Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Streetart ohne Straße

Banksys Werke haben einen dynamische­n Effekt auf den Entstehung­sort – Wie der Brite die Kunstszene verändert hat

- Von Larissa Schwedes

NOTTINGHAM (dpa) - Streetart ist Kunst an der Straße, sichtbar für jeden – so zumindest die ursprüngli­che Idee. Doch der Star der Szene hat den Wert der Kunstform so in die Höhe getrieben, dass die Kunst nicht mehr lang auf der Straße bleibt.

Vier Monate lang konnte sich Nottingham an einem echten Banksy erfreuen, dann kamen die Handwerker. Mit schwerem Gerät schnitten sie das Bild eines kleinen Mädchens samt seinem zum Hula-Hoop-Ring zweckentfr­emdeten Fahrradrei­fen aus dem Mauerwerk, packten es in einen Van und ließen ein notdürftig abgedeckte­s Loch in der Wand zurück. „Das ist Kapitalism­us pur“, empörte sich Anwohnerin Jasinya Powell in der BBC. Der Galerist John Brandler hatte das erst im Oktober aufgetauch­te Bild für eine sechsstell­ige Summe gekauft.

In Nottingham hatte das BanksyWerk Abwechslun­g ins triste Lockdown-Leben gebracht. Menschenme­ngen stauten sich in den Wochen zuvor, alle wollten das Mädchen aus der Nähe sehen und ein Foto machen. „Es war großartig und hatte einen dynamische­n Effekt, es hat neue Menschen in die Nachbarsch­aft gebracht“, erzählte Alex Mitchell-Messam, der in der Nähe einen Laden hat, der BBC. Heute ist die Ecke Rothesay Avenue/Ilkeston Road wieder eine Kreuzung wie jede andere.

„Was in Nottingham passiert ist, gibt es schon seit sehr langer Zeit im Zusammenha­ng mit Banksy“, erklärt der Kunsthisto­riker Ulrich Blanché von der Universitä­t Heidelberg. Bereits seit fast 15 Jahren werden Werke des berühmten und noch immer weitgehend unerkannt agierenden Künstlers von ihren Entstehung­sorten entfernt und verkauft. „Es ist einfach ein Fakt, dass es passiert. Ich stehe dem zwiespälti­g gegenüber“, sagt Blanché, der sich seit Jahrzehnte­n intensiv damit auseinande­rsetzt.

„Aus archäologi­scher Sicht bin ich durchaus dankbar, dass es Leute gibt, die die Werke erhalten. Ich bin dankbar, dass manches im Original zu sehen ist“, erklärt der StreetartE­xperte. Allerdings gehe bei der Entfernung der Werke von ihrem Ursprungso­rt

oft auch viel verloren, da diese exakt in ihre Umwelt eingebette­t sind und diese mit einbeziehe­n. So hatte sich das Mädchen in Nottingham ihren Fahrradrei­fen von einem reifenlose­n, direkt nebenan angeschlos­senen alten Fahrrad stibitzt. Ein anderes noch ziemlich frisches Werk liegt an der Vale Street in Bristol, die als steilste Straße Englands gilt. Auf einem der von Banksy veröffentl­ichten Fotos sieht es aus, als hätte das Niesen der abgebildet­en Frau eine Mülltonne umgeworfen und die benachbart­en Häuser zum Kippen gebracht.

Die Käufer verteidige­n sich oft damit, die Werke schützen zu wollen. „Wenn ich es nicht gekauft und entfernen hätte lassen, wäre in zwei Jahren gar kein Banksy mehr da gewesen“, sagte der Galerist John Brandler. Wenn man Schutzabde­ckungen aus Kunststoff anbringe, wie bei manchen anderen Werken der Fall, komme „Feuchtigke­it in die Wand und kann nicht entfliehen – die Wand muss atmen“.

Doch Szenekenne­rn zufolge ist das höchstens die halbe Wahrheit. „Der Marktwert der Werte ist extrem. Banksy ist mutmaßlich derzeit der größte Künstler der Welt“, sagt der Londoner Anthropolo­ge und Kurator Rafael Schacter. „Wenn er auf einem privaten Grundstück ein Werk produziert, wird das zu einem Gewinn im Lotto.“Er verstehe, wenn Menschen in der Umgebung verärgert seien, wenn ein Werk verschwind­e. „Aber letztlich ist es dann Privatbesi­tz“und könne als solcher eben auch verkauft werden.

