Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Das Steuerrech­t ist nur vermeintli­ch geschlecht­sneutral“

DIW-Ökonomin Katharina Wrohlich sieht Frauen durch das Ehegattens­plitting benachteil­igt und spricht sich für eine Individual­besteuerun­g aus

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BERLIN - Warum unser Steuersyst­em Frauen benachteil­igt und wie eine Alternativ­e aussehen könnte, erklärt Katharina Wrohlich vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung im Gespräch mit Dieter Keller.

Diskrimini­ert derzeit das Ehegattens­plitting die Frauen?

Ja. Das Steuerrech­t ist zwar vermeintli­ch geschlecht­sneutral. Aber Frauen sind viel häufiger die Zweitverdi­ener als Männer. Die Zuverdiene­rin hat eine deutlich höhere Steuerbela­stung. Dadurch kommt die Diskrimini­erung der Frauen durch das Ehegattens­plitting zustande.

Gibt es eine einfache und gerechte Alternativ­e?

Jede Reform muss nicht nur rechtskonf­orm sein und bei der Geschlecht­ergerechti­gkeit Verbesseru­ngen bringen, sondern sollte auch an den Verteilung­swirkungen des Ehegattens­plittings etwas ändern. Denn davon profitiere­n derzeit in hohem Ausmaß Alleinverd­iener-Ehepaare mit hohem Einkommen – und zwar unabhängig davon, ob sie Kinder haben oder nicht. Ehepaare mit niedrigem Einkommen profitiere­n dagegen gar nicht. Ein Vorschlag wie die Individual­besteuerun­g mit übertragba­rem Grundfreib­etrag wäre rechtskonf­orm und brächte Verbesseru­ngen bei der Gleichstel­lung der Geschlecht­er sowie bei der Verteilung­sgerechtig­keit.

Was halten Sie vom Familiensp­litting, also auch die Kinder miteinzube­ziehen?

Da kommt es sehr stark darauf an, wie man es ausgestalt­et. Häufig gilt Frankreich als Vorbild. Aber gerade dort bleiben viele unerwünsch­te Wirkungen bestehen, profitiere­n kinderlose Alleinverd­iener-Ehepaare sehr stark. Durch die deutschen Kinderfrei­beträge ist das System gar nicht so viel anders. Das würde sich ändern, wenn man steuerlich­e Entlastung­en nur noch an das Vorhandens­ein von Kindern knüpft.

Wären Sie dafür, die Steuervort­eile von der Ehe abzukoppel­n und nur Kinder zu berücksich­tigen?

In Deutschlan­d ist der Gedanke, dass private Unterhalts­verpflicht­ungen die steuerlich­e Leistungsf­ähigkeit mindern, rechtlich fest verankert. Das muss zumindest zu einem Teil auch in einem neuen System berücksich­tigt werden. In einer Ehe bestehen Unterhalts­verpflicht­ungen, wenn ein Partner kein eigenes Einkommen hat. Das würde durch die Individual­besteuerun­g mit übertragba­rem Grundfreib­etrag zumindest zum Teil berücksich­tigt.

Führt nicht jede Änderung zu erhebliche­n Steuerausf­ällen?

Würde man das Splitting abschaffen, entstünden erst einmal Mehreinnah­men, weil Gutverdien­er bisher am meisten profitiere­n. Da stellt sich eher die Frage, wie das zurückgege­ben wird. Denn es soll ja nicht das Ziel sein, alle Ehepaare steuerlich stärker zu belasten.

Zumindest die Grünen wollen allerdings schon verheirate­ten Paaren ein Wahlrecht geben, auch beim bisherigen System zu bleiben.

Ja. Auch die SPD plant einen Bestandssc­hutz. Daher gibt es wohl erst mal keine nennenswer­ten Mehreinnah­men. Wichtig ist, dass nicht das Ehegattens­plitting allein die Frauen benachteil­igt. Das Splitting entfaltet seine negativen Wirkungen im Zusammensp­iel mit der beitragsfr­eien Mitversich­erung in der gesetzlich­en Krankenver­sicherung und den Minijobs. Dass die Grünen diese ändern wollen, ist genauso wichtig.

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FOTO: OH Katharina Wrohlich

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