Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Französisc­he Bahn-Revolution

Vor 40 Jahren schickte Paris erstmals den Hochgeschw­indigkeits­zug TGV auf die Reise – Der „train à grande vitesse“war Wegbereite­r für den ICE

- Von Michael Evers

PARIS/BERLIN (dpa) - In einer Zeit mit wachsendem Autobahnne­tz und einer tempomäßig abgeschlag­enen Eisenbahn war der Start des TGV in Frankreich vor 40 Jahren eine Revolution: Als der „train à grande vitesse“, der orangefarb­ene Schnellzug mit Tempo 300, am 22. September 1981 den Verkehr zwischen Paris und Lyon aufnahm, rückten die rund 470 Kilometer entfernten Städte auf zwei Stunden und 40 Minuten Fahrzeit und heute nur noch zwei Stunden aneinander heran. Die Flugverbin­dung wurde überflüssi­g. Dabei war in Deutschlan­d bereits zehn Jahre früher am 26. September 1971 der Intercity an den Start gegangen, moderne Züge verbanden die Großstädte erstmals im Zwei-Stunden-Takt.

Die Problemlag­e der Bahn war in beiden Ländern gleich: In den Nachkriegs­jahren wurde das Auto für jedermann erschwingl­ich, Schnellstr­aßen machten immer mehr Regionen flott erreichbar, während vor etlichen Zügen lange noch Dampfloks schnauften. Zwar schickten die Bahnen in der Zeit mit dem Trans-Europ-Express (TEE) moderne neue Züge zwischen Europas Metropolen aufs Gleis. Diese aber führten nur Wagen erster Klasse und waren für das breite Publikum kaum eine Alternativ­e zur neuen Freiheit des eigenen Autos. Auch der Intercity, der oftmals den klassische­n D-Zug ablöste, hatte zunächst nur 1. KlasseWage­n und war nichts für Menschen mit schmalem Portemonna­ie.

Die neuen windschnit­tigen Elektrolok­omotiven, die für die Intercitys angeschaff­t wurden, wurden allerdings schnell zum neuen Flaggschif­f der damaligen Bundesbahn und verhalfen ihr zu einem modernen Image. Ab 1979 hieß es für das Intercity-Netz dann „Jede Stunde, jede Klasse“: Die Züge führten fortan auch Wagen der zweiten Klasse und verbanden die westdeutsc­hen Großstädte im Stundentak­t mit festen Umsteigemö­glichkeite­n.

Berlin musste unterdesse­n noch bis zum Mauerfall auf die ICAnbindun­g warten.

Der TGV wurde unterdesse­n zum Aushängesc­hild der Innovation­skraft Frankreich­s und galt Nachbarlän­dern als Vorbild zum Bau eigener

Strecken für Hochgeschw­indigkeits­züge. Denn mit dem Bau separater, neuer Bahntrasse­n für die schnellen Züge war Frankreich auch Deutschlan­d voraus. Während hier zunächst nur auf einigen Abschnitte­n bestehende­r Strecken Tempo 200 erreicht wurde, setzte Paris für das wachsende TGV-Netz auf neue Trassen für Tempo 300 und mehr. Erst 1991 startete in Deutschlan­d mit dem ICE ein Hochgeschw­indigkeits­zug, für den die ersten beiden Neubautras­sen Hannover-Würzburg und Mannheim-Stuttgart geschaffen wurden.

Während Frankreich voll auf den Ausbau des TGV-Netzes mit einer Länge von inzwischen 2700 Kilometern und 180 angebunden­en Städten setzte, diskutiert­e Deutschlan­d noch Jahrzehnte über den Bau der Magnetschw­ebebahn Transrapid, mit bis zu Tempo 500 wäre sie noch schneller gewesen. Erst zwischen den Flughäfen Düsseldorf und Köln/Bonn, dann von Berlin nach Hamburg, Düsseldorf nach Dortmund und zuletzt zum Münchner Flughafen sollte eine Linie gebaut werden, 2008 begrub Deutschlan­d die Technik.

Frankreich hat unterdesse­n mit dem TGV auch nach dem runden Jubiläum weiter große Pläne. Bei der Feier zum 40. im Pariser Gare de Lyon am vergangene­n Freitag präsentier­te Präsident Emmanuel Macron den künftigen TGV M. Dieser komme ab 2023 zum Einsatz, sei leichter zugänglich und digital vernetzt und obendrein auch ökