Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Vandalismus: Münsterturm bleibt 2021 zu
Brachiale Gewalt angewandt – Dinge sollen nicht mehr runter geworfen werden können
ULM - Abgerissene Fenstergitter, eingetretene Brüstungsstellen, beschädigte Metallteile, gestohlene Kreuzblumen (blumenähnliche Steinornamente): Einige Besucherinnen und Besucher haben am Turm des Ulmer Münsters heftige Schäden verursacht. Und sie haben die Leute auf der Baustelle in Gefahr gebracht. Das alles hat die Münsterbauhütte zum Anlass für Arbeiten genommen, um Münster und Menschen besser zu schützen. Dabei sind weitere Mängel aufgefallen. Sie werden repariert, später könnten weitere und deutlich weitreichendere Erneuerungen kommen.
Voraussichtlich bis Ende 2021 bleibt der Münsterturm für die Arbeiten gesperrt. Das ist die Folge statischer Berechnungen, die das Münsterbauamt im Zuge der Reparaturen anstellen ließ. Die Ingenieure haben einerseits ermittelt, dass die vier separaten filigranen Türme am Hauptturm den Witterungen auch bei Starkregen und orkanartigen Stürmen standhalten. Sie haben aber auch festgestellt, dass die Treppenspindel nicht so sicher ist, wie sie sein sollte. Die letzte Besprechung habe es am Dienstagabend gegeben, berichtet Dekan Ernst-Wilhelm Gohl. Danach sei festgestanden, dass an einer längeren Sperrung kein Weg vorbeiführt.
Insgesamt neun Stufen unmittelbar unterhalb des Turmzimmers sind nicht mehr sicher. „Komplett mürbe“, sagt Steintechniker Richard Géczi. Sie stammen aus der Zeit um 1500, sind aber schon einmal instand gesetzt worden mithilfe von Beton, der die Stufen nun mehr oder weniger alleine hält. Es gebe kaum noch intaktes Steinmaterial, berichtet der Steintechniker. Glück im Unglück: Betroffen
sind neun direkt zusammenhängende Stufen, das reduziert den Aufwand.
Am Donnerstag sollen neue, vorab zugesägte Sandsteinrohlinge bestellt werden, die später von den Steinmetzen der Münsterbauhütte in Form gebracht werden. Betroffen ist nur ein Treppenaufgang, aber wegen der Corona-Pandemie sollten Auf- und Abstieg auf den Turm getrennt sein, damit sich die Gäste nicht in die Quere kommen. Also bleibt der Turm insgesamt gesperrt.
Eine akute Gefahr bestehe nicht, aber man wolle kein Risiko eingehen, sagt Münsterbaumeisterin Heidi Vormann. Die neuen Stufen werden gewissermaßen Teil eines neuen Sicherheitspakets, das eingebaut wird. Dazu gehören auch Verbesserungen bei der Beleuchtung – und eben vor allem Schutz vor Vandalismus.
Bislang waren Gitter vor die Fenster geschraubt, die aber nach Angaben von Dekan Gohl teils mit brachialer Gewalt aufgebogen worden sind. An ihre Stelle treten neue und gerahmte Gitter, die deutlich schwieriger abzureißen sind. Das soll zerstörungswillige Touristinnen und Touristen davon abhalten, Ornamente rund um die Fenster abzureißen und Dinge vom Turm zu werfen.
Münsterbaumeisterin Vormann spricht von einer massiven Gefahr für die Bauleute: „Eine Wasserflasche zerbirst ja schon, wenn sie aus dem ersten Stock geworfen wird.“Hier seien es 20 oder 70 Meter Höhe, aus denen die Behältnisse abstürzen. Manches geschehe wohl unabsichtlich, meint Vormann. Zum Beispiel, dass ein Handy beim Fotografieren herunterfällt. Bei den Flaschen geht sie fest von Absicht aus. So etwas soll nun nicht mehr möglich sein. Zudem sollen alle, die auf den Münsterturm steigen, von den neuen Absicherungen profitieren. Die nämlich sollen auch verhindern, dass jemand mit Jacke oder Rucksack hängen bleibt.
Seit Dezember ist der Münsterturm nun geschlossen, mit Ausnahme einer Woche im März. Bis voraussichtlich Ende des Jahres wird das so bleiben. Zum Bedauern des Dekans: „Wir hätten die Einnahmen durch den Turmaufstieg dringend benötigt, auch für diese Maßnahmen.“Aber Sicherheit gehe eben vor.
Vor der Pandemie hatten jährlich eine Million Touristen die evangelische Kirche mit dem höchsten Turm der Welt besucht, etwa ein Fünftel davon war auch auf den Turm gestiegen. An dem wird Ende September weiter geprüft. Dann kommt ein Steiger, der auch Steinmetz ist. Er wird jeden Stein am Turm mit einem Stäbchen abklopfen. Durch den Ton, erklären Münsterbaumeisterin Vormann und Steintechniker Géczi, lasse sich erkennen, wie stabil ein Stein sei.
Dann steht fest, was noch getan werden muss. Und was noch gemacht werden kann: Von den vier Treppenaufgängen auf den Turm sind zwei schon seit Jahren gesperrt. Der eine, weil dort elektrische Leitungen verlaufen, die so nun nicht mehr nötig sind. Einer wegen eines Flak-Schadens aus dem Zweiten Weltkrieg. Vormann würde gerne alle vier zugänglich machen. Ob das möglich ist und was dafür nötig ist, sollen die Prüfungen im September zeigen.