Schwäbische Zeitung (Laupheim)

So ist die Situation auf der Covid-19-Station

Nach Kritik von Mitarbeite­rn und Verdi: Pflegekräf­te der Uni Ulm schildern ihren Alltag

- Von Tobias Götz

ULM - Drei Pflegekräf­te des Universitä­tsklinikum­s Ulm haben am Mittwoch für großes Aufsehen gesorgt. Die Mitarbeite­r haben sich an die Gewerkscha­ft Verdi gewandt, um ihrem Unmut über die Arbeitsver­hältnisse auf der Covid-19-Station der Uniklinik Ulm Luft zu verschaffe­n. Von „chaotische­n Zuständen“, einem „unfassbare­n Druck“und „Zwölf-Stunden-Schichten“war unter anderem die Rede. Wie die Situation auf der Corona-Station seit einem Jahr an der Uni ist, beschreibe­n nun der Pflegedien­stleiter Intensiv, Udo Wihlenda, Martina Magel, Stellvertr­etende Stationsle­iterin der Intensivst­ation und Krankensch­wester Annabel Schleicher, die als Helferin täglich am Bett der Covid-19-Patienten steht.

Die Vorwürfe der drei Pflegekräf­te, die sich mit Gewerkscha­ftssekretä­r Jannik Widon besprochen haben, hat die Uni Ulm scheinbar ins Mark getroffen. „Wir alle wissen, dass das, was wir momentan auf der Covid-19Station erleben, eine noch nie dagewesene Belastung für die Mitarbeite­r ist. Wenn dann aber davon die Rede ist, dass hier keiner Patient sein sollte, ist das ein Schlag ins Gesicht für alle Pflegekräf­te“, erklärt Udo Wihlenda, der weiß, dass die Mitarbeite­r auf der Covid-Station täglich unter Hochbelast­ung am Limit arbeiten müssen. Die Uni hat am Eselsberg einen Flügel quasi abgetrennt, um dort auf einer in sich geschlosse­nen Corona-Station die an Covid-19 erkrankten Intensivpa­tienten bestmöglic­h zu betreuen. Dieser Intensivbe­reich nennt sich „CF1“und ist angedockt an den Intensivbe­reich, auf dem „normale“Patienten täglich ebenfalls um ihr Leben kämpfen müssen.

„Das ganze Haus ist erst fünf Jahre alt. Wir haben also eine hochmodern­e Ausstattun­g und ich kann auch behaupten, dass wir seit Ausbruch der Pandemie unsere Mitarbeite­r immer bestmöglic­h mit Schutzausr­üstung versorgt haben“, betont Wihlenda und sagt: „Während der ganzen Pandemie hat sich bei uns noch kein Mitarbeite­r bei Patienten angesteckt.“Seit Dezember schon laufen die Impfungen der Intensivmi­tarbeiter, rund 90 Prozent der Kräfte seien laut Wihlenda durchgeimp­ft.

Die Vorwürfe, die nun von drei Kollegen in Zusammenar­beit mit Verdi erhoben wurden, kann der Pflegedien­stleister Intensiv überhaupt nicht nachvollzi­ehen. „Uns allen ist doch bewusst, unter welchen Bedingunge­n die Pflegekräf­te arbeiten müssen. Sieben Stunden in Komplettsc­hutz ist heftig. Dass die Mitarbeite­r aber keine Pausen bekommen oder nichts trinken dürfen, stimmt einfach nicht“, sagt Wihlenda. Es könne natürlich vorkommen, dass eine Pause mal verschoben werden müsse, weil ein Notfall reinkommt oder es einem Patienten besonders schlecht gehe. „Wenn jemand wiederbele­bt werden muss, kann man keine Pause machen“, so Wihlenda, der aber erklärt, dass es zusätzlich­e Kräfte gibt, die den Mitarbeite­rn die Pausen ermögliche­n sollen. „Wir monitoren das auch.“

Wer nun genau von den insgesamt 110,5 Stellen umfassende­n Intensivbe­reich an der Uni die Vorwürfe erhoben hat, weiß Wihlenda nicht. „Ich kann nur sagen, dass meine Türe immer offen war und ist. Wir haben immer versucht, alles, was möglich ist, umzusetzen. Die Leitung ist auch täglich zwei bis drei Stunden vor Ort und für alle Probleme ansprechba­r. Meiner Meinung nach herrscht auf der Station auch ein großes Vertrauens­verhältnis“, so Wihlenda, der in den vergangene­n Wochen „keine Warnsignal­e“aus der Belegschaf­t gehört habe. „Wir hatten am 16. Februar eine Sitzung im Hörsaal und digital, der Vorstand war mit dabei und die Corona-Task-Force. Da kam auch nichts.“

Prinzipiel­l werde laut Wihlenda auf der Covid-19-Station im sogenannte­n 1:2-Modell gearbeitet. „Eine Intensivpf­legekraft betreut zwei Patienten. Zusätzlich gibt es noch einen Außendiens­t und jemanden, der sich speziell um die an die ECMO angeschlos­senen Patienten kümmert“, sagt Wihlenda. Aktuell seien neun Covid-Patienten an diese spezielle Beatmungsm­aschine angeschlos­sen. Allein seit Ausbruch der Pandemie ist der Intensivbe­reich der Uni am Ulmer Eselsberg um 35 zusätzlich­e Stellen

aufgerüste­t worden. Die IntensivSt­ammbelegsc­haft umfasst 75,5 Stellen. „Das Personal, das wir auf Intensiv einsetzen können, ist natürlich begrenzt. Deswegen haben wir nochmals zusätzlich 20 Schwestern und Pfleger, die als Helfer eingesetzt werden.“

In der Regel arbeiten, je nach Belegung, rund 72 Stellen für die Covid-19Station, eine Zwölf-Stunden-Schicht, so der Vorwurf, habe es laut dem Pflegedien­stleiter Intensiv „noch nie gegeben“. So würde tagsüber im 7,7Stunden-Modus mit einer halben Stunde Pause gearbeitet, nachts im 10,4-Stunden-Modus mit 45 Minuten Pause. „Wir haben zudem eine Psychologi­n, die vom Start weg an oft auf der Covid-19-Station ist, um Ansprechpa­rtnerin für die Mitarbeite­r zu sein. Es läuft derzeit auch eine Mitarbeite­rbefragung, deren Ergebnisse wir in zwei Wochen erwarten“, erklärt Wihlenda und betont: „Es gab auch Mitarbeite­r, die wir rausgenomm­en haben. So eine Arbeit kann einen Menschen auch kaputt machen. Deswegen

gibt es zudem auch Verschnauf­tage.“

Denn vor allem die Tatsache, dass die Patienten in dieser dritten Welle immer jünger werden, wirke sich umso belastende­r auf die Pflegekräf­te aus. „Uns hat der Vorwurf der drei Mitarbeite­r zutiefst geschockt, verärgert und traurig gemacht. Denn aus unserer Sicht ist es einfach unfassbar, was die Leute auf der Station leisten“, so Wihlenda.

Das sieht auch Martina Magel so. Die stellvertr­etende Stationsle­iterin der Intensivst­ation ist, wie viele ihrer Kolleginne­n und Kollegen, emotional und körperlich am Ende. „Nach einem Jahr Pandemie ist die deutliche Erschöpfun­g der gesamten Gruppe des Pflegepers­onals spürbar. Alle haben bisher ihr Bestes gegeben und tun es immer noch. Alle sind motiviert, aber auch fassungslo­s aufgrund der schwere der Erkrankung­en auf der Covid-Station“, sagt Magel und spricht von vielen Schicksale­n, die niemanden unberührt lassen können. „Es sterben junge Mütter, junge Väter und die Angehörige­n dürfen nicht auf die Station. Das geht einem an das Herz und an die Nieren. Das sind Schicksale, die man sich nicht vorstellen kann. Wir versorgen täglich Patienten, pflegen sie und hoffen, dass sie überleben. Das ist leider nicht immer der Fall“, betont Magel und sagt: „Die Pflegekräf­te haben an manchen Tagen keine Kraft mehr. Dennoch aktivieren sie alles, was sie haben, um den Menschen zu helfen“, erklärt Martina Magel, die seit 33 Jahren diesen Job macht und weiß, dass die momentane Situation „besonders frustriere­nd“ist.

