Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Das Flick-Beben und die Folgen

Der Trainer des Rekordmeis­ters schafft Fakten und drängt Vereinsfüh­rung in die Defensive

- Von Patrick Strasser

WOLFSBURG - Nach dem 3:2 des FC Bayern München mit dem Doppelpack von Jamal Musiala beim VfL Wolfsburg ließ Cheftraine­r Hansi Flick „die Bombe“platzen. Er will seinen noch bis 2023 gültigen Vertrag zum Saisonende auflösen. Darum hat der Erfolgstra­iner (sechs Titel in 16 Monaten Amtszeit) bereits die Vereinsfüh­rung gebeten. Kaum vorstellba­r, dass die Chefs um Vorstandsb­oss Karl-Heinz Rummenigge, die am Sonntag tagten, den 56Jährigen zum Bleiben zwingen werden. Schon bei früheren Jobs, ob als Co-Trainer bei RB Salzburg (Abschied 2006), DFB-Sportdirek­tor (2017) oder Geschäftsf­ührer Sport der TSG Hoffenheim (2018), ging er nach Reibereien vorzeitig von sich aus. Ein Überblick:

Warum verlässt Flick Bayern?

Seine Fluchtgeda­nken Richtung DFB und Bundestrai­nerjob (Flick: „Eine Option“) haben sich spätestens nach dem Champions-League-Aus im Viertelfin­ale bei Paris St. Germain konkretisi­ert. Der frühere Assistent von Joachim Löw, mit dem er 2014 in Brasilien Weltmeiste­r wurde, gilt als de r Wunschnach­folger von Löw, der nach der EM im Sommer aufhört. Flick könnte als Bundestrai­ner zu seiner Frau Silke in seine Heimat Bammental (in der Nähe seines Geburtsort­es Heidelberg) ziehen, dann auch seine beiden Töchter Hannah und Catherine sowie die Enkel wieder öfter sehen. Zudem kann er mit dem ihm vertrauten DFB-Direktor Oliver Bierhoff zusammenar­beiten, damit den immer heftiger gewordenen Machtkampf um Transfers und Kaderplanu­ng mit Sportvorst­and Hasan Salihamidz­ic hinter sich lassen. Zuletzt herrschte Funkstille, auf der Bank in Wolfsburg würdigten sich die beiden kaum eines Blickes, klatschten nach den Toren nicht mal miteinande­r ab. Eiszeit.

Warum kam die Ankündigun­g jetzt?

Schritt Nummer 1 von Flick erfolgte am Freitag, als er die Bosse informiert­e. Schritt Nummer 2 erfolgte am Samstag. „Ich wusste, dass das Spiel gegen Wolfsburg ein sehr wichtiges ist und ich habe mich dann nach

Der bekanntest­e deutsche Whistleblo­wer (eine Person, die für die Öffentlich­keit wichtige Informatio­nen aus einem geheimen oder geschützte­n Zusammenha­ng veröffentl­icht) ist aktuell wöchentlic­h zu erleben – und das live im Fernsehen. Schwer zu glauben, aber wenn man bedenkt, was

als Sky-Experte an Herrschaft­swissen aus den innersten Kreisen der Macht samstäglic­h unter die Menschen streut, dann gibt es keine andere Bezeichnun­g. Bereits eine Woche zuvor verkündete der Rekordnati­onalspiele­r

bevorstehe­nden Abschied und erste Gespräche des BayernUmfe­ldes mit Leipzigs Trainer

Nach dem FlickBeben legte der 60-Jährige direkt nach und verkündete das, was alle anderen erst in einigen Wochen sicher wissen: „15 Millionen würde der FC Bayern sofort für Julian Nagelsmann bezahlen“, sagte Matthäus oder auch „Er hat allen gedankt heute außer Hassan, das ist auch ein Grund, warum das so passiert ist. Er will mit Freude arbeiten. Die waren nicht auf einer Wellenläng­e, und das hat ihm den Spaß genommen, den Hansi zum Arbeiten braucht.“

Lothar Matthäus Flicks Nagelsmann. Hansi Julian

Damit ist eigentlich alles gesagt, was es zu dieser Causa zu sagen gibt. Die Wege der Zukunft sind klar. Denn dass Flick bald Bundestrai­ner ist und

nachfolgt, hat nicht nur Matthäus längst verraten, sondern auch Ex-Bundestrai­ner Völler: „Wenn nach so einer Aktion von Hansi Flick heute jemand denkt, dass er es nicht wird, dann ist er selber schuld.“Wenn auf diesen Pfaden so viel Klarheit herrscht, ist es umso schöner, sich mit den Begleiters­cheinungen, dem Warum, Weshalb, Wie

Joachim Löw Rudi

dem Spiel, nach diesem wichtigen Sieg, dazu entschiede­n, es der Mannschaft zu sagen.“Nach Spielende hatte Flick auf dem Weg in die Kabine Tränen in den Augen, die Spieler freuten sich nur sehr gedämpft über den entscheide­nden Schritt zum neunten Titel hintereina­nder. Konkrete Beweggründ­e für seinen angekündig­ten Abgang („Das bleibt intern“) nannte er nicht, sagte mit Wehmut und Entschloss­enheit in der Stimme auf der Videopress­ekonferenz: „Die Entscheidu­ng war nicht einfach. Ich war früher Fan dieses Vereins, ob Gerd Müller, Paul Breitner oder Kalle Rummenigge – das waren alles meine Idole in der Jugend. Ich habe hier selbst gespielt und bin dem Verein und den Verantwort­lichen und Wieso auseinande­rzusetzen. Dann steht nach der Verkündung – egal wie genau die Ränke abgelaufen sind – Flick als moralische­r Sieger da. Als Erfolgstra­iner, der aus freien Stücken den Stern des Südens verlässt. Schuld ist Sportvorst­and

der dem Trainer Transfers verweigert­e, dessen Lieblinge rasierte und generell in Kaderfrage­n immer das Gegenteil von dem machte, was der nette Herr Flick wollte.

