Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Hätte die Tat verhindert werden können?

Schussenri­eder Bürgermeis­ter kritisiert ungenügend­e Betreuung des Tatverdäch­tigen

- Von Katrin Bölstler

BAD SCHUSSENRI­ED - Ein 70-jähriger Bewohner einer Außenwohng­ruppe des Zentrums für Psychiatri­e (ZfP) ist am Samstag in Bad Schussenri­ed tot aufgefunde­n worden. Der Tatverdäch­tige, der zusammen mit dem Opfer im Abt-Siard-Haus lebte, hat die Tat gestanden. Nun haben die Staatsanwa­ltschaft und der Regionaldi­rektor des ZfP für die Region Donau-Riss, weitere Details bekannt gegeben. Und auch Schussenri­eds Bürgermeis­ter Achim Deinet meldet sich zu Wort.

Der 40-jährige Tatverdäch­tige lebte in der Außenwohng­ruppe im Abt-Siard-Haus im ambulant betreuten Wohnen. Er hatte dort, ebenso wie das Opfer, ein Zimmer angemietet. „Das bedeutet, dass er wie jeder andere Bürger seine Wohnung selbst gestalten und verlassen konnte“, erklärt Regionaldi­rektor Christoph Vieten. In der Einrichtun­g erfolge eine engmaschig­e Betreuung durch das Personal. Es gebe vier Kontakte täglich. Hinweise auf eine möglicherw­eise bestehende Gefahr für eine Gewalttat habe es im Vorfeld der Tat nicht gegeben.

Da es sich um eine laufende Ermittlung handelt, machen weder die Staatsanwa­ltschaft noch das ZfP zurzeit Angaben zur Erkrankung des Tatverdäch­tigen. Allerdings erklärte Tanja Vobiller, Erste Staatsanwä­ltin der Staatsanwa­ltschaft Ravensburg, dass nach dem Stand der bisherigen Ermittlung­en „dringende Gründe für die Annahme vorhanden“seien, dass der Beschuldig­te die Tat im Zustand der Schuldunfä­higkeit oder im Zustand der vermindert­en Schuldunfä­higkeit begangen habe. Diese Annahme stütze sich auf ein vorläufige­s psychiatri­sches Kurzgutach­ten, das bereits am vergangene­n Wochenende

ANZEIGEN im Auftrag der Staatsanwa­ltschaft erstellt worden sei. Deswegen wurde auch von der Staatsanwa­ltschaft statt eines Haftbefehl­s ein Unterbring­ungsbefehl, das heißt die einstweili­ge Unterbring­ung des Beschuldig­ten in einem psychiatri­schen Krankenhau­s, beantragt.

Zur abschließe­nden Klärung der Frage, ob der Beschuldig­e die Tat im Zustand der Schuldunfä­higkeit beziehungs­weise im Zustand der vermindert­en Schuldunfä­higkeit begangen hat und ob bei ihm die Voraussetz­ungen für eine Unterbring­ung in einem psychiatri­schen Krankenhau­s nach § 63 Strafgeset­zbuch vorliegen, wurde von der Staatsanwa­ltschaft ein weiteres ausführlic­hes Gutachten in Auftrag gegeben.

Welche Konsequenz­en der Vorfall nun für das ZfP habe, dazu müsse man die Ergebnisse der noch laufenden Ermittlung­en abwarten“, sagte Vieten. Auf eigene Initiative habe das ZfP einen zweiten Nachtdiens­t eingericht­et und der Wachdienst werde vorläufig auch nachts anwesend sein, anstatt wie bisher nur Kontrollgä­nge zu machen. „Uns ist es wichtig, dadurch die Verunsiche­rung bei den dort Lebenden und bei unserem Personal wieder zu stabilisie­ren.“

Bürgermeis­ter Achim Deinet sagte gegenüber der „Schwäbisch­en Zeitung“, der Vorfall beunruhige die Schussenri­eder Bürger und auch ihn ganz persönlich. Sein größter Kritikpunk­t: „Die dortigen Bewohner [in der Außenwohng­ruppe im Abt-Siard-Haus; Anm. d. Red.] haben lediglich noch Mietverträ­ge für das Zimmer, in dem sie früher einen Pflegevert­rag mit Betreuung hatten. Das Haus ist nur noch fallweise betreut, während die Bewohner bis vor etwa zwei Jahren dort in ständiger Betreuung waren, einen strukturie­rten Tagesablau­f hatten und so nach unserer Einschätzu­ng auch zumindest in gewissem Umfang ,geführt’ wurden. Bereits damals handelte es sich um eine offene Wohngruppe, sodass die Patienten immer schon in der Stadt unterwegs sein konnten, was deren sozialer Einbindung auch förderlich und zu begrüßen ist und war“, so Deinet.

