Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Plötzlich lag ein Talib tot neben mir auf dem Boden“

Der Deutsch-Afghane Sharam Gulzad hat das Chaos am Flughafen Kabul hautnah miterlebt

- Von Ellen Hasenkamp

BERLIN - Er war einer von sieben Menschen, die Kabul mit dem ersten Evakuierun­gsflug der Bundeswehr verlassen haben. Im Interview spricht der Deutsch-Afghane Sharam Gulzad über die brenzlige Lage am Flughafen und seine zwiespälti­gen Gefühle nach der Rettung.

Wann haben Sie gemerkt, dass es für Sie gefährlich wird?

Am Freitag und Samstag tauchten die ersten Gerüchte auf, dass die Taliban nach Kabul einrücken wollen. Das haben wir aber erst mal nicht richtig geglaubt. Irgendwann haben sich die Nachrichte­n förmlich überschlag­en, aber niemand wusste, was nun wirklich wahr ist. Am Sonntag habe ich dann einen Anruf von einer wirklich verlässlic­hen Quelle bekommen, dass die Taliban Hausdurchs­uchungen machen – und dass wir auch auf der Liste stehen.

Warum sind Sie im Visier der Taliban?

Ich gehöre zu einer der ältesten Handelsfam­ilien in Afghanista­n, uns gehören viele Geschäfte und Gebäude. Vor allem aber haben wir zwei Fernsehsen­der finanziert, Afghanista­n Youth TV und Zan TV, einer davon für Frauen und Jugendlich­e, den habe ich gegründet und mit eigenem Geld unterstütz­t.

Und was sind Ihre Verbindung­en nach Deutschlan­d?

Ich bin Deutsch-Afghane und in Hamburg aufgewachs­en. Ich bin aber vor Jahren schon nach Afghanista­n zurückgeke­hrt, um mich für meine Heimat dort zu engagieren und dort etwas aufzubauen.

Wie ging es in Kabul weiter?

Wir haben die Nacht zu Montag auf einem schwer bewachten und gesicherte­n Gelände eines Freundes in der Nähe des Flughafens verbracht und sind Montagfrüh dann mit einer kleinen Gruppe aus anderen Europäern, Amerikaner­n und Kanadiern zum Militärflu­ghafen. Die US-Soldaten dort haben aber die Türen nicht aufgemacht, und wir haben erst mal gewartet; wir hatten zum Glück anfangs noch unsere gepanzerte­n Autos.

Vor dem Flughafen brach aber im Laufe des Tages das Chaos aus.

Es wurde immer voller und hektischer. Wir haben uns immer mehr Sorgen gemacht, dass wir gar nicht mehr durchkomme­n zum Gate. Und dann waren plötzlich die Taliban da. Zum ersten Mal in meinem Leben stand ich denen direkt gegenüber.

Konnten Sie mit denen sprechen?

Ja, die waren erst auch ganz ruhig und beinahe höflich, wir konnten ihnen erklären, was wir vorhaben, sie wollten uns sogar helfen, zum Gate durchzukom­men. Dann ist alles eskaliert, die Taliban haben angefangen rumzuschie­ßen, die Menschen sind weggelaufe­n, dann haben die US-Soldaten auch geschossen und plötzlich lag ein Talib tot neben mir auf dem Boden. Daraufhin haben die anderen ihre Waffen auf mich gerichtet, einer hat neben meinen Fuß geschossen.

Und dann?

Irgendwie hat sich das wieder beruhigt. Wir haben dann weiter gewartet, stundenlan­g, es war voll, heiß, es gab kein Wasser; Menschen haben geschrien, geweint, sind ohnmächtig geworden. Und plötzlich, als wir schon dachten, es passiert nichts mehr, ging eine kleine Tür auf und einer nach dem anderen durften wir rein. Und ich muss sagen, ab dem Moment haben sich die Deutschen ganz toll um uns gekümmert, uns versorgt, aufgemunte­rt, in einen ruhigen Raum gebracht.

Sie saßen dann ja, in dem ersten Bundeswehr-Flieger, der rausging. Haben Sie sich gewundert, dass nur insgesamt sieben Gerettete an Bord waren?

Nein, denn der Abflug war total hektisch, es war überhaupt keine Zeit für irgendwas. Zu dem Zeitpunkt war nicht klar, ob nicht in der nächsten Sekunde die Tausenden Menschen vor dem Flughafen die Gitter stürmen und das Rollfeld komplett überrennen.

Als der A400M dann in der Luft auf dem Weg nach Taschkent war, was war das für ein Gefühl?

Es war ein sehr besonderer Moment meines Lebens. Ich wusste ja wirklich lange nicht, ob ich es lebend rausschaff­e. Ein deutscher Soldat hat mir dann eine Flasche Wasser gereicht und als ich das getrunken habe, war das ein geradezu symbolisch­er Augenblick.

Wie geht es jetzt für Sie weiter?

Ich werde erst mal nach Hamburg gehen zu meiner Familie. Aber ich mache mir sehr große Sorgen um viele Freunde und Bekannte, ich schreibe den ganzen Tag Nachrichte­n und Mails, manche antworten nicht und dann weiß man nicht, was los ist. Die machen jetzt alle durch, was ich durchgemac­ht habe – und ich muss jetzt sozusagen damit klarkommen, dass ich in Sicherheit bin und die nicht. Das ist nicht leicht.

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