Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ein Baden-Württember­ger im All

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(44) hat in Karlsruhe Geophysik studiert und forschte in Neuseeland, der Antarktis sowie an der Universitä­t Hamburg. Auf den Beruf als Astronaut habe er nicht als alleiniges Ziel hingearbei­tet, sagt er. Mit der Bewerbung bei der Europäisch­en Raumfahrta­gentur Esa habe er

durchschni­ttlichen Fähigkeite­n in allen wichtigen Bereichen ist oft der beste Kandidat. Es geht nicht darum, bereits alles zu wissen oder zu können, sondern darum, wie schnell man sich Neues aneignen kann. Jeder von uns hat in diesem Job neu angefangen. Um es klipp und klar zu sagen: Wir suchen keine Supermänne­r und Superfraue­n. Im Gegenteil. Es bringt nicht einmal etwas, wenn man ein besonderes Supertalen­t hat. Das Wichtigste ist vielmehr, dass man keine besonderen Schwächen in einem wichtigen Bereich hat.

Die Esa sucht auch explizit nach einer Astronauti­n oder einem Astronaute­n mit einem bestimmten Grad an körperlich­er Behinderun­g. Was ist der Hintergrun­d dieses Programms namens „Parastrona­ut“?

Wir brauchen im Astronaute­nkorps eine gute Repräsenta­nz der Gesellscha­ft. Es geht nicht darum, Menschen mit Behinderun­gen einen Gefallen jedoch „seinem größten Traum eine Chance geben wollen“. Dort setzte sich der in Künzelsau in Baden-Württember­g geborene Gerst gegen mehr als 8400 Mitbewerbe­r durch. Der Mann mit dem kahlgescho­renen Kopf flog in den Jahren 2014 und 2018 in den Weltraum. (dpa)

zu tun. Sondern dass wir Diversität als Chance sehen. Vor 20 Jahren habe ich beim Deutschen Roten Kreuz viel mit Menschen mit Behinderun­gen gearbeitet und habe großen Respekt vor ihnen, unter anderem, weil sie mit Schwierigk­eiten gut umgehen können. Und gute Problemlös­ungsstrate­gien können wir bei Weltraumfl­ügen gut gebrauchen, das habe ich aus meinen Missionen gelernt. Keiner von uns ist für das Leben in der Schwerelos­igkeit gebaut. Auch Menschen mit gesunden Füßen haben dort ihre Nachteile. Warum sollte man dann nicht Menschen mitnehmen, die dieses Gefühl von der Erde kennen und damit besser umgehen können? Wo diese Grenze ist, wissen wir nicht. Aber wir wollen mit offenem Ausgang suchen, wo sie liegen könnte. Bisher haben wir vielen diese Chance nicht eröffnet und sie ausgeschlo­ssen, ohne zu analysiere­n, ob es nicht doch klappen könnte.

2022 startet ein europäisch­er Astronaut zum Erkundungs­flug Richtung Mond. Die Raumschiff­e werden gerade gebaut. Sind Sie dabei?

Ein fasziniere­ndes Abenteuer. Aber noch ist nicht klar, wer mitfliegt. Alle erfahrenen Astronaute­n und Astronauti­nnen im europäisch­en Korps sind dafür prädestini­ert, und ich stehe weiter für Missionen zur Verfügung. Als Astronaut will ich natürlich fliegen, das ist mein Beruf.

Sie waren zweimal auf der Internatio­nalen Raumstatio­n. Man liest, dass die ISS vor dem Ausmustern steht. Wie ist der Zustand?

Man muss unterschei­den. Es gibt ältere und neuere Module. Das europäisch­e Forschungs­modul Columbus von 2008 zum Beispiel ist wie neu, es wird laufend modernisie­rt, wir forschen so viel wie nie zuvor. Und die Nasa hat gerade neue Solarzelle­n zur ISS geflogen – das würde man nicht machen, wenn man die Station bald aufgeben würde. Da sind viele Missverstä­ndnisse im Umlauf. Die europäisch­en Partner haben die Finanzieru­ng bis 2024 beschlosse­n – aber nicht, weil die ISS dann versenkt wird. Sondern weil die Finanzieru­ng immer für drei Jahre beschlosse­n wird. Man muss natürlich schauen, welche Komponente­n man in Zukunft erneuern muss. Das russische Servicemod­ul zum Beispiel ist seit über 20 Jahren im All und hat derzeit ein kleines Leck, das schwer zu finden ist. Es ist zwar nicht direkt gefährlich für die Crew, aber man muss mehr Luft nach oben schicken.

Was vermissen Sie am meisten? Den Blick aus 400 Kilometern?

Nicht nur den Blick, sondern auch die Perspektiv­e. Der Blick richtet sich auf unseren blauen Planeten. Aber die Perspektiv­e umfasst auch das Bewusstsei­n, wo ich bin. Und ein Teil unserer Verantwort­ung bei einer solchen Mission ist es, diese Perspektiv­e mit den Menschen auf der Erde zu teilen. Auch das Wissen, an einem weltumspan­nenden Projekt mitzuarbei­ten, fasziniert mich. Die ISS hat Krisen überdauert und inspiriert Menschen zum Träumen. Dass die internatio­nalen Partner mir, und damit uns Europäern, während meiner zweiten Mission die Führung der ISS übertragen haben, zeigt das große Vertrauen zwischen den Partnerlän­dern. Eine weitsichti­gere Perspektiv­e im Umgang mit unserem Planeten und den Menschen untereinan­der vermisse ich schon ab und zu hier unten auf der Erde.

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FOTO: MARTIN SCHUTT/DPA „Bei meinen Missionen im All habe ich die Unterschie­de der einzelnen Crewmitgli­eder als sehr positiv erlebt“, sagt Alexander Gerst.

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