Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Patienten werden immer jünger
Ulmer Uniklinik äußert sich zur aktuellen Corona-Lage
ULM - Politiker schlagen Alarm: Die Mutationen und das Infektionsgeschehen könnten eine Überlastung des Gesundheitssystems verursachen. Wie sieht es aktuell auf den Intensivstationen in der Region aus? Zur aktuellen Lage in der dritten Corona-Welle äußert sich jetzt das Ulmer Uniklinikum.
Wie schätzt das Ulmer Uniklinikum die Corona-Lage ein?
Stand Mittwoch, 31. März, versorgt das Universitätsklinikum insgesamt 23 Covid-19-Patienten, davon zehn auf der Intensivstation. Alle zehn intensivmedizinisch Behandelten werden invasiv beatmet. Zwei der beatmeten Patienten werden zusätzlich mit extrakorporalem Gasaustausch (ECMO) behandelt. Darüber hinaus werden am Klinikum auch zahlreiche Nicht-Covid-19-Patienten intensivmedizinisch versorgt.
Wie ist die Lage an der Ulmer Uniklinik im Vergleich zu den ersten beiden Wellen?
Zum Vergleich: Die bisherige Spitze wurde an Weihnachten erreicht, mit insgesamt 50 Covid-19-Patienten im Klinikum, davon 25 auf der Intensivstation mit acht Patienten an der ECMO. Nachdem sich Anfang März die Lage auf der Intensivstation etwas entspannt hat, nimmt das Klinikum aktuell wieder mehr Patienten pro Tag auf.
Muss mit einem weiteren Anstieg gerechnet werden?
Angesichts der steigenden Zahl der Neuinfektionen und der zunehmenden Verbreitung der Virusvariante B.1.1.7 bereitet sich das Universitätsklinikum auf steigende Fallzahlen von Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen vor. Auffallend ist nach Einschätzung des Klinikums, dass die Patienten auf der Intensivstation zunehmend jünger werden. Aktuell liegt der Altersdurchschnitt der Covid-19Intensivpatienten deutlich unter 60 Jahren.
Droht eine Überlastung der Intensivstationen?
Die verschiedenen Prognosemodelle des Ulmer Uniklinikums zeigen eine deutliche Zunahme der Covid-19Patienten auf den Intensivstationen in Deutschland. Analog zur ersten und zweiten Welle der Corona-Pandemie stellt das Klinikum seine Bettenkapazitäten weiterhin bedarfsgerecht zur Verfügung. Das heißt, Normalpflegebetten und Intensivbetten werden in definierten Eskalationsschritten für Covid-19-Patienten verfügbar gemacht. Die Mitarbeiter des Universitätsklinikums seien in allen Bereichen darauf vorbereitet, wieder steigende Fallzahlen zu versorgen.
Gibt es genug Intensivbetten in Ulm?
Nach Angaben des Klinikums stehen ausreichend Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeit zur Verfügung. Der Ausbau von weiteren Intensivbetten für Covid-19-Patienten sei möglich, allerdings müssen dazu Kapazitäten in anderen Bereichen entsprechend angepasst werden. Die
Notfallversorgung sei davon nicht betroffen und bleibt sichergestellt. Außerdem sei die Vernetzung mit anderen Kliniken gut: In Baden-Württemberg sind die Intensivmediziner über das Cluster-Konzept und bundesweit über das Kleeblattprinzip im wöchentlichen Austausch und können Covid-19-Patienten bei Überlastung einer Klinik sehr schnell in eine andere verlegen.
Sind eher Beatmungsplätze knapp oder das Personal?
In Deutschland stünden Beatmungsgeräte in ausreichender Zahl zur Verfügung. Knapp sei vor allem das Personal. Das Personal muss bei Bedarf in Abhängigkeit von der Zahl der zu behandelnden Patienten stufenweise aus anderen Bereichen abgezogen werden. Jede zusätzliche Kraft, die zur Behandlung von Covid-19-Patienten eingesetzt werden muss, fehlt an anderer Stelle. Die Versorgung von Covid-19-Patienten sei zudem keine Routine und verlange vom gesamten Personal, angefangen von der Reinigungskraft über die Pflege bis hin zum ärztlichen Personal eine größere Kraftanstrengung, höheres Engagement und mehr Flexibilität.
Auf welche Szenarien stellt sich das Universitätsklinikum Ulm ein?
Das Klinikum bereitet sich auf einen erneuten Anstieg an Patientenzahlen vor und man hofft gleichzeitig auf einen Impferfolg.
Wann erwartet das Klinikum eine Besserung durch die Impfkampagne?
Die dritte Welle hat begonnen und wird bis weit nach Ostern zu einer steigenden Belastung der Krankenhäuser führen. Die Höhe und Dauer der Welle wird maßgeblich durch die Geschwindigkeit der Impfkampagne mitbestimmt werden. Bis zum 24. März dieses Jahres haben laut Klinikum Ulm zehn Prozent der Bevölkerung ihre erste Impfung erhalten.
Es wird davon ausgegangen, dass mindestens die gleiche Zahl an Menschen geimpft werden muss, um die Veränderungen der Infektiosität und Virulenz durch die Virusvarianten zu kompensieren. Für eine Herdenimmunität, die eine Rückkehr in das "normale" Leben ermöglicht, müssen mindestens noch weitere 50 Prozent der Bevölkerung geimpft werden.
Wie groß ist die Sorge am Ulmer Uniklinikum wegen der als aggressiv geltenden Mutation aus Brasilien?
Die Sars-CoV-2-Variante P.1 ähnelt in ihren Veränderungen der südafrikanischen Variante. Für diese Variante wird eine Reduktion der Wirksamkeit neutralisierender Antikörper sowohl bei Genesenen als auch bei Geimpften angenommen, das heißt, es kann zu wiederholten Infektionen kommen. Im Moment werde P.1 in Deutschland nur sehr selten nachgewiesen. Das Klinikum berichtet von 21 Fällen bei über 60 000 Untersuchungen im Zeitraum von 15. März bis 21. März. Noch sei aber unbekannt, wie schnell sich neue Virusvarianten verbreiten können, wenn diese durch Mutationen einen Selektionsvorteil aufweisen.