Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Weniger Autos in der „guten Stube“, lautet das Ziel
Bei einem digitalen Workshop diskutieren Fachleute mit Bürgern das Integrierte Mobilitätskonzept
LAUPHEIM - Welche Möglichkeiten gibt es, die Innenstadt von motorisiertem Verkehr zu entlasten, Radfahren in Laupheim attraktiver und sicherer zu machen, den ÖPNV zu stärken und die Elektromobilität zu fördern? Ideen und Empfehlungen liefert ein Integriertes Mobilitätskonzept, mit Unterstützung der Bernard-Gruppe entwickelt. Im Gemeinderat wurde das Konzept bereits vorgestellt; am vergangenen Donnerstag hat die Verwaltung dazu eine digitale Bürgerbeteiligung angeboten. Etwa 20 Personen waren zugeschaltet.
Die Fachleute von Bernard haben eine auf das Jahr 2035 gerichtete Verkehrsprognose erstellt, auf der Basis von 2015, und die Wirkung verschiedener Straßennetz-Ergänzungen und anderer Maßnahmen berechnet. Eine Haushaltsbefragung am 14. Mai 2019 in Laupheim und den Teilorten zum Mobilitätsverhalten der Bevölkerung ergab, dass 60 Prozent der zurückgelegten Wege auf den motorisierten Individualverkehr entfielen. „Man sieht, das Auto spielt eine große Rolle bei Ihnen“, resümierte Ulrich Noßwitz, Projektleiter bei Bernard, am Donnerstag. Eine Vielzahl von Wegstrecken führe dabei mitten durch die Stadt, die Verkehrsbelastung dort sei relativ hoch. Allerdings hätten viele Pkw-Lenker auch kaum eine bessere Alternative, als „durch die gute Stube“zu fahren. An diesem Punkt knüpfen Überlegungen an, wie es gelingen kann, Verkehr vom Stadtkern fernzuhalten.
Vier neue Straßen könnten dazu beitragen. Noßwitz misst ihnen erhebliche Entlastungspotenziale bei. Eine dieser Straßen steht vor der
Realisierung, die anderen sind vorerst Zukunftsmusik.
Konkret geplant ist die „Nordwesttangente“; sie verläuft von der Einmündung der Kreisstraße Bronnen-Laupheim (K7519) in die Ulmer Straße (L265) zur B30-Anschlussstelle Laupheim-Mitte. Davon sollen Ulmer Straße, Kapellenstraße, Bronner Straße und Marktplatz profitieren.
Eine zweite Option, die Innenstadt zu umfahren, böte die „Südosttangente“von der B30-Auffahrt Süd zur Walpertshofer Straße/K7518. Sie würde Bühler Straße, Lange Straße, Rabenstraße und den Marktplatz entlasten.
Ein vierter B30-Anschluss Laupheim-West im Bereich der Bahnhofstraße würde das Verkehrsaufkommen in der Bahnhofstraße stadteinwärts sowie in der Ulmer und der Biberacher Straße senken.
Eine „Ostspange“östlich des Ringelhauser Parks zwischen der
K7519 (Laupheim-Bronnen) und der K7518 (Laupheim-Burgrieden) würde mehr als 7000 Autos pro Tag aufnehmen und den Stadtkern schonen. Die Wohnquartiere Ringelhausen, Schlatt und Zwischen den Wegen könnten angebunden werden.
Den Innenstadtverkehr beruhigen soll ferner ein Parkleitsystem, das den Suchverkehr gezielt lenkt. Das heutige Angebot umfasst 300 Stellplätze auf Parkierungsflächen und 485 im Straßenraum, berichtete Bernard-Mitarbeiter Robert Wenzel. Die meisten befänden sich im nördlichen Teil des Stadtkerns; ein Ansatz müsse deshalb sein, auch im Bereich der Hasenstraße und der Lange Straße Stellflächen anzubieten.
