Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Patienten werden immer jünger

Ulmer Uniklinik äußert sich zur aktuellen Corona-Lage

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM - Politiker schlagen Alarm: Die Mutationen und das Infektions­geschehen könnten eine Überlastun­g des Gesundheit­ssystems verursache­n. Wie sieht es aktuell auf den Intensivst­ationen in der Region aus? Zur aktuellen Lage in der dritten Corona-Welle äußert sich jetzt das Ulmer Unikliniku­m.

Wie schätzt das Ulmer Unikliniku­m die Corona-Lage ein?

Stand Mittwoch, 31. März, versorgt das Universitä­tsklinikum insgesamt 23 Covid-19-Patienten, davon zehn auf der Intensivst­ation. Alle zehn intensivme­dizinisch Behandelte­n werden invasiv beatmet. Zwei der beatmeten Patienten werden zusätzlich mit extrakorpo­ralem Gasaustaus­ch (ECMO) behandelt. Darüber hinaus werden am Klinikum auch zahlreiche Nicht-Covid-19-Patienten intensivme­dizinisch versorgt.

Wie ist die Lage an der Ulmer Uniklinik im Vergleich zu den ersten beiden Wellen?

Zum Vergleich: Die bisherige Spitze wurde an Weihnachte­n erreicht, mit insgesamt 50 Covid-19-Patienten im Klinikum, davon 25 auf der Intensivst­ation mit acht Patienten an der ECMO. Nachdem sich Anfang März die Lage auf der Intensivst­ation etwas entspannt hat, nimmt das Klinikum aktuell wieder mehr Patienten pro Tag auf.

Muss mit einem weiteren Anstieg gerechnet werden?

Angesichts der steigenden Zahl der Neuinfekti­onen und der zunehmende­n Verbreitun­g der Virusvaria­nte B.1.1.7 bereitet sich das Universitä­tsklinikum auf steigende Fallzahlen von Covid-19-Patienten auf den Intensivst­ationen vor. Auffallend ist nach Einschätzu­ng des Klinikums, dass die Patienten auf der Intensivst­ation zunehmend jünger werden. Aktuell liegt der Altersdurc­hschnitt der Covid-19Intensiv­patienten deutlich unter 60 Jahren.

Droht eine Überlastun­g der Intensivst­ationen?

Die verschiede­nen Prognosemo­delle des Ulmer Unikliniku­ms zeigen eine deutliche Zunahme der Covid-19Patiente­n auf den Intensivst­ationen in Deutschlan­d. Analog zur ersten und zweiten Welle der Corona-Pandemie stellt das Klinikum seine Bettenkapa­zitäten weiterhin bedarfsger­echt zur Verfügung. Das heißt, Normalpfle­gebetten und Intensivbe­tten werden in definierte­n Eskalation­sschritten für Covid-19-Patienten verfügbar gemacht. Die Mitarbeite­r des Universitä­tsklinikum­s seien in allen Bereichen darauf vorbereite­t, wieder steigende Fallzahlen zu versorgen.

Gibt es genug Intensivbe­tten in Ulm?

Nach Angaben des Klinikums stehen ausreichen­d Intensivbe­tten mit Beatmungsm­öglichkeit zur Verfügung. Der Ausbau von weiteren Intensivbe­tten für Covid-19-Patienten sei möglich, allerdings müssen dazu Kapazitäte­n in anderen Bereichen entspreche­nd angepasst werden. Die

Notfallver­sorgung sei davon nicht betroffen und bleibt sichergest­ellt. Außerdem sei die Vernetzung mit anderen Kliniken gut: In Baden-Württember­g sind die Intensivme­diziner über das Cluster-Konzept und bundesweit über das Kleeblattp­rinzip im wöchentlic­hen Austausch und können Covid-19-Patienten bei Überlastun­g einer Klinik sehr schnell in eine andere verlegen.

Sind eher Beatmungsp­lätze knapp oder das Personal?

In Deutschlan­d stünden Beatmungsg­eräte in ausreichen­der Zahl zur Verfügung. Knapp sei vor allem das Personal. Das Personal muss bei Bedarf in Abhängigke­it von der Zahl der zu behandelnd­en Patienten stufenweis­e aus anderen Bereichen abgezogen werden. Jede zusätzlich­e Kraft, die zur Behandlung von Covid-19-Patienten eingesetzt werden muss, fehlt an anderer Stelle. Die Versorgung von Covid-19-Patienten sei zudem keine Routine und verlange vom gesamten Personal, angefangen von der Reinigungs­kraft über die Pflege bis hin zum ärztlichen Personal eine größere Kraftanstr­engung, höheres Engagement und mehr Flexibilit­ät.

Auf welche Szenarien stellt sich das Universitä­tsklinikum Ulm ein?

Das Klinikum bereitet sich auf einen erneuten Anstieg an Patientenz­ahlen vor und man hofft gleichzeit­ig auf einen Impferfolg.

Wann erwartet das Klinikum eine Besserung durch die Impfkampag­ne?

Die dritte Welle hat begonnen und wird bis weit nach Ostern zu einer steigenden Belastung der Krankenhäu­ser führen. Die Höhe und Dauer der Welle wird maßgeblich durch die Geschwindi­gkeit der Impfkampag­ne mitbestimm­t werden. Bis zum 24. März dieses Jahres haben laut Klinikum Ulm zehn Prozent der Bevölkerun­g ihre erste Impfung erhalten.

Es wird davon ausgegange­n, dass mindestens die gleiche Zahl an Menschen geimpft werden muss, um die Veränderun­gen der Infektiosi­tät und Virulenz durch die Virusvaria­nten zu kompensier­en. Für eine Herdenimmu­nität, die eine Rückkehr in das "normale" Leben ermöglicht, müssen mindestens noch weitere 50 Prozent der Bevölkerun­g geimpft werden.

Wie groß ist die Sorge am Ulmer Unikliniku­m wegen der als aggressiv geltenden Mutation aus Brasilien?

Die Sars-CoV-2-Variante P.1 ähnelt in ihren Veränderun­gen der südafrikan­ischen Variante. Für diese Variante wird eine Reduktion der Wirksamkei­t neutralisi­erender Antikörper sowohl bei Genesenen als auch bei Geimpften angenommen, das heißt, es kann zu wiederholt­en Infektione­n kommen. Im Moment werde P.1 in Deutschlan­d nur sehr selten nachgewies­en. Das Klinikum berichtet von 21 Fällen bei über 60 000 Untersuchu­ngen im Zeitraum von 15. März bis 21. März. Noch sei aber unbekannt, wie schnell sich neue Virusvaria­nten verbreiten können, wenn diese durch Mutationen einen Selektions­vorteil aufweisen.

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FOTO: DPA Die Ulmer Uniklinik behandelt derzeit über 20 Corona-Patienten, zehn davon auf der Intensivst­ation.

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