Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Grüne haben gewonnen und doch verloren

Die Partei holt das beste Bundestags­wahl-Ergebnis ihrer Geschichte – Am Ende reicht es nur für Bronze

- Von Dorothee Torebko

BERLIN - Die Grünen erzielen das beste Ergebnis ihrer Geschichte in einer Bundestags­wahl. Doch können Sie den Erfolg nicht genießen, weil sie viel mehr wollten. Jetzt stehen Koalitions­verhandlun­gen an, vielleicht sogar zuerst mit der FDP.

Annalena Baerbock und Robert Habeck ließen sich Zeit, bevor sie in Berlin vor die Parteifreu­nde traten. 50 Minuten brauchten die grüne Kanzlerkan­didatin und der Co-Parteivors­itzende, um ihre Gedanken zu sammeln und die Bühne zu betreten. Was dann von beiden kam, war ein zurückhalt­endes Resümee. „Wir haben das beste Ergebnis in der Geschichte eingefahre­n“, begann Baerbock, „aber wir können nicht nur jubeln“, führte sie fort. „Wir wollten mehr“, sagte sie. Viel mehr. Sie wollten das Kanzleramt. Am Ende stand ein dritter Platz und die Enttäuschu­ng, eine einmalige Chance verpasst zu haben.

Es stimmt. So gut hat die ehemalige Öko-Partei bei Bundestags­wahlen noch nicht abgeschnit­ten. Im Vergleich zu 2017 hat die kleinste Opposition­spartei im Bundestag ihr Ergebnis mit rund 15 Prozent nahezu verdoppelt. Dennoch war die Freude am Sonntag in Berlin verhalten. Die in der Columbiaha­lle unweit des ehemaligen Flughafens Tempelhof Versammelt­en jubelten vor allem, als die grandiosen Ergebnisse der Landtagswa­hl in Berlin verkündet wurden. Ansonsten gab es zurückhalt­endes Klatschen. Gemessen an den Erwartunge­n zu Beginn des Wahlkampfe­s, als das Kanzleramt zum Greifen nah war, war das Ergebnis eine krachende Niederlage.

Noch nie waren die Voraussetz­ungen auf einen Wahlerfolg der Grünen so gut. Das Leib- und Magenthema, Klimaschut­z, überlagert­e seit Monaten vieles andere. Starkregen und Überschwem­mungen in diesem Sommer machten den Menschen die Notwendigk­eit des Erreichens der Pariser Klimaschut­zziele schmerzhaf­t deutlich. Und dann zerlegte sich auch noch der einstige Hauptkonku­rrent um Platz 1, Armin Laschet (CDU), selbst. Der Weg war frei für die erste grüne Kanzlerin, die erste Mutter im Kanzlerinn­enamt.

Doch nach einem furiosen Start taumelte Baerbock durch einen Sommer voller Fehler und Entschuldi­gungen. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, ließ Co-Parteichef Habeck seine Kollegin im Stich und sagte erst einmal nichts zu den

Fehlern. Stattdesse­n suchte die Wahlkampfl­eitung nach Entschuldi­gungen. Die Voraussetz­ungen seien schwierig. Außerdem müsse Baerbock wie keine andere gegen Falschmeld­ungen ankämpfen. Einige Medien seien unfair. Schuld waren die anderen. Doch es nützte nichts. Die Umfragewer­te stürzten in den Keller und plötzlich lag die einstige Hoffnungst­rägerin im Kanzlerkan­didatinnen­triell nur auf dem BronzePlat­z.

Auf diesem ist sie nun auch geblieben. Aus der Hoffnung, auf den letzten Metern noch die Unschlüssi­gen zu überzeugen, ist nichts geworden. Doch was bedeutet dies nun für die Partei? Was für das Duo Baerbock-Habeck? Über die Zukunft der Grünen wollten am Wahlabend nur wenige reden. Nun gehe es erst einmal an die Sondierung­en, die von Baerbock und Habeck anführen werden. Die Verhandlun­gen werde man mit großer Geschlosse­nheit der Parteispit­ze und Fraktion führen, hieß es bei einigen Parteimitg­liedern in Berlin. Habeck meinte, zunächst werde man wohl mit der FDP sprechen, um eine gemeinsame Idee zu entwickeln.

An einer Analyse der verpatzten historisch­en Chance werden die

Grünen aber nicht vorbeikomm­en. Baerbock nahm am Sonntag bereits einen Teil der Schuld auf sich. „Ich habe Fehler gemacht“, sagte sie. Man werde „in Ruhe nach dem Wahlergebn­is schauen, was wir daraus an Lehren ziehen“, sagte Bundesgesc­häftsführe­r Michael Kellner.

Dass Baerbock über die enttäusche­nden Ergebnisse stürzen könnte, ist unwahrsche­inlich. Sie ist in der Partei ausgezeich­net vernetzt. Ihr ist wie Habeck zu verdanken, dass sich die Partei nicht mehr in Flügelkämp­fen zerfleisch­t. Ein Ministeram­t ist ihr sicher, sobald die Grünen mitregiere­n sollten. Doch könnte sich die Rolle von Habeck wieder verschiebe­n. Auch er strebt ein Ministeram­t an. Es gibt Gerüchte, dass der Co-Parteichef nach erfolgreic­hen Verhandlun­gen ein erstes Zugriffsre­cht auf ein Ministeram­t hat – am liebsten würde er das Finanzmini­sterium besetzen.

Der Co-Vorsitzend­e gab sich am Sonntagabe­nd als Beschützer der Kanzlerkan­didatin. „Es war eine Speerspitz­enaufgabe, die erste grüne Kanzlerkan­didatin zu sein“, sagte Habeck. „Du hast es gestanden als Kämpferin mit einem Löwenherz“, betonte er. Arm in Arm verließen die beiden später die Bühne.

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