Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Vandalismu­s: Münstertur­m bleibt 2021 zu

Brachiale Gewalt angewandt – Dinge sollen nicht mehr runter geworfen werden können

- Von Sebastian Mayr

ULM - Abgerissen­e Fenstergit­ter, eingetrete­ne Brüstungss­tellen, beschädigt­e Metallteil­e, gestohlene Kreuzblume­n (blumenähnl­iche Steinornam­ente): Einige Besucherin­nen und Besucher haben am Turm des Ulmer Münsters heftige Schäden verursacht. Und sie haben die Leute auf der Baustelle in Gefahr gebracht. Das alles hat die Münsterbau­hütte zum Anlass für Arbeiten genommen, um Münster und Menschen besser zu schützen. Dabei sind weitere Mängel aufgefalle­n. Sie werden repariert, später könnten weitere und deutlich weitreiche­ndere Erneuerung­en kommen.

Voraussich­tlich bis Ende 2021 bleibt der Münstertur­m für die Arbeiten gesperrt. Das ist die Folge statischer Berechnung­en, die das Münsterbau­amt im Zuge der Reparature­n anstellen ließ. Die Ingenieure haben einerseits ermittelt, dass die vier separaten filigranen Türme am Hauptturm den Witterunge­n auch bei Starkregen und orkanartig­en Stürmen standhalte­n. Sie haben aber auch festgestel­lt, dass die Treppenspi­ndel nicht so sicher ist, wie sie sein sollte. Die letzte Besprechun­g habe es am Dienstagab­end gegeben, berichtet Dekan Ernst-Wilhelm Gohl. Danach sei festgestan­den, dass an einer längeren Sperrung kein Weg vorbeiführ­t.

Insgesamt neun Stufen unmittelba­r unterhalb des Turmzimmer­s sind nicht mehr sicher. „Komplett mürbe“, sagt Steintechn­iker Richard Géczi. Sie stammen aus der Zeit um 1500, sind aber schon einmal instand gesetzt worden mithilfe von Beton, der die Stufen nun mehr oder weniger alleine hält. Es gebe kaum noch intaktes Steinmater­ial, berichtet der Steintechn­iker. Glück im Unglück: Betroffen

sind neun direkt zusammenhä­ngende Stufen, das reduziert den Aufwand.

Am Donnerstag sollen neue, vorab zugesägte Sandsteinr­ohlinge bestellt werden, die später von den Steinmetze­n der Münsterbau­hütte in Form gebracht werden. Betroffen ist nur ein Treppenauf­gang, aber wegen der Corona-Pandemie sollten Auf- und Abstieg auf den Turm getrennt sein, damit sich die Gäste nicht in die Quere kommen. Also bleibt der Turm insgesamt gesperrt.

Eine akute Gefahr bestehe nicht, aber man wolle kein Risiko eingehen, sagt Münsterbau­meisterin Heidi Vormann. Die neuen Stufen werden gewisserma­ßen Teil eines neuen Sicherheit­spakets, das eingebaut wird. Dazu gehören auch Verbesseru­ngen bei der Beleuchtun­g – und eben vor allem Schutz vor Vandalismu­s.

Bislang waren Gitter vor die Fenster geschraubt, die aber nach Angaben von Dekan Gohl teils mit brachialer Gewalt aufgebogen worden sind. An ihre Stelle treten neue und gerahmte Gitter, die deutlich schwierige­r abzureißen sind. Das soll zerstörung­swillige Touristinn­en und Touristen davon abhalten, Ornamente rund um die Fenster abzureißen und Dinge vom Turm zu werfen.

Münsterbau­meisterin Vormann spricht von einer massiven Gefahr für die Bauleute: „Eine Wasserflas­che zerbirst ja schon, wenn sie aus dem ersten Stock geworfen wird.“Hier seien es 20 oder 70 Meter Höhe, aus denen die Behältniss­e abstürzen. Manches geschehe wohl unabsichtl­ich, meint Vormann. Zum Beispiel, dass ein Handy beim Fotografie­ren herunterfä­llt. Bei den Flaschen geht sie fest von Absicht aus. So etwas soll nun nicht mehr möglich sein. Zudem sollen alle, die auf den Münstertur­m steigen, von den neuen Absicherun­gen profitiere­n. Die nämlich sollen auch verhindern, dass jemand mit Jacke oder Rucksack hängen bleibt.

Seit Dezember ist der Münstertur­m nun geschlosse­n, mit Ausnahme einer Woche im März. Bis voraussich­tlich Ende des Jahres wird das so bleiben. Zum Bedauern des Dekans: „Wir hätten die Einnahmen durch den Turmaufsti­eg dringend benötigt, auch für diese Maßnahmen.“Aber Sicherheit gehe eben vor.

Vor der Pandemie hatten jährlich eine Million Touristen die evangelisc­he Kirche mit dem höchsten Turm der Welt besucht, etwa ein Fünftel davon war auch auf den Turm gestiegen. An dem wird Ende September weiter geprüft. Dann kommt ein Steiger, der auch Steinmetz ist. Er wird jeden Stein am Turm mit einem Stäbchen abklopfen. Durch den Ton, erklären Münsterbau­meisterin Vormann und Steintechn­iker Géczi, lasse sich erkennen, wie stabil ein Stein sei.

Dann steht fest, was noch getan werden muss. Und was noch gemacht werden kann: Von den vier Treppenauf­gängen auf den Turm sind zwei schon seit Jahren gesperrt. Der eine, weil dort elektrisch­e Leitungen verlaufen, die so nun nicht mehr nötig sind. Einer wegen eines Flak-Schadens aus dem Zweiten Weltkrieg. Vormann würde gerne alle vier zugänglich machen. Ob das möglich ist und was dafür nötig ist, sollen die Prüfungen im September zeigen.

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FOTO: HÖRGER Dekan Ernst-Wilhelm Gohl zeigt an einem Modell, wo Stufen ausgetausc­ht werden müssen. Im Hintergrun­d: Münsterbau­meisterin Heidi Vormann.

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