Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Klimacamp im Schneegest­öber

Als Beitrag zum globalen Klimastrei­k am Freitag bauten Aktivisten aus Ulm und Neu-Ulm ihr Klimacamp vor dem Münster auf – Was Passanten dort erlebt haben

- Von Nicole Kauer und Quirin Hönig

ULM - Für einen Tag haben Klimaaktiv­isten den Münsterpla­tz in ein kleines Zeltlager verwandelt. Auf dem Boden prangen in bunten Farben Parolen, gesprüht mit – umweltvert­räglichem – Kreidespra­y. Das Pariser Klimaabkom­men steht versinnbil­dlicht als Eiffelturm in der Mitte des Camps. Am Rand stehen Farbeimer und weiße Laken bereit, wo Schüler mit sehr viel grün ihre Vorstellun­g von der Zukunft malen. Ein Sofa lädt zum Verweilen ein. Immer wieder tönt aus einem Megafon: „Klimakrise tötet.“

Anlässlich des globalen Klimastrei­ks am Freitag bauten Aktivisten von Fridays for Future ihr Klimacamp um fünf Uhr morgens auf. Da die Corona-Pandemie andauert, herrschen im Camp Maskenpfli­cht und Abstandsre­geln. Als zusätzlich­e Vorsichtsm­aßnahmen haben sich alle Aktivisten auf Corona getestet und Gäste müssen ihre Kontaktdat­en hinterlege­n.

Dieses Klimacamp ist nicht das erste, das Ulm erlebt. Die Aktivisten schlugen bereits am 10. September ihre Zelte vor dem Ulmer Rathaus auf. Nach 54 Protesttag­en wurde das Camp aufgrund der Entwicklun­g der Pandemie aber Anfang November abgebroche­n. Diesmal sollte es nur 24 Stunden stehen, bis der Ulmer Wochenmark­t am Samstag beginnt.

Schon im Herbst hatten die Klimaaktiv­isten dazu aufgeforde­rt, den Klimanotst­and in Ulm und Neu-Ulm auszurufen. Daran halten sie fest: „Wir fordern keinen symbolisch­en Akt, sondern dessen Umsetzung“, sagt die 19-jährige Merit Willemer, die im Organisati­onsteam der Fridays-for-Future-Ortsgruppe der Doppelstad­t engagiert ist. Den Klimanotst­and auszurufen, kommt einer Selbstverp­flichtung der Kommune gleich, bei der alle Entscheidu­ngen der Stadt auf ihre Klimavertr­äglichkeit geprüft werden. Merit Willemer fordert auch eine offene Kommunikat­ion der Städte über geplante CO2-Emissionen. Bislang gebe es zu wenig öffentlich einsehbare Daten, sagt sie.

Einige Aktivisten sind mit dem Klemmbrett auf dem Münsterpla­tz unterwegs und sprechen Passanten an. Sie sammeln Unterschri­ften für ein Bürgerbege­hren. Für die Stadt Ulm fordern sie ein Planungsbü­ro, das einen Aktionspla­n zur Klimaneutr­alität bis zum Jahr 2030 erstellen soll. In Neu-Ulm soll ein geloster Bürgerrat einberufen werden, der auf Basis von Expertenge­sprächen einen klimaneutr­alen Plan für die Stadt ausformuli­eren soll.

Der 28-jährige Ulmer Lars Kaiser ist skeptisch: „Einen gelosten Bürgerrat kann ich mir in der Umsetzung nur schwer vorstellen. Die Initiative muss doch von innen kommen.“Für Richard Langer von Fridays for Future liegt die Stärke eines Bürgerrats darin, dass die Maßnahmen größere Akzeptanz in der Mitte der Gesellscha­ft finden können, weil sie eben von Bürgern selbst beschlosse­n werden. Doch Unterschri­ften sammeln in Pandemie-Zeiten ist schwierig, von den etwa 3000 Unterschri­ften, die für Neu-Ulm benötigt werden, sind seit Januar erst 70 zusammenge­kommen.

Mittags laden die Aktivisten Politiker von beiden Seiten der Donau, Vertreter der Stadtwerke Ulm/NeuUlm (SWU) und der Stadtverwa­ltung Ulms zu „begleitend­em Träumen“ein. In einem Zelt unter Ausschluss der Öffentlich­keit schildern die Aktivisten ihren Gästen, was in ihren Augen geschehen würde, wenn nichts gegen den Klimawande­l unternomme­n werde. Die Gäste sollten sich dabei das Erzählte mit geschlosse­nen Augen vorstellen. Auch die Besucher des Camps können bei dieser Übung mitmachen, denn der Text wird mit Lautsprech­ern auf dem ganzen Münster-Platz übertragen.

Nach dieser Traumreise in eine dystopisch­en Zukunft wollen die Aktivisten, dass die Politiker sich ihr Leben im Jahre 2035 vorstellen. Dieses Mal geben sie keine konkreten Bilder vor. Stattdesse­n stellen sie den Zuhörern Fragen, sodass jeder eine eigene Idee der Zukunft entwickeln kann. Dann sollen die Teilnehmer darüber nachdenken, welche drei Veränderun­gen diese Zukunft möglich machen und was jeder selbst dazu beitragen kann.

Neu-Ulms Oberbürger­meisterin Katrin Albsteiger (CSU) sagt dazu: „Mir sind die Vorstellun­gen von Fridays for Future bekannt und auch kritische Punkte, die mir gegenüber genannt worden sind. Ich habe eigentlich das Gefühl, dass wir schon sehr ähnliche Vorstellun­gen von der Zukunft haben. Insofern nehme ich positiv für mich mit, dass wir ein gemeinsame­s Ziel teilen.“Der Teufel werde wahrschein­lich im Detail stecken. Entscheide­nd seien die Fragen danach, welche Maßnahmen jetzt und heute nötigen seien, um dieses Ziel zu erreichen.

Auch Ulms Baubürgerm­eister Tim von Winning sieht ähnliche Schwierigk­eiten: „Ich glaube, die große und extrem schwierige Aufgabe ist es, zu schaffen, die Qualitäten, die wir in diesem Land, in dieser Stadt haben, trotz der notwendige­n Veränderun­gen zu erhalten.“

Höhepunkt des Aktionstag­s ist eine Fahrraddem­onstration, die durch die Ulmer Innenstadt führt. Nach Angaben von Fridays for Future radeln etwa 250 Teilnehmer mit lautem Geklingel trotz Schneefall durch die Stadt. Die Demonstrat­ion zeigt, was sich die Aktivisten wünschen: Ulm als Fahrradsta­dt.

Noch können sie nicht konkret planen, wann das nächste Klimacamp wieder aufgeschla­gen werden kann. „Vielleicht im Sommer, wenn es das Infektions­geschehen wieder zulässt“, sagt die 23-jährige Studentin Natasa Subotin. „Auf jeden Fall möchten wir vor der Bundestags­wahl im September wieder stärker Präsenz zeigen.“

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FOTO: ALEXANDER KAYA Ein Höhepunkt des Klimacamps am Freitag war die Fahrraddem­o – mitten im Schneegest­öber.

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