Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Das Flick-Beben und die Folgen
Der Trainer des Rekordmeisters schafft Fakten und drängt Vereinsführung in die Defensive
WOLFSBURG - Nach dem 3:2 des FC Bayern München mit dem Doppelpack von Jamal Musiala beim VfL Wolfsburg ließ Cheftrainer Hansi Flick „die Bombe“platzen. Er will seinen noch bis 2023 gültigen Vertrag zum Saisonende auflösen. Darum hat der Erfolgstrainer (sechs Titel in 16 Monaten Amtszeit) bereits die Vereinsführung gebeten. Kaum vorstellbar, dass die Chefs um Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge, die am Sonntag tagten, den 56Jährigen zum Bleiben zwingen werden. Schon bei früheren Jobs, ob als Co-Trainer bei RB Salzburg (Abschied 2006), DFB-Sportdirektor (2017) oder Geschäftsführer Sport der TSG Hoffenheim (2018), ging er nach Reibereien vorzeitig von sich aus. Ein Überblick:
Warum verlässt Flick Bayern?
Seine Fluchtgedanken Richtung DFB und Bundestrainerjob (Flick: „Eine Option“) haben sich spätestens nach dem Champions-League-Aus im Viertelfinale bei Paris St. Germain konkretisiert. Der frühere Assistent von Joachim Löw, mit dem er 2014 in Brasilien Weltmeister wurde, gilt als de r Wunschnachfolger von Löw, der nach der EM im Sommer aufhört. Flick könnte als Bundestrainer zu seiner Frau Silke in seine Heimat Bammental (in der Nähe seines Geburtsortes Heidelberg) ziehen, dann auch seine beiden Töchter Hannah und Catherine sowie die Enkel wieder öfter sehen. Zudem kann er mit dem ihm vertrauten DFB-Direktor Oliver Bierhoff zusammenarbeiten, damit den immer heftiger gewordenen Machtkampf um Transfers und Kaderplanung mit Sportvorstand Hasan Salihamidzic hinter sich lassen. Zuletzt herrschte Funkstille, auf der Bank in Wolfsburg würdigten sich die beiden kaum eines Blickes, klatschten nach den Toren nicht mal miteinander ab. Eiszeit.
Warum kam die Ankündigung jetzt?
Schritt Nummer 1 von Flick erfolgte am Freitag, als er die Bosse informierte. Schritt Nummer 2 erfolgte am Samstag. „Ich wusste, dass das Spiel gegen Wolfsburg ein sehr wichtiges ist und ich habe mich dann nach
Der bekannteste deutsche Whistleblower (eine Person, die für die Öffentlichkeit wichtige Informationen aus einem geheimen oder geschützten Zusammenhang veröffentlicht) ist aktuell wöchentlich zu erleben – und das live im Fernsehen. Schwer zu glauben, aber wenn man bedenkt, was
als Sky-Experte an Herrschaftswissen aus den innersten Kreisen der Macht samstäglich unter die Menschen streut, dann gibt es keine andere Bezeichnung. Bereits eine Woche zuvor verkündete der Rekordnationalspieler
bevorstehenden Abschied und erste Gespräche des BayernUmfeldes mit Leipzigs Trainer
Nach dem FlickBeben legte der 60-Jährige direkt nach und verkündete das, was alle anderen erst in einigen Wochen sicher wissen: „15 Millionen würde der FC Bayern sofort für Julian Nagelsmann bezahlen“, sagte Matthäus oder auch „Er hat allen gedankt heute außer Hassan, das ist auch ein Grund, warum das so passiert ist. Er will mit Freude arbeiten. Die waren nicht auf einer Wellenlänge, und das hat ihm den Spaß genommen, den Hansi zum Arbeiten braucht.“
Lothar Matthäus Flicks Nagelsmann. Hansi Julian
Damit ist eigentlich alles gesagt, was es zu dieser Causa zu sagen gibt. Die Wege der Zukunft sind klar. Denn dass Flick bald Bundestrainer ist und
nachfolgt, hat nicht nur Matthäus längst verraten, sondern auch Ex-Bundestrainer Völler: „Wenn nach so einer Aktion von Hansi Flick heute jemand denkt, dass er es nicht wird, dann ist er selber schuld.“Wenn auf diesen Pfaden so viel Klarheit herrscht, ist es umso schöner, sich mit den Begleiterscheinungen, dem Warum, Weshalb, Wie
Joachim Löw Rudi
dem Spiel, nach diesem wichtigen Sieg, dazu entschieden, es der Mannschaft zu sagen.“Nach Spielende hatte Flick auf dem Weg in die Kabine Tränen in den Augen, die Spieler freuten sich nur sehr gedämpft über den entscheidenden Schritt zum neunten Titel hintereinander. Konkrete Beweggründe für seinen angekündigten Abgang („Das bleibt intern“) nannte er nicht, sagte mit Wehmut und Entschlossenheit in der Stimme auf der Videopressekonferenz: „Die Entscheidung war nicht einfach. Ich war früher Fan dieses Vereins, ob Gerd Müller, Paul Breitner oder Kalle Rummenigge – das waren alles meine Idole in der Jugend. Ich habe hier selbst gespielt und bin dem Verein und den Verantwortlichen und Wieso auseinanderzusetzen. Dann steht nach der Verkündung – egal wie genau die Ränke abgelaufen sind – Flick als moralischer Sieger da. Als Erfolgstrainer, der aus freien Stücken den Stern des Südens verlässt. Schuld ist Sportvorstand
der dem Trainer Transfers verweigerte, dessen Lieblinge rasierte und generell in Kaderfragen immer das Gegenteil von dem machte, was der nette Herr Flick wollte.
