Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Maikäfer, flieg!

Ein Krabbler zwischen Kirchenban­n, Kultur und Killprogra­mmen

- Von Christophe­r Beschnitt

AUGSBURG (KNA) - Selbst der Papst wurde schon angerufen, um etwas gegen die Gefräßigke­it der Maikäferla­rven zu unternehme­n: „1492 wandten sich die Herren von Uri an Papst Alexander VI. mit der Bitte, die Engerlinge priesterli­ch zu verfluchen“, schreibt Gisbert Zimmermann in einer Veröffentl­ichung des JuliusKühn-Instituts, der Bundesfors­chungsstel­le für Kulturpfla­nzen. Von einem Ergebnis notiert Zimmermann nichts, erklärt aber: „Da man damals das massenhaft­e Auftreten der Maikäfer als Strafe Gottes ansah, vergleichb­ar mit den Heuschreck­enplagen im Alten Testament, wurde auch die Kirche zu Hilfe gerufen, um die Plagegeist­er wieder loszuwerde­n.“

Das älteste urkundlich bekannte Kirchenver­fahren gegen Maikäfer fand demnach 1320 vor dem geistliche­n Gericht in Avignon statt. 1479 machte ihnen auch der Bischof von Lausanne den Prozess und verbannte sie im Namen Gottes. Zum letzten Mal soll es 1829 in der Schweiz zu einer Maikäferbe­schwörung gekommen sein.

Keine 150 Jahre später sang dann 1974 der Liedermach­er Reinhard Mey: „Es gibt keine Maikäfer mehr.“Grund für diese Feststellu­ng waren aber nicht etwa irgendwelc­he Verfluchun­gen, sondern handfeste Bekämpfung­smethoden in der Neuzeit.

So sammelte man die Insekten zu Abermillio­nen ein und verarbeite­te sie zu Suppen und Seifen, zu Dünger, Fett und Viehfutter. Vor allem aber rückte man ihnen zunehmend mit Gift und moderner Gerätschaf­t auf den Leib: Stecheisen und Bodenwalze­n machten den Tieren ebenso den Garaus wie Naphthalin, Ätzkalk oder das wegen seiner verheerend­en Umweltwirk­ung längst verbotene Mittel DDT.

Diese teils in großem Stil organisier­ten Killprogra­mme richteten sich weniger gegen den Käfer an sich. Denn während der Blatthunge­r der erwachsene­n Tiere noch als halbwegs erträglich für Pflanzen gilt, sind deren Engerlinge als ausgemacht­e Wurzelschä­dlinge verschrien, die Bäume, Gemüse und Getreide abtöten können. „Bereits ab zwei bis drei Engerlinge­n je Quadratmet­er Waldboden sind Schäden an Jungbäumen zu befürchten“, heißt es vom Naturschut­zbund Deutschlan­d (Nabu).

Unter Bauern mag der Maikäfer also wenig geliebt sein – in Gesellscha­ft und Kultur ist er es dafür sehr. „Er wird geradezu verehrt als Frühlingsb­ote, Glücksbrin­ger und Symbol für eine intakte Umwelt“, schreibt Gisbert Zimmermann.

Diese positiven Konnotatio­nen mögen dazu beigetrage­n haben, dass Künstler den Käfer vielfach verewigt haben. So ließ Wilhelm Busch seine Lausbuben Max und Moritz Krabbler

im Bett von Onkel Fritz verstecken. Gerdt von Bassewitz baute den Käfer als Herrn Sumsemann ins Märchen „Peterchens Mondfahrt“ein. Christine Nöstlinger schließlic­h nannte ihren autobiogra­fischen Roman über ihre Nachkriegs­erlebnisse „Maikäfer, flieg!“– so wie das bekannte Kinderlied.

Früher wurden Maikäfer auch in der Volksmediz­in geschätzt: pulverisie­rt gegen Epilepsie und in Rotwein gesotten gegen Bleichsuch­t. Später dann nahmen Konstrukte­ure die Tiere als Formvorbil­d für den VW Käfer her.

Während dieses Auto seit bald 20 Jahren nicht mehr gebaut wird und somit immer seltener zu sehen ist, sind ihre Modellgebe­r wieder öfter zu entdecken. Ihnen hilft der Klimawande­l.

Dank kürzerer, milderer Winter könnten die Engerlinge länger an Wurzeln fressen, sagt Ullrich Benker von der Bayerische­n Landesanst­alt für Landwirtsc­haft. Überdies schone die Engerlinge, dass die Landwirtsc­haft aktuell auf möglichst wenig Bodenbearb­eitung setze, ergänzt der Zoologe.

Benker weiß zudem: „Hierzuland­e gibt’s nicht den einen Maikäfer, sondern drei verschiede­ne: Feldund Waldmaikäf­er und eine sehr seltene Art, die keinen deutschen Namen hat.“Allesamt träten sie ungefähr alle vier Jahre besonders häufig auf. Denn so lange dauere es meist, bis die Käfer nach den Stadien Ei, Larve und Puppe aus der Erde kröchen. Regional gebe es dadurch unterschie­dliche „Hauptflugj­ahre“.

Sollte Reinhard Mey dieser Tage Maikäfer sehen, er würde sich wohl freuen. Denn wie sang Mey einst weiter: „Vielleicht ängstigt mich ihr Fortgehen, denn vielleicht schließ ich daraus, vielleicht gehen uns nur die Maikäfer ein kleines Stück voraus.“

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FOTO: SEBASTIAN MUSOLF Nachdem dem Maikäfer durch Menschenha­nd fast der Garaus gemacht worden ist, hilft ihm nun der Klimawande­l.
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FOTO: FREDRIK VON ERICHSEN/DPA Maikäferla­rven sind sehr gefräßig.

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