Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Mit Haut und Haar

Rasieren, epilieren, zupfen: Die Entfernung von Körperbeha­arung hat eine lange Geschichte – Inzwischen regt sich Widerstand gegen den „Enthaarung­s-Imperativ“

- Von Angela Stoll

wie jedes andere Schönheits­ideal auch eine soziale Komponente, sagt Krause. „Sie ist von Kultur zu Kultur und Gesellscha­ft zu Gesellscha­ft unterschie­dlich.“In islamische­n Kulturen etwa gehört die Entfernung von Achsel- und Schamhaare­n zu den religiösen Reinlichke­itspflicht­en. Dagegen gilt in Japan volles Schamhaar bei Frauen als besonders schön, wie Borkenhage­n berichtet. Auch in Mitteleuro­pa gab es über die Jahrhunder­te hinweg immer wieder neue Strömungen. Schon im Mittelalte­r war den Menschen Körperhaar­entfernung nicht fremd, schreibt Frank Gnegel in seinem Buch „Bart ab“. Eine größere Rolle begann sie ab dem 19. Jahrhunder­t zu spielen, als durchsicht­ige Stoffe und kurze Ärmel aufkamen. Gleichzeit­ig begann sich eine Kosmetikin­dustrie zu entwickeln, die Enthaarung­smittel auf den Markt brachte.

Ein gesellscha­ftliches Muss waren haarlose Achseln aber erst nach 1900, als ärmellose Kleider in Mode kamen. In Folge stieg die Nachfrage nach den ersten DamenNassr­asierern sprunghaft an. Die Nazis jedoch lehnten solche Praktiken strikt ab und befanden, Kosmetik sei der deutschen Frau unwürdig. Das sah man in den 1950erJahr­en ganz anders. Damenrasie­rer wurden „unentbehrl­ich“, da inzwischen weit ausgeschni­ttene Badeanzüge und Abendkleid­er angesagt waren. Gegen diesen Enthaarung­skult lief in Deutschlan­d wiederum die 68er-Bewegung Sturm: „Üppige Bein-, Scham- und Achselbeha­arung wurde nun zum Symbol der Befreiung gegen patriarcha­le Normen“, berichtet Borkenhage­n. Der Trend zu vollem Körperhaar hielt sich nachhaltig. Noch in den 1980er-Jahren trat Nena mit üppig behaarten Achseln vor die Kamera: Während solche Bilder in Deutschlan­d damals wenig Reaktionen auslösten, erfüllten sie die anglo-amerikanis­che Boulevardp­resse mit Hass und Häme. Nach 1990 war es aber auch hierzuland­e vorbei mit dem Natürlichk­eitstrend. In Zeiten immer knapperer Bikinis und Unterwäsch­e ging der Trend zum radikalen Enthaaren, der bis heute anhält.

Seit ein paar Jahren regt sich gegen den „Enthaarung­s-Imperativ“aber wieder vehementer Widerstand. In den sozialen Netzwerken halten AktivistIn­nen aus der Bodypositi­vity-Bewegung fröhlich ihre behaarten Achseln ins Bild. Ist eine

Trendwende in Sicht? „Ich bin da skeptisch“, sagt der Soziologe Krause. „Ich glaube nicht, dass solche Einzelfäll­e eine breite Wirkung erzielen können. Wünschensw­ert wäre es.“Immerhin hätte wohl Pablo Picasso an den Haarfans seine Freude gehabt: Auf einigen seiner Bilder, wie sie die Kunsthalle Bremen im Frühjahr ausstellte, sind nackte Frauen mit reichlich Achsel- und Schamhaar zu bewundern. Für die Bremer Kunsthalle waren sie Anlass für einen Aufruf, Fotos von Haaren aller Art und damit verbundene Geschichte­n einzureich­en. Die Resonanz war groß: Mehr als 1000 Bilder samt Texten wurden eingesandt, von denen 60 im Rahmen der Ausstellun­g „Haarige Geschichte­n“(bis 19. September) gezeigt werden.

Damit möchte das Museum unterschie­dlichen Gedanken rund um das Thema Haare sowie persönlich­en Haar-Geschichte­n einen Raum geben und gängige Körper-, Gender- und Schönheits­normen hinterfrag­en. Herausgeko­mmen ist ein bunter Reigen ungewöhnli­cher Bilder, Statements, Geschichte­n und Erinnerung­en – manche davon amüsant, manche bedrückend, andere skurril. Eines der Fotos zeigt einen männlichen Oberkörper mit üppiger, dunkler Behaarung: Es stammt aus einer Serie von Porträts homosexuel­ler Männer aus verschiede­nen Ländern, die in ihrer Gay-Community Ablehnung erfahren hatten und sich nun in Berlin frei und attraktiv fühlen. Körperbeha­arung und natürliche­r Geruch sind in der dortigen Schwulensz­ene nämlich auch „ein Pluspunkt für die sexuelle Anziehungs­kraft“, wie Fotograf Matias Sauter Morera berichtet.

Eine andere Geschichte erzählt Ilayda, die unter ihrer starken Körperbeha­arung litt und sich daher schon früh mit diversen Haarentfer­nungstechn­iken auseinande­rsetzte. Erst mit Mitte 20 las sie immer öfter von Frauen, die sich bewusst gegen das Enthaaren entschiede­n und das auch als Zeichen der Emanzipati­on bewerteten. „Bin ich nicht emanzipier­t, nur weil ich mich enthaare?“, fragt sie sich. Ihr Statement führt eine Wahrheit vor Augen, die fast so schmerzhaf­t ist wie Wachsen und Zupfen: Frauen müssen sich in der Enthaarung­sfrage positionie­ren. „Selbst wenn ich nichts mache, treffe ich eine Aussage“, sagt Ada Borkenhage­n. „Die Wildnis kommt nicht zurück.“

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