.

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FOTO: RASEMANN Dirigent Manfred Honeck bei den Internatio­nalen Wolfegger Konzerten.

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