Für vier Bereiche – Kapellenstraße, Marktplatz, Hasenstraße und Schulcampus Rabenstraße – schlägt das Fachbüro Maßnahmen zur Umgestaltung, Verkehrsregelung und Organisation vor. Wenzel erläuterte am Donnerstag, was sein Unternehmen für den „Schlüsselbereich“Schulcampus empfiehlt. Erstens: Die Flächen werden neu aufgeteilt: weniger für die Fahrspuren, mehr für die Seitenbereiche. Zweitens: zeitweise Sperrung der Rabenstraße im Schulbereich von 7 bis 14 Uhr. Erforderlich wären dazu Senkpoller, Zonen zum Holen und Bringen und Wendemöglichkeiten.
Sollten alle Optionen realisiert werden, prognostiziert das Fachbüro für 2035 – obschon die Anzahl der täglich von den Bürgern zurückgelegten Wege von jetzt 74 500 auf fast 90 000 steigt – eine Abnahme des motorisierten Individualverkehrs auf dann 47 Prozent.
Feuer frei für Fragen, Meinungen und Anregungen der Bürgerinnen und Bürger: Sie wohne in der AdamRies-Straße, eröffnete Marlene Reible die Diskussion. Von dort mit dem Bus in die Stadt zu fahren, sei so umständlich, „dass ich’s lasse“. Vor allem ein kürzerer Takt – zehn Minuten – wäre wichtig. Die Erste Bürgermeisterin Eva-Britta Wind verwies auf das EMobilitätskonzept, das Citybus und E-Bus einbeziehe – „diese Gedanken sind auf alle Fälle da“. Friederike Brandl-von Au regte einen ShuttleBus vom Parkhaus Rabenstraße an.
„Das Auto ist die heilige Kuh im kleinen Laupheim“, bemängelte Ingrid Fromm. Anderswo nähmen die Leute Fußwege vom Parkplatz aus in Kauf, „hier muss man bis ins Geschäft fahren können“. Nicht mal an Markttagen werde die obere Mittelstraße gesperrt – „da stehen wir und werden fast umgefahren“. Sie könne die Einzelhändler verstehen, sagte Fromm, aber es sei auch eine Frage der Einstellung, ein paar Meter mehr zu Fuß zurückzulegen. „Es geht ums Klima und wir gucken immer noch drauf, dass jedes Auto einen Stellplatz mitten in der Stadt hat.“Und es gehe um Aufenthaltsqualität. Attraktive Parkangebote an die Autofahrer wie in Biberach, etwa eine kostenlose erste Stunde, könnten hilfreich sein, warf Marlene Reible ein. Eine Sperrung der oberen Mittelstraße an Markttagen sei Thema im Rat gewesen und noch nicht vom Tisch, antwortete Eva-Britta Wind. „Dem möchte man sich nochmal nähern.“
Während der Sperrzeiten der Rabenstraße beim Schulcampus könnte das Parkhaus nicht vom Marktplatz her angefahren werden, bestätigte Robert Wenzel Martina Millers Vermutung. Das passe aber zur Strategie, Parkhäuser tunlichst von außen her – in diesem Fall von der Biberacher/Ulmer Straße – zu erschließen.
Das Parkhaus stehe fast leer und ziehe so kaum Verkehr aus der Innenstadt ab, konstatierte Ingrid Fromm – „was kann man tun, dass es angenommen wird?“Das sei eine berechtigte Frage, entgegnete Eva-Britta Wind. Das Parkhaus sei zu einem höchst ungünstigen Zeitpunkt eröffnet worden – „seit November sind wir im Lockdown“. Die Belegungszahlen seien deshalb momentan nicht repräsentativ. „Aber ja, dieses Angebot muss attraktiver werden“, räumte Wind ein. „Wir haben schon Ideen, aber unter Corona-Bedingungen ist vieles momentan nicht umsetzbar.“
Ulrike Beth aus Untersulmetingen mahnte, man möge die Teilorte nicht vergessen. Dort kämen viele erst gar nicht auf die Idee, den Bus zu nehmen, weil der Fahrplan so unattraktiv sei. Mit einem 20-Minuten-Takt tagsüber „wäre vielleicht schon viel geholfen“.