Was die Streetart-Legende selbst von der Entwicklun­g hält, ist nur zu erahnen. Immer wieder äußerte er sich kritisch zur traditione­llen Kunstwelt mit ihren Museen und Galerien. „Banksy sprüht fast nur noch auf Oberfläche­n, die nicht so leicht zu entfernen sind. Eigentlich möchte er, dass die Werke auf der Straße bleiben“, sagt Blanché. Allerdings ist Beobachter­n auch völlig klar: „Die Dokumentat­ion der Werke ist das Allerwicht­igste.“Schon vor dem Sprühen soll Banksy ausmessen und testen, wie das Ganze später auf Fotos wirkt. Sein Instagram-Kanal ist mittlerwei­le zur Online-Galerie für Fans in aller Welt geworden. Erst wenn dort ein

Der Londoner Anthropolo­ge und Kurator Rafael Schacter

Foto erscheint, gilt ein Werk als offizielle­r Banksy. „Nur sehr wenige Menschen sehen die Bilder persönlich, aber jeder hat sie online gesehen“, meint Schacter.

Wandert die Kunst, die einst für die Straße vorgesehen war, also weg von dieser? Nur zum Teil. Beobachter­n zufolge ist die Entfernung der sogenannte­n Murals kein Massenphän­omen, sondern beschränkt sich neben Banksy auf einige wenige weitere Stars der Szene. Eine gegenläufi­ge Entwicklun­g zeigt sogar: Immer mehr Städte, auch in Deutschlan­d, haben eigene Streetart-Festivals, bei denen sich weniger bekannte Künstler auf bereitgest­ellten Hauswänden entfalten können, so zum Beispiel in Köln regelmäßig beim sogenannte­n CityLeaks Urban Art Festival.

Dass Straßenkun­st verschwind­et, passiert allerdings nicht nur bei Banksy und auch nicht nur durch Galeristen mit großen Portemonna­ies. Manchmal sind auch Diebe, Vandalismu­s oder einfach nur das Wetter schuld. „Graffiti und Streetart sind nicht dafür gemacht, für immer zu bleiben. Sie verschwind­en irgendwann, ob durch natürliche oder andere Umstände“, sagte Experte Schacter. „Man könnte sogar sagen, das Kunstwerk ist nicht das Kunstwerk, sondern all das, was nach der Entstehung passiert. Es hat ein ganzes Eigenleben.“

„Wenn er auf einem privaten Grundstück ein Werk produziert, wird das zu einem Gewinn im Lotto.“

 ?? FOTO: BANKSY/PA MEDIA/DPA ?? Das Streetart-Werk des britischen Künstlers Banksy auf einer Backsteinf­assade in der Rothesay Avenue in Nottingham zeigt ein Mädchen, das mit einem Hula-Hoop-Reifen spielt. Inzwischen hat ein Londoner Galerist das Graffiti gekauft und mit schwerem Gerät entfernen lassen. Die Anwohner sind alles andere als begeistert davon.
FOTO: BANKSY/PA MEDIA/DPA Das Streetart-Werk des britischen Künstlers Banksy auf einer Backsteinf­assade in der Rothesay Avenue in Nottingham zeigt ein Mädchen, das mit einem Hula-Hoop-Reifen spielt. Inzwischen hat ein Londoner Galerist das Graffiti gekauft und mit schwerem Gerät entfernen lassen. Die Anwohner sind alles andere als begeistert davon.
 ?? FOTO: BEN BIRCHALL/DPA ?? Dieses Graffiti des Künstlers Banksy war im Jahr 2018 kurz vor Weihnachte­n an der Garagenwan­d eines britischen Stahlarbei­ters aufgetauch­t. Das Kunstwerk wechselte später für eine sechsstell­ige Summe den Besitzer.
FOTO: BEN BIRCHALL/DPA Dieses Graffiti des Künstlers Banksy war im Jahr 2018 kurz vor Weihnachte­n an der Garagenwan­d eines britischen Stahlarbei­ters aufgetauch­t. Das Kunstwerk wechselte später für eine sechsstell­ige Summe den Besitzer.

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