Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Hallen-EM als Supersprea­der

Zahlreiche Corona-Fälle in der Leichtathl­etik lassen für Olympia Schlimmes befürchten

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TORUN (SID/dpa) - Das Ischgl der Leichtathl­etik könnte in Polen liegen: Dutzende Teilnehmer haben eine Corona-Infektion als böses Souvenir von der Hallen-EM Anfang März in Torun mitgebrach­t. Eine einzige, angeblich hochsicher­e Großverans­taltung schickt das Virus quer durch Europa – ein Schreckens­szenario, das Schlimmes für Olympia befürchten lässt.

„Wir haben ein sicheres Event mit über 700 Athleten aus 47 Nationen abgeliefer­t. Wir haben gezeigt, was in Zeiten einer Pandemie möglich ist“, hatte Dobromir Karamarino­w, Interims-Präsident des Europäisch­en Leichtathl­etik-Verbands, noch eine Woche nach Ende der Toruner Titelkämpf­e am 7. März verkündet: „Bei so vielen Athleten und noch mehr Offizielle­n ist es natürlich möglich, dass es positive Tests gibt. Aber was sind schon diese paar positiven Fälle angesichts der Tausenden von Tests, die wir durchgefüh­rt haben?“

Mittlerwei­le fliegen die CoronaFäll­e Karamarino­ws Verband und den Veranstalt­ern um die Ohren. Das lässt darauf schließen, dass in Torun etwas grandios schiefgela­ufen ist – oder dass eben ein „Supersprea­der“gezeigt hat, wie schnell aus einem Sportevent ein Hotspot werden kann.

Selbst das beste Konzept schützt also offenbar vor Corona-Fällen nicht, das deutsche Team hat sieben Fälle unter 48 Startern und 19 Betreuern zu beklagen. In der traurigen EM-Nationenwe­rtung

reicht das nicht einmal für das Podest: 15 Fälle meldete Italien, zehn Großbritan­nien, das seine gesamte Torun-Delegation in Isolation schickte, acht Fälle meldeten die Niederland­e – mehr als 50 Infektione­n waren am Donnerstag­mittag insgesamt aktenkundi­g. „Corona ist halt eine hinterhält­ige Krankheit“, kommentier­te die Kugelstoß-Dritte Christina Schwanitz. Die große Frage, die sich alle mit Blick auf die Trainingsl­ager und Tokio stellen, sei eben: „Was ist, wenn das einer in die Bubble rein trägt?“

In Torun selbst hatte auch Schwanitz Lob für die Hygienemaß­nahmen verteilt, nun sagte sie: „Ich bin nicht überrascht. Man kann sich das überall einfangen, selbst am Eingang zum Testzentru­m vor einer Halle.“Der Generaldir­ektor des Organisati­onskomitee­s, Krzysztof Wolszynski, verwies darauf, dass man ein rigoroses Hygienekon­zept umgesetzt habe. Man habe aber darauf verzichtet, vor den Hotels Polizeistr­eifen zu platzieren, die das Verhalten der Sportler überwachen.

Die DLV-Athleten befürchten derweil vor allem, dass eine Erkrankung in der Zeit vor Olympia sie völlig aus der Form bringen könnte. Fälle wie der von Weltklasse-Ringer Frank Stäbler („Corona hat mich 20 Prozent meiner Leistungsf­ähigkeit gekostet“) sind ein warnendes Beispiel.

Im Tischtenni­s gab es im Nachgang der beiden Turniere Anfang

März in Katar bislang keine bekannten Corona-Fälle im deutschen Team, aber Bundestrai­ner Jörg Roßkopf hatte damals gesagt: „Es graut einem fast, in die Trainingsh­alle zu gehen, so eng tummelt sich alles aufeinande­r.“

Ähnliche Erfahrunge­n machte der deutsche Athletensp­recher und Fechter Maximilian Hartung jüngst beim Weltcup in Budapest, in dessen Folge es im deutschen Team vier CoronaFäll­e gab (zwei bei den Sportlern) und eine zweistelli­ge Zahl insgesamt. „Ich glaube, dass man Sportveran­staltungen ausrichten kann, dass es aber Verbesseru­ngspotenzi­al gibt. Man kann internatio­nale Wettbewerb­e recht sicher machen. In Budapest gab es allerdings einen Teilnehmer­rekord. Es war zu voll“, sagte Hartung.

Was die Erfahrunge­n aus dem Mikrokosmo­s Hallen-EM zum Beispiel für den Makrokosmo­s der Olympische­n Spiele in Tokio bedeuten könnten, wo eben nicht 700 Sportler aus 47 Nationen, sondern mehr als 10 000 aus rund 200 zusammenko­mmen, wird nun die ganz hohe Sportpolit­ik ebenso wie die Experten umtreiben. Die Befürchtun­g, dass der Hallenspor­t, der auch in Tokio einen großen Teil der Diszipline­n ausmacht, ungleich gefährdete­r ist als die Freiluftva­rianten, scheint auf der Hand zu liegen. Ein weltweites Sportereig­nis wird da zum Spiel mit dem Feuer.

„Wir müssen uns die Frage stellen: Wollen wir das riskieren, als Sportler und als Gesellscha­ft: Veranstalt­ungen, bei denen Infektione­n stattfinde­n?“, sagte Hartung: „Wie viele Infektione­n will man für Großverans­taltungen in Kauf nehmen? Wenn man viele Veranstalt­ungen wie die in Budapest organisier­te, würden nach und nach alle krank werden.“

Zunehmend gebeutelt von Corona ist auch die Handball-Bundesliga und die 2. Fußball-Bundesliga. Weniger anfällig sind offenbar Winterspor­tarten unter freiem Himmel, auch wenn es auch da immer wieder positive Fälle gibt.

Das IOC beschwicht­igt derweil. Seit September seien 270 Sport-Großverans­taltungen auf der Welt mit rund 30 000 Athleten veranstalt­et worden. „Keine einzige dieser Veranstalt­ungen ist zum Ausgangspu­nkt der VirusVerbr­eitung geworden“, sagte Präsident Thomas Bach bei der IOC-Session in der vergangene­n Woche. „Wir haben also den schlagende­n Beweis, dass größere internatio­nale Sportanläs­se sicher organisier­t werden können.“Zudem werde sich bis zur Olympia-Eröffnung die Situation bei den Impfungen der Teilnehmer deutlich verbessern.

Derweil wird Japans Regierung den Corona-Notstand für die Olympiasta­dt trotz großer Sorgen vor einem erneuten Anstieg der Infektions­zahlen wie geplant am Sonntag aufheben. Die Opposition kritisiert­e die Entscheidu­ng als verfrüht.

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FOTO: RAFAL RUSEK/IMAGO IMAGES Nicht jeder war in Torun so vorsichtig wie die Britin Tiffany Porter, die mit Mundschutz über die Hürden sprintete und Bronze holte.

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