Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Er hilft bei Schulden und in Lebenskrisen
Fast 30 Jahre lang hat Wolfgang Göser Menschen unterstützt, die Verbindlichkeiten nicht begleichen können – Internet ist ein Problem
NEU-ULM - Da war eine Frau mit Schulden in Höhe von mehr als einer Million Euro. Da waren Menschen, die nur ein paar Hundert Euro nicht bezahlen konnten und trotzdem keinen Ausweg sahen. Da waren Leute, die mehr als 50 Gläubiger bedienen mussten. Wolfgang Göser hat ihnen geholfen, fast 30 Jahre lang. Göser wird im kommenden Frühjahr 70, nun geht er in den Ruhestand. All die Schicksale, denen er begegnet ist, hat er im Büro gelassen, damit sie ihn zuhause nicht belasten. Und doch sind da Fälle, die der Schuldnerberater des Landkreises Neu-Ulm wohl nicht vergessen wird.
Wolfgang Göser mag seinen Beruf, auch nach 29 Jahren. Eigentlich hätte 2017 schon Schluss sein sollen, doch er hängte drei Jahre dran. Und weil die Corona-Pandemie die Einarbeitung der neuen Kollegin Jasmin Weber im vergangenen Jahr kaum möglich machte, verlängerte der Sigmaringer noch einmal. Ende September ist endgültig Schluss. Dann ist Zeit für Haus und Garten, für die Familie, für sein Hobby Programmieren. Und Zeit, um auszuschlafen. Denn seit Göser aus dem Erbacher Stadtteil Dellmensingen zurück in seinen Heimatort Sigmaringen gezogen ist, steht er täglich um 4.20 Uhr auf, um pünktlich im Landratsamt in der Kantstraße zu sein.
Dort trifft der studierte Sozialpädagoge Asylbewerber, die mehr Geld für ein Fitnessstudio oder einen Telefonvertrag ausgeben, als sie überhaupt haben. Er trifft Menschen mit mehr als 50 Gläubigern. Er trifft Menschen, die sich mehrmals so stark verschulden, dass sie Insolvenz anmelden müssen. Und er trifft Menschen, die nach ein paar Jahren wiederkommen und Wolfgang Göser berichten, dass alles richtig gut geklappt habe mit dem Zahlungsplan.
Bevor er die Stelle als Schuldnerberater für den Landkreis antrat, hatte er seine Arbeitgeber immer wieder gewechselt. Was in Neu-Ulm anders war? „Die Leute sind dankbar“, sagt der 69-Jährige.
Seit der Jahrtausendwende bis Juni 2020 hat es 6460 Beratungen gegeben, der jährliche Durchschnitt liegt bei 320. Die Zahlen aus den Jahren davor sind nicht statistisch erfasst. Wolfgang Göser hat hochgerechnet, wie viele Beratungen es gewesen sein dürften: rund 9400 zwischen April 1992 und heute. Einmalige Telefonate, Einzeltermine wegen erforderlicher Dokumente, Kurzzeitberatungen, Schuldnerberatungen und Insolvenzberatungen. Der Übergang, sagt Göser, sei fließend. Und das Ziel immer gleich: Privatinsolvenzen vermeiden, durch Vereinbarungen mit den Gläubigern und mithilfe von Zahlungsplänen. In denen steht, wann jemand wie viel von seinem wenigen übrigen Geld an wen bezahlen muss.
Der Erfolg der Beratungen hängt auch vom Vertrauen ab, das die Schuldnerinnen und Schuldner Wolfgang Göser entgegenbringen. Vertrauen, das manchmal fehlt. Da gab es einen Mann, der eine Sucht verheimlichen wollte. Da war auch jemand, der Schulden nicht bezahlen wollte, obwohl das Geld dafür eigentlich überhaupt nicht fehlte.
Wolfgang Göser hat sich selbst erarbeitet, wie man Menschen in finanzieller Not berät. Später hat er auch Fortbildungen belegt. Heute gibt es sogar Studiengänge. Aber: „Den Umgang mit Menschen kann man nicht studieren“, sagt Göser. Er habe immer versucht, die Menschen inhaltlich abzuholen. Auf ihre Lage einzugehen. Herauszufinden, was eigentlich hinter den finanziellen Sorgen
steckte: „Die Verschuldung ist ja nicht der eigentliche Grund, der liegt viel tiefer.“
Die wesentliche Ursache, sagt Göser, sei immer der gleiche geblieben: Dass Menschen auf einmal weniger Geld zur Verfügung haben. Weil sie ihren Job verlieren, weil sie sich von ihrem Partner trennen oder scheiden lassen, weil sie in Kurzarbeit geschickt werden. Meistens treffe es Leute, die ohnehin nicht übermäßig viel verdienen. In den Beratungen schaut Göser dann, was für Miete, Strom und Lebensunterhalt ausgegeben wird. Und wie viel dann noch übrig bleibt, um Verbindlichkeiten zumindest teilweise zu begleichen. Er hört sich aber auch an, wie die Menschen überhaupt in ihre missliche Lage gekommen sind und welche Sorgen sie mit sich herumtragen. Vor Jahren hat er einem Mann geraten, einen Liebesbrief an seine Frau zu schreiben, die ihn verlassen hatte. Ob es geholfen hat? Der Klient meldete sich nicht mehr.
Seit etwas mehr als zehn Jahren steigt Gösers Beobachtung zufolge die Zahl der Probleme, die mit dem Internet zusammenhängen. Handyverträge, Online-Abos, Ratenzahlungen. Oft seien es junge Leute, die den Überblick verlören und sich verschuldeten. Manchmal gebe es auch zwielichtige Gläubiger, Erotik-Portale im Netz zum Beispiel. Manche Fälle sind dem Schuldnerberater nahe gegangen. Dann hat er das getan, was er seinen Klientinnen und Klienten auch geraten hat: die Gedanken abgelegt, an der Stempeluhr vor dem Nachhauseweg oder in einem leeren Leitz-Ordner. „Wenn ich die Probleme der Menschen zu meinen Problemen mache, kann ich nicht helfen.“
Die Schuldnerberatungsstelle ist unter Telefon 0731 / 7040-52540 oder -52530 zu erreichen.