Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Klimacamp im Schneegestöber
Als Beitrag zum globalen Klimastreik am Freitag bauten Aktivisten aus Ulm und Neu-Ulm ihr Klimacamp vor dem Münster auf – Was Passanten dort erlebt haben
ULM - Für einen Tag haben Klimaaktivisten den Münsterplatz in ein kleines Zeltlager verwandelt. Auf dem Boden prangen in bunten Farben Parolen, gesprüht mit – umweltverträglichem – Kreidespray. Das Pariser Klimaabkommen steht versinnbildlicht als Eiffelturm in der Mitte des Camps. Am Rand stehen Farbeimer und weiße Laken bereit, wo Schüler mit sehr viel grün ihre Vorstellung von der Zukunft malen. Ein Sofa lädt zum Verweilen ein. Immer wieder tönt aus einem Megafon: „Klimakrise tötet.“
Anlässlich des globalen Klimastreiks am Freitag bauten Aktivisten von Fridays for Future ihr Klimacamp um fünf Uhr morgens auf. Da die Corona-Pandemie andauert, herrschen im Camp Maskenpflicht und Abstandsregeln. Als zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen haben sich alle Aktivisten auf Corona getestet und Gäste müssen ihre Kontaktdaten hinterlegen.
Dieses Klimacamp ist nicht das erste, das Ulm erlebt. Die Aktivisten schlugen bereits am 10. September ihre Zelte vor dem Ulmer Rathaus auf. Nach 54 Protesttagen wurde das Camp aufgrund der Entwicklung der Pandemie aber Anfang November abgebrochen. Diesmal sollte es nur 24 Stunden stehen, bis der Ulmer Wochenmarkt am Samstag beginnt.
Schon im Herbst hatten die Klimaaktivisten dazu aufgefordert, den Klimanotstand in Ulm und Neu-Ulm auszurufen. Daran halten sie fest: „Wir fordern keinen symbolischen Akt, sondern dessen Umsetzung“, sagt die 19-jährige Merit Willemer, die im Organisationsteam der Fridays-for-Future-Ortsgruppe der Doppelstadt engagiert ist. Den Klimanotstand auszurufen, kommt einer Selbstverpflichtung der Kommune gleich, bei der alle Entscheidungen der Stadt auf ihre Klimaverträglichkeit geprüft werden. Merit Willemer fordert auch eine offene Kommunikation der Städte über geplante CO2-Emissionen. Bislang gebe es zu wenig öffentlich einsehbare Daten, sagt sie.
Einige Aktivisten sind mit dem Klemmbrett auf dem Münsterplatz unterwegs und sprechen Passanten an. Sie sammeln Unterschriften für ein Bürgerbegehren. Für die Stadt Ulm fordern sie ein Planungsbüro, das einen Aktionsplan zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2030 erstellen soll. In Neu-Ulm soll ein geloster Bürgerrat einberufen werden, der auf Basis von Expertengesprächen einen klimaneutralen Plan für die Stadt ausformulieren soll.
Der 28-jährige Ulmer Lars Kaiser ist skeptisch: „Einen gelosten Bürgerrat kann ich mir in der Umsetzung nur schwer vorstellen. Die Initiative muss doch von innen kommen.“Für Richard Langer von Fridays for Future liegt die Stärke eines Bürgerrats darin, dass die Maßnahmen größere Akzeptanz in der Mitte der Gesellschaft finden können, weil sie eben von Bürgern selbst beschlossen werden. Doch Unterschriften sammeln in Pandemie-Zeiten ist schwierig, von den etwa 3000 Unterschriften, die für Neu-Ulm benötigt werden, sind seit Januar erst 70 zusammengekommen.
Mittags laden die Aktivisten Politiker von beiden Seiten der Donau, Vertreter der Stadtwerke Ulm/NeuUlm (SWU) und der Stadtverwaltung Ulms zu „begleitendem Träumen“ein. In einem Zelt unter Ausschluss der Öffentlichkeit schildern die Aktivisten ihren Gästen, was in ihren Augen geschehen würde, wenn nichts gegen den Klimawandel unternommen werde. Die Gäste sollten sich dabei das Erzählte mit geschlossenen Augen vorstellen. Auch die Besucher des Camps können bei dieser Übung mitmachen, denn der Text wird mit Lautsprechern auf dem ganzen Münster-Platz übertragen.
Nach dieser Traumreise in eine dystopischen Zukunft wollen die Aktivisten, dass die Politiker sich ihr Leben im Jahre 2035 vorstellen. Dieses Mal geben sie keine konkreten Bilder vor. Stattdessen stellen sie den Zuhörern Fragen, sodass jeder eine eigene Idee der Zukunft entwickeln kann. Dann sollen die Teilnehmer darüber nachdenken, welche drei Veränderungen diese Zukunft möglich machen und was jeder selbst dazu beitragen kann.
Neu-Ulms Oberbürgermeisterin Katrin Albsteiger (CSU) sagt dazu: „Mir sind die Vorstellungen von Fridays for Future bekannt und auch kritische Punkte, die mir gegenüber genannt worden sind. Ich habe eigentlich das Gefühl, dass wir schon sehr ähnliche Vorstellungen von der Zukunft haben. Insofern nehme ich positiv für mich mit, dass wir ein gemeinsames Ziel teilen.“Der Teufel werde wahrscheinlich im Detail stecken. Entscheidend seien die Fragen danach, welche Maßnahmen jetzt und heute nötigen seien, um dieses Ziel zu erreichen.
Auch Ulms Baubürgermeister Tim von Winning sieht ähnliche Schwierigkeiten: „Ich glaube, die große und extrem schwierige Aufgabe ist es, zu schaffen, die Qualitäten, die wir in diesem Land, in dieser Stadt haben, trotz der notwendigen Veränderungen zu erhalten.“
Höhepunkt des Aktionstags ist eine Fahrraddemonstration, die durch die Ulmer Innenstadt führt. Nach Angaben von Fridays for Future radeln etwa 250 Teilnehmer mit lautem Geklingel trotz Schneefall durch die Stadt. Die Demonstration zeigt, was sich die Aktivisten wünschen: Ulm als Fahrradstadt.
Noch können sie nicht konkret planen, wann das nächste Klimacamp wieder aufgeschlagen werden kann. „Vielleicht im Sommer, wenn es das Infektionsgeschehen wieder zulässt“, sagt die 23-jährige Studentin Natasa Subotin. „Auf jeden Fall möchten wir vor der Bundestagswahl im September wieder stärker Präsenz zeigen.“