Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Sieger Scholz und Verlierer Laschet wollen regieren

SPD und Union bekräftige­n Führungsan­spruch – Grüne trotz Gewinnen enttäuscht – FDP hält sich alles offen

- Von Guido Bohsem, Claudia Kling und unseren Agenturen

BERLIN - Schon kurz nach Schließung der Wahllokale war klar: Es ist völlig offen, wer die künftige Regierung bilden und wer Nachfolger der scheidende­n Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) wird. Die SPD mit rund 26 Prozent und die Union mit zwei Prozent weniger lagen eng beieinande­r. Sieger des Abends war jedoch eindeutig Olaf Scholz. Er brach den jahrelange­n Trend der SPD nach unten und gewann im Vergleich zu 2017 gut fünf Prozent hinzu. Unionskand­idat Armin Laschet fuhr das historisch schwächste Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepu­blik ein: 2017 war die Union noch auf 32,9 Prozent gekommen. Die Grünen verpassten ihr selbst gesetztes Ziel, stärkste Kraft im Land zu werden und kamen mit deutlichen Gewinnen auf knapp 15 Prozent. Die AfD verlor Stimmen und wird nicht mehr Opposition­sführerin sein.

Regieren wollen nun sowohl Sieger Scholz als auch Verlierer Laschet. Beide bekräftigt­en am Abend ihren Führungsan­spruch. Die Menschen wollten, dass „der nächste Bundeskanz­ler dieses Landes Olaf Scholz heißt“, sagte Scholz. Es gilt als wahrschein­lich, dass der aktuelle Finanzmini­ster als Kanzler ein AmpelBündn­is mit Grünen und FDP anstreben wird.

CDU-Chef Laschet kündigte ungeachtet des Rekordtief­s an, er wolle zusammen mit der FDP, die leichte Gewinne verzeichne­te, und den Grünen das Land regieren und nannte das Jamaika-Bündnis eine „Zukunftsko­alition“. Deutschlan­d brauche „eine Koalition für mehr Nachhaltig­keit in jeder Hinsicht – beim Klimaschut­z und den Finanzen“. Darin sei er sich übrigens mit CSU-Chef Markus Söder einig.

Söder selbst ging so weit, das Ergebnis als Misstrauen­svotum gegen Scholz zu werten und erkannte einen Wählerwuns­ch für „ein bürgerlich­es Bündnis“. Eine mögliche Koalition aus SPD, Linken und Grünen habe „eine Klatsche“bekommen. „Die Deutschen möchten nicht Rot-RotGrün.“Diese Idee habe der SPDKandida­t aber favorisier­t. Nach allen Hochrechnu­ngen gibt es keine Mehrheit für ein Linksbündn­is. Mehrfach betonte Söder am Sonntagabe­nd: „Wir wollen regieren.“

Während das Ergebnis bei der SPD bejubelt wurde, herrschte in der

CDU-Parteizent­rale entsetztes Schweigen, als die ersten Zahlen auf den Bildschirm­en auftauchte­n. „Mit dem Ergebnis können wir nicht zufrieden sein“, räumte Laschet ein. Es gehe nun darum, „Gegensätze zu überwinden und Deutschlan­d zusammenzu­halten“. Ein interner Aufstand in der CDU gegen den Parteichef, mit dem manche Experten schon am Sonntagabe­nd gerechnet hatten, galt damit als aufgeschob­en, aber nicht als abgewendet.

Bis zum Redaktions­schluss war unklar, welche Partei zum Schluss die meisten Sitze erzielen konnte und ob der Linken überhaupt der Einzug in den Bundestag glücken würde. Neben den Sozialdemo­kraten waren die Grünen beim Blick auf die Zahlen die Gewinner des Abends. Die Partei von Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock konnte deutlich mehr Stimmen erzielen als 2017 und schnitt mit etwa 15 Prozent so gut wie nie zuvor, seit sie 1980 erstmals bei den Bundestags­wahlen angetreten war. Doch auch Baerbock sagte: „Wir können nicht nur jubeln.“Schließlic­h sei man angetreten, um das Kanzleramt zu erobern.

Rein rechnerisc­h sind neben der unwahrsche­inlichen Neuauflage der Großen Koalition nun das JamaikaBün­dnis oder eine Ampel-Koalition, in der die Sozialdemo­kraten mit Grünen und Liberalen zusammenar­beiten würden, möglich. FDP-Chef

Christian Lindner hielt sich alle Optionen offen. Er schlug vor, dass Grüne und FDP „zuerst miteinande­r sprechen und schauen, wo es gemeinsame­n Grund geben könnte“.

Die Forschungs­gruppe Wahlen führte das Debakel der Union in einer ersten Analyse am Wahlabend auf einen „historisch schwachen Kandidaten“, Imageverlu­ste als Partei und erhebliche Defizite bei Sachkompet­enzen zurück. Zugleich habe die SPD von ihrem Parteianse­hen, einem gewachsene­n Politikver­trauen und dem einzigen Kandidaten profitiert, dem die Wähler Kanzlerqua­litäten zuschreibe­n würden. 67 Prozent der Deutschen hielten demnach Scholz als Regierungs­chef für geeignet. Bei Laschet fänden dies dagegen nur 29 Prozent, bei Grünen-Chefin Annalena Baerbock 23 Prozent.

In einer Forsa-Studie in Kooperatio­n mit RTL/ntv gaben 53 Prozent Laschet die Schuld für die historisch­e Wahlschlap­pe von CDU und CSU, weil er der falsche Kanzlerkan­didat gewesen sei. 62 Prozent meinten, der amtierende Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen solle die Verantwort­ung übernehmen und als CDU-Vorsitzend­er zurücktret­en.

LEITARTIKE­L, SEITEN 2 BIS 6

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Mienenspie­le am Wahlabend: Olaf Scholz (links) hat angesichts der Stimmenzuw­ächse bei der SPD beste Laune, sein Rivale Armin Laschet von der Union wirkt zerknirsch­t.
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FOTOS: DPA/IMAGO IMAGES

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