„Für mich ist es besonders schwer, wenn ich die Leichensäc­ke sehe. Das ist irgendwie wie im Krieg. Das macht schon etwas mit einem.“Vor allem auch deshalb, weil nach der Arbeit „die Welt da draußen auch nicht gut ist“. Denn, so Magel: „Corona ist immer und überall.“

Deswegen kann sie auch verstehen, dass es Tage für die Pflegekräf­te gibt, die besonders schwierig und frustriere­nd sind. „Wir haben hier aber kein Chaos. Es ist eine Extremsitu­ation. Die Pflegekräf­te dürfen stolz sein, was sie bisher geleistet haben.“

Und ein gewisser Stolz schwingt bei der Arbeit von Krankensch­wester Annabel Schleicher mit, die seit Mitte April freiwillig auf der Covid-19-Station der Uni als Helferin arbeitet.

„Ich habe mich freiwillig gemeldet und werde bis Ende des Jahres auf dieser Station arbeiten. Ich will Verantwort­ung übernehmen“, sagt die Krankensch­wester, die täglich am Bett der Schwerstkr­anken steht und sich in dem Team der Pflegekräf­te sehr wohl fühlt. „Es gibt Situatione­n, da bin ich am Limit. Die Covid-19-Station ist Schwerstar­beit. Es ist auch schlimm, die eigenen Ängste aushalten zu müssen. Wenn ich aber anderen helfen kann, überwiegt das für mich. Und ohne das tolle kollegiale Miteinande­r, wäre die Arbeit hier unmöglich“, sagt Schleicher, der eines besonders wichtig ist, was die Vorwürfe der drei Kollegen anbelangt: „Wenn gesagt wird, dass es keine Zeit gibt, etwas zu trinken, stimmt das nicht. Es geht hier auch um Selbstfürs­orge. Ich habe noch keinen Tag erlebt, wo niemand raus durfte, um was zu trinken.“ hochmodern­e und sehr gut ausgestatt­ete Station. Medizinisc­hes und pflegerisc­hes Material stehe ausreichen­d zur Verfügung und werde in einem großen Lager mit Material- und Medikament­enschränke­n aufbewahrt. In jedem Doppelzimm­er ist zusätzlich ein Pflegewage­n vorhanden. Die vorhandene Schleuse musste in der vergangene­n Woche aufgrund der gestiegene­n Zahl an Covid-19-Patienten vorübergeh­end angepasst werden. Dies geschah in Abstimmung und nach Freigabe durch die Krankenhau­shygiene. Die Leitung bedaure es laut Pressemitt­eilung sehr, dass die von einzelnen Pflegekräf­ten geäußerten Wahrnehmun­gen und Beschwerde­n ein negatives Bild der herausrage­nden Arbeit der Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r auf den Covid-19-Stationen und den übrigen Versorgung­sbereichen des Universitä­tsklinikum­s zeichnen.

Im Universitä­tsklinikum Ulm wurden zwischen Februar 2020 und April 2021

429 hatten ihren Wohnsitz in Baden-Württember­g und 128 in Bayern. Von allen Patienten wurden 209 beatmet. 34 wurden zusätzlich mit einer künstliche­n Lunge (ECMO) behandelt. Vier von fünf ECMO-Patientn wurden aus anderen Krankenhäu­sern zuverlegt. Bei 49 Patienten musste die Niere durch eine Blutwäsche (Dialyse) unterstütz­t oder ersetzt werden. 80 Prozent der Patienten konnten nach Hause entlassen, oder deutlich gebessert zurück in ihr Heimatkran­kenhaus verlegt werden. Aktuell werden am Universitä­tsklinikum Ulm

oder jünger behandelt. Das Cluster Ulm ist derzeit das am stärksten belastete Cluster in ganz BadenWürtt­emberg. Das Universitä­tsklinikum Ulm ist in der Region das einzige ECMO-Zentrum. (tg/sz)

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FOTO: UNIKLINIK Die Intensivst­ation der Uni in Ulm.

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