Hasan Salihamidžic,
sehr dankbar – ob das Kalle, Uli oder Herbert Hainer waren. Alle, die dabei waren und mir das Vertrauen geschenkt haben, dass ich Cheftrainer bei Bayern München sein konnte.“Einer wurde nicht erwähnt ...
Wer versuchte ihn zu halten?
Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge, der am Samstag auf dem Weg zum Flughafen von Flicks TV-Ankündigung überrascht wurde, wollte den Konflikt mit Sportvorstand Salihamidzic befrieden, es gelang ihm ebenso wenig wie seinem designierten Nachfolger Oliver Kahn, der womöglich zu spät einschritt. Hätten alle im Verein an einem Strang gezogen, müsste der Verein nach dem erfolgreichsten
Dem reicht es nun, er sucht Ruhe, und gerade deshalb bröckelt die Fassade der heimeligen Bayern-Familie mit Herbergsmutter und Schutzpatron im Hintergrund, der seine Hand schützend über seinen „Brazzo“hält. So dürfte es innerhalb des Kokons mächtig brodeln. Denn dass eben jener Flick am Tag nach dem Abschiedsknall wieder ganz normal auf dem Trainingsplatz stand und eingepackt in eine dicke FC-Bayern-Jacke
Uli Honeß
Jahr seiner Geschichte (Sextuple) jetzt nicht einen neuen Trainer suchen.
Muss der DFB für Flick eine Ablöse bezahlen?
Wenn der Vertrag zuvor aufgelöst wird, dann nicht. Ansonsten könnte Bayern einen Obulus verlangen. Da Borussia Mönchengladbach für Frankfurts Coach Adi Hütter die Trainerrekord-Ablösesumme von 7,5 Millionen Euro bezahlt, dürfte die Überweisung bei Flick in dem Fall noch höher ausfallen. Flick soll laut „Bild“bei Bayern mit Prämien bis zu acht Millionen Euro pro Jahr verdienen (nach der Vertragsverlängerung im April 2020). Beim DFB wird es nicht weniger sein.
das Übungsprogramm der Reservisten überwachte, war ein trügerisches Bild. Etwa gleichzeitig schickten seine zuvor überrumpelten Bosse eine Reaktion in die Welt, die kaum eine gütliche Trennung der bis vor Kurzem noch idealen Partnerschaft nach dem programmierten siebten gemeinsamen Titelgewinn erwarten lässt. „Der FC Bayern missbilligt die nun erfolgte einseitige Kommunikation durch Hansi Flick“, hieß es in der kurzen, kühlen Stellungnahme. Der Rekordmeister kündigte zugleich an, die Gespräche mit Flick „wie vereinbart nach dem Spiel in Mainz fortsetzen“zu wollen. Dann geht es um die vom Trainer gewünschte Vertragsauflösung. Der Verein könnte theoretisch auf Erfüllung bis Mitte 2023 pochen – Flick also zumindest für den DFB-Posten im Sommer sperren. Doch stellt sich die Frage, ob sich der Rekordmeister nach dem ganzen Bohei noch mehr Imageverlust leisten möchte. Dass ein angesehenes Familienmitglied wie sagt: „Was mich wirklich nachdenklich macht, ist aber, wie hier gerade miteinander kommuniziert wird“, lässt tief blicken. Wenn es dem Club ab sofort darum geht, dem DFB die für die Nagelsmann-Verpflichtung fälligen Millionen als Flick-Ablöse aus dem Kreuz zu leihern, wäre es noch die nachvollziehbarste Variante. Sollte sich der Rekordmeister allerdings in seiner Eitelkeit als Eliteverein gekränkt sehen und eine Schlammschlacht starten, kann er nur verlieren – zumindest im Ansehen. Bald-Boss und Vorsitzender
wären gut beraten, die Situation geräuschlos und zeitnah zu Ende zu moderieren. Falls sie noch Rat benötigen, können sie ja bei Lothar Matthäus nachfragen.
Miroslav Klose Oliver Kahn Rummenigge KarlHeinz