Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Grüne haben gewonnen und doch verloren
Die Partei holt das beste Bundestagswahl-Ergebnis ihrer Geschichte – Am Ende reicht es nur für Bronze
BERLIN - Die Grünen erzielen das beste Ergebnis ihrer Geschichte in einer Bundestagswahl. Doch können Sie den Erfolg nicht genießen, weil sie viel mehr wollten. Jetzt stehen Koalitionsverhandlungen an, vielleicht sogar zuerst mit der FDP.
Annalena Baerbock und Robert Habeck ließen sich Zeit, bevor sie in Berlin vor die Parteifreunde traten. 50 Minuten brauchten die grüne Kanzlerkandidatin und der Co-Parteivorsitzende, um ihre Gedanken zu sammeln und die Bühne zu betreten. Was dann von beiden kam, war ein zurückhaltendes Resümee. „Wir haben das beste Ergebnis in der Geschichte eingefahren“, begann Baerbock, „aber wir können nicht nur jubeln“, führte sie fort. „Wir wollten mehr“, sagte sie. Viel mehr. Sie wollten das Kanzleramt. Am Ende stand ein dritter Platz und die Enttäuschung, eine einmalige Chance verpasst zu haben.
Es stimmt. So gut hat die ehemalige Öko-Partei bei Bundestagswahlen noch nicht abgeschnitten. Im Vergleich zu 2017 hat die kleinste Oppositionspartei im Bundestag ihr Ergebnis mit rund 15 Prozent nahezu verdoppelt. Dennoch war die Freude am Sonntag in Berlin verhalten. Die in der Columbiahalle unweit des ehemaligen Flughafens Tempelhof Versammelten jubelten vor allem, als die grandiosen Ergebnisse der Landtagswahl in Berlin verkündet wurden. Ansonsten gab es zurückhaltendes Klatschen. Gemessen an den Erwartungen zu Beginn des Wahlkampfes, als das Kanzleramt zum Greifen nah war, war das Ergebnis eine krachende Niederlage.
Noch nie waren die Voraussetzungen auf einen Wahlerfolg der Grünen so gut. Das Leib- und Magenthema, Klimaschutz, überlagerte seit Monaten vieles andere. Starkregen und Überschwemmungen in diesem Sommer machten den Menschen die Notwendigkeit des Erreichens der Pariser Klimaschutzziele schmerzhaft deutlich. Und dann zerlegte sich auch noch der einstige Hauptkonkurrent um Platz 1, Armin Laschet (CDU), selbst. Der Weg war frei für die erste grüne Kanzlerin, die erste Mutter im Kanzlerinnenamt.
Doch nach einem furiosen Start taumelte Baerbock durch einen Sommer voller Fehler und Entschuldigungen. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, ließ Co-Parteichef Habeck seine Kollegin im Stich und sagte erst einmal nichts zu den
Fehlern. Stattdessen suchte die Wahlkampfleitung nach Entschuldigungen. Die Voraussetzungen seien schwierig. Außerdem müsse Baerbock wie keine andere gegen Falschmeldungen ankämpfen. Einige Medien seien unfair. Schuld waren die anderen. Doch es nützte nichts. Die Umfragewerte stürzten in den Keller und plötzlich lag die einstige Hoffnungsträgerin im Kanzlerkandidatinnentriell nur auf dem BronzePlatz.
Auf diesem ist sie nun auch geblieben. Aus der Hoffnung, auf den letzten Metern noch die Unschlüssigen zu überzeugen, ist nichts geworden. Doch was bedeutet dies nun für die Partei? Was für das Duo Baerbock-Habeck? Über die Zukunft der Grünen wollten am Wahlabend nur wenige reden. Nun gehe es erst einmal an die Sondierungen, die von Baerbock und Habeck anführen werden. Die Verhandlungen werde man mit großer Geschlossenheit der Parteispitze und Fraktion führen, hieß es bei einigen Parteimitgliedern in Berlin. Habeck meinte, zunächst werde man wohl mit der FDP sprechen, um eine gemeinsame Idee zu entwickeln.
An einer Analyse der verpatzten historischen Chance werden die
Grünen aber nicht vorbeikommen. Baerbock nahm am Sonntag bereits einen Teil der Schuld auf sich. „Ich habe Fehler gemacht“, sagte sie. Man werde „in Ruhe nach dem Wahlergebnis schauen, was wir daraus an Lehren ziehen“, sagte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner.
Dass Baerbock über die enttäuschenden Ergebnisse stürzen könnte, ist unwahrscheinlich. Sie ist in der Partei ausgezeichnet vernetzt. Ihr ist wie Habeck zu verdanken, dass sich die Partei nicht mehr in Flügelkämpfen zerfleischt. Ein Ministeramt ist ihr sicher, sobald die Grünen mitregieren sollten. Doch könnte sich die Rolle von Habeck wieder verschieben. Auch er strebt ein Ministeramt an. Es gibt Gerüchte, dass der Co-Parteichef nach erfolgreichen Verhandlungen ein erstes Zugriffsrecht auf ein Ministeramt hat – am liebsten würde er das Finanzministerium besetzen.
Der Co-Vorsitzende gab sich am Sonntagabend als Beschützer der Kanzlerkandidatin. „Es war eine Speerspitzenaufgabe, die erste grüne Kanzlerkandidatin zu sein“, sagte Habeck. „Du hast es gestanden als Kämpferin mit einem Löwenherz“, betonte er. Arm in Arm verließen die beiden später die Bühne.