Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Wir haben nur das eine Leben“
Tatortreiniger Florian Stier aus Ravensburg über sein Verhältnis zum Tod
RAVENSBURG - Wenn Florian Stier am Leichenfundort eintrifft, weiß er oft nicht, was ihn erwartet. Ein natürlicher Tod, Mord oder Suizid mit Unmengen an Blut – Bilder, die sich dem 33-jährigen Tatortreiniger bereits offenbarten. Er hat sich nach seiner dreijährigen Ausbildung zum Gebäudereinigungsmeister und Desinfektor für eine Zusatzausbildung als Tatortreiniger entschieden. Wie er vorgeht und was ihn an der Arbeit herausfordert, erzählt Stier, Geschäftsführer der gleichnamigen Reinigungsfirma in Ravensburg, im Interview mit Milena Sontheim.
Wollten Sie schon immer Tatortreiniger werden?
Nein, gar nicht. Ein Traumberuf war das für mich nicht. Mit 15 Jahren habe ich meinen Eltern, die die Gebäudereinigung führten, klipp und klar gesagt, dass ich nicht in ihre Fußstapfen treten möchte. Stattdessen wollte ich lieber Mediengestalter werden.
Warum haben Sie sich dennoch für diesen Beruf entschieden?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist die Arbeit an sich hoch spannend. Wir putzen ja nicht nur. Ein professionelles Know-how über Mikroorganismen und biochemische Prozesse ist wichtig. Viele unterschätzen die Gefahren. Ich finde es auch interessant, weil man den Tathergang erahnen kann. Da kriegt man natürlich was mit am Tatort. Der Beruf ist allerdings nichts für psychisch labile Menschen. Aber seien wir mal ehrlich, es gibt schönere Dinge, die Spaß machen. In der Region war das natürlich auch eine Marktlücke, die kompatibel für ein weiteres Standbein in unserer Reinigungsfirma war.
Wie belastend ist eine Tatortreinigung? Entsteht bei der Arbeit eine Art Automatismus?
Belastend ist die Arbeit für mich nicht. Es ist eben ein Job. Da habe ich ganz klare Grenzen. Wenn man die Bilder mit nach Hause nehmen würde, würde das nicht funktionieren. Die Arbeit ist aber körperlich sehr anstrengend. Wir arbeiten in einer Vollmontur. Darin schwitzt man schon nach zwei Stunden. Man muss körperlich fit sein. Es gibt Einsätze, die einen mal mehr beschäftigen als andere, wenn jemand Suizid begangen hat zum Beispiel. Ich denke da immer an die Gefühle der hinterbliebenen Familie und der Kinder, die das sehen oder sich dann um die Folte gen, wie die Beauftragung eines Reinigungsdienstes, kümmern müssen.
Ist Angst ein Begleiter?
Natürlich. Ich würde die Angst aber mehr als gewisse Vorsicht beschreiben. Man geht immer mit einem Grundrespekt an die Geschichte ran. Oft weiß man nicht, welche Krankheiten der Verstorbene womöglich hatte. Aber wir sind gut ausgerüstet und haben spezielle Mittel und Anwendungstechniken, die nicht nur reinigen, sondern spezielle Mikroorganismen wie zum Beispiel Viren, Bakterien, Pilze und Sporen deaktivieren beziehungsweise abtöten. Grundsätzlich ist die Arbeitssicherheit, also der Eigenschutz, immer der erste Schritt und hat höchs
Priorität. Wir schützen unsere Gesundheit mit persönlicher Schutzausrüstung wie Filtermaske, Handschuhe, Brille und einem Ganzkörperanzug und arbeiten immer zum Leichenfundort hin, damit wir keine Überreste, wie Blut und andere Flüssigkeiten vom Leichnam, verteilen. So verhindert man weitere Kontamination.
Erinnern Sie sich an einen Fall, der Sie besonders getroffen hat?
Ja, daran erinnere ich mich gut. Es gibt sogar zwei Fälle. Einmal starb ein Mensch an einem Darmdurchbruch. Die Spuren waren vom Schlafzimmer bis zur Küche verteilt. Ich konnte erahnen, dass die Person ganz offensichtlich kämpfend um ihr Leben gerungen hat. Über eine Woche ist der Tod dieser Person niemandem aufgefallen. Das war wirklich tragisch. Schockierend war für mich auch ein Selbstmordfall mit all seinen Facetten.
Kann man sich an die Arbeit gewöhnen?
Der Geruch ist extrem: stechend, süßlich, verwest. Wenn man das einmal gerochen hat, erkennt man es immer. Eine Leiche riecht immer gleich. Da gewöhnt man sich dran. Ein Problem habe ich aber mit Messiewohnungen und abgelaufenen Lebensmitteln. Das finde ich extrem eklig. Da würgt es mich. Dagegen kann ich nichts machen.
Wie beschreiben Sie Ihre Beziehung zum Tod?
Ich war 18 Jahre alt, als mein Vater gestorben ist. Meine Beziehung zum Tod war schwierig. Mit dem Beruf hat sich das geändert.
In unserer Kultur wird getrauert, wenn jemand stirbt. In anderen hingegen wird das Ableben gefeiert. Ich sehe den Tod mehr als Erlösung und weniger als etwas, vor dem man sich fürchten muss.
Mein Grundsatz ist daher: Wenn die Uhr abgelaufen ist, dann ist es so. Das Leben ist so schön. Wir haben nur das eine Leben, und eine zweite Chance bekommt man nicht.
Karl-Josef Diehl verlässt die Staatsanwaltschaft
Karl-Josef Diehl
Oberstaatsanwalt
(Foto: Staatsanwaltschaft), stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft Ravensburg, wird Ende März die Staatsanwaltschaft Ravensburg verlassen und ab April die Position des Hauptabteilungsleiters IV Schwerpunktabteilung zur Bearbeitung von Wirtschaftsstrafsachen - bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart übernehmen. Das teilt die Staatsanwaltschaft Ravensburg mit. Seit Februar 1996 war Oberstaatsanwalt Diehl, mit Ausnahme einer sechsmonatigen Abordnung zur Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart im Jahr