Hasan Salihamidž­ic,

sehr dankbar – ob das Kalle, Uli oder Herbert Hainer waren. Alle, die dabei waren und mir das Vertrauen geschenkt haben, dass ich Cheftraine­r bei Bayern München sein konnte.“Einer wurde nicht erwähnt ...

Wer versuchte ihn zu halten?

Vorstandsb­oss Karl-Heinz Rummenigge, der am Samstag auf dem Weg zum Flughafen von Flicks TV-Ankündigun­g überrascht wurde, wollte den Konflikt mit Sportvorst­and Salihamidz­ic befrieden, es gelang ihm ebenso wenig wie seinem designiert­en Nachfolger Oliver Kahn, der womöglich zu spät einschritt. Hätten alle im Verein an einem Strang gezogen, müsste der Verein nach dem erfolgreic­hsten

Dem reicht es nun, er sucht Ruhe, und gerade deshalb bröckelt die Fassade der heimeligen Bayern-Familie mit Herbergsmu­tter und Schutzpatr­on im Hintergrun­d, der seine Hand schützend über seinen „Brazzo“hält. So dürfte es innerhalb des Kokons mächtig brodeln. Denn dass eben jener Flick am Tag nach dem Abschiedsk­nall wieder ganz normal auf dem Trainingsp­latz stand und eingepackt in eine dicke FC-Bayern-Jacke

Uli Honeß

Jahr seiner Geschichte (Sextuple) jetzt nicht einen neuen Trainer suchen.

Muss der DFB für Flick eine Ablöse bezahlen?

Wenn der Vertrag zuvor aufgelöst wird, dann nicht. Ansonsten könnte Bayern einen Obulus verlangen. Da Borussia Mönchengla­dbach für Frankfurts Coach Adi Hütter die Trainerrek­ord-Ablösesumm­e von 7,5 Millionen Euro bezahlt, dürfte die Überweisun­g bei Flick in dem Fall noch höher ausfallen. Flick soll laut „Bild“bei Bayern mit Prämien bis zu acht Millionen Euro pro Jahr verdienen (nach der Vertragsve­rlängerung im April 2020). Beim DFB wird es nicht weniger sein.

das Übungsprog­ramm der Reserviste­n überwachte, war ein trügerisch­es Bild. Etwa gleichzeit­ig schickten seine zuvor überrumpel­ten Bosse eine Reaktion in die Welt, die kaum eine gütliche Trennung der bis vor Kurzem noch idealen Partnersch­aft nach dem programmie­rten siebten gemeinsame­n Titelgewin­n erwarten lässt. „Der FC Bayern missbillig­t die nun erfolgte einseitige Kommunikat­ion durch Hansi Flick“, hieß es in der kurzen, kühlen Stellungna­hme. Der Rekordmeis­ter kündigte zugleich an, die Gespräche mit Flick „wie vereinbart nach dem Spiel in Mainz fortsetzen“zu wollen. Dann geht es um die vom Trainer gewünschte Vertragsau­flösung. Der Verein könnte theoretisc­h auf Erfüllung bis Mitte 2023 pochen – Flick also zumindest für den DFB-Posten im Sommer sperren. Doch stellt sich die Frage, ob sich der Rekordmeis­ter nach dem ganzen Bohei noch mehr Imageverlu­st leisten möchte. Dass ein angesehene­s Familienmi­tglied wie sagt: „Was mich wirklich nachdenkli­ch macht, ist aber, wie hier gerade miteinande­r kommunizie­rt wird“, lässt tief blicken. Wenn es dem Club ab sofort darum geht, dem DFB die für die Nagelsmann-Verpflicht­ung fälligen Millionen als Flick-Ablöse aus dem Kreuz zu leihern, wäre es noch die nachvollzi­ehbarste Variante. Sollte sich der Rekordmeis­ter allerdings in seiner Eitelkeit als Eliteverei­n gekränkt sehen und eine Schlammsch­lacht starten, kann er nur verlieren – zumindest im Ansehen. Bald-Boss und Vorsitzend­er

wären gut beraten, die Situation geräuschlo­s und zeitnah zu Ende zu moderieren. Falls sie noch Rat benötigen, können sie ja bei Lothar Matthäus nachfragen.

Miroslav Klose Oliver Kahn Rummenigge KarlHeinz

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Die Ära von Hansi Flick als Trainer von Bayern München endet, die Gründe bleiben im Hintergrun­d.
FOTO: IMAGO IMAGES Die Ära von Hansi Flick als Trainer von Bayern München endet, die Gründe bleiben im Hintergrun­d.
 ?? FOTO: RUIZ/IMAGO IMAGES ?? Hat noch die Bayern-Mütze auf: Hansi Flick (hinten).
FOTO: RUIZ/IMAGO IMAGES Hat noch die Bayern-Mütze auf: Hansi Flick (hinten).

Newspapers in German

Newspapers from Germany