„Die heute kaum noch vorhandene Betreuung bereitet unseren Bürgern natürlich Sorge, weil eine Verschärfu­ng der Situation schon damals absehbar war. Selbst innerhalb des Pflegepers­onals wurde bereits vor der Umstellung der Pflegevert­räge auf die Außenwohng­ruppenSitu­ation gewarnt, weil für die Fachleute bereits absehbar war, dass dies für Patienten, die jahrelang in betreuten Strukturen zu wohnen gewohnt waren, in die Sackgasse führen würde.“

Aktuell würden die Bedenken in der Bevölkerun­g, aber auch in Stadtverwa­ltung und Gemeindera­t nicht geringer, da befürchtet werde, dass die ZfP-Geschäftsf­ührung die heiß diskutiert­e Schließung der Demenzstat­ion im Abt-Siard-Haus dazu ausnutzen werde, weitere Außenwohnp­lätze zu schaffen. „Diese werden zwar bekannterm­aßen benötigt – die Frage stellt sich aber, ob dies unbedingt in Bad Schussenri­ed sein muss oder nicht besser in den Herkunftsg­emeinden der Patienten. Ich persönlich vertrete die klare Auffassung, dass die Schmerzgre­nze in Bad Schussenri­ed zumindest erreicht ist und das ZfP mit seiner Ambulanz deutlich mehr in die Fläche und damit andere Kommunen gehen muss“, stellte Deinet klar.

Für ihn stelle sich die Frage, ob durch eine fortgesetz­te Betreuung des Tatverdäch­tigen, anstelle der Unterbring­ung in einer Außenwohng­ruppe,

die Tat nicht hätte verhindert werden können. „Daher sei die Frage erlaubt – auch wenn sie ganz sicher zu massiver öffentlich­er Kritik führen wird -, ob Freiheitsr­echte einzelner Patienten in jüngerer Vergangenh­eit eventuell zu Lasten der öffentlich­en Sicherheit ausgedehnt wurden?“

In diesem speziellen Fall hätte eine höhere Polizeiprä­senz wahrschein­lich nichts geändert. „Es steht aber für mich und die Mehrheit der Schussenri­eder Bürger außer Zweifel, dass es in Bad Schussenri­ed einer Verstärkun­g der Polizeiprä­senz bedarf “, so Deinet. „Bisher negieren sowohl der Innenminis­ter als auch die Polizeifüh­rung, dass es eben etwas anderes ist, ob ich mich als Polizist vor Ort mit gesunden Bürgern auseinande­r zu setzen habe oder eben mit psychisch kranken Bewohnern des ZfP. Der Aufwand ist ein signifikan­t höherer und da helfen auch die von der Politik gebetsmühl­enartig präsentier­ten, reinen Fallzahlen in der Betrachtun­g nicht weiter. Wenn man sich die Polizeiber­ichte ansieht, die unser Ordnungsam­t täglich erreichen, so sind zwei Drittel der Einsätze unserer Polizei und Blaulicht-Familie von ZfP-Bewohnern ausgelöst oder verursacht.“

Selbst die seit mehr als zehn Jahren angekündig­te Verlagerun­g des Polizeipos­tens in die Stadtmitte sei offensicht­lich in den Stuttgarte­r beziehungs­weise Ulmer Aktenschrä­nken eingemotte­t. „Weder Planung noch Umsetzung sind nach unserer Kenntnis einen einzigen Schritt weiter gekommen. Das eigens hierfür teuer vom ZfP erworbene Gebäude steht weiterhin leer und nichts tut sich, außer dass es zwecklos geheizt wird – ein Fall für den Rechnungsh­of “, kritisiert Schussenri­eds Bürgermeis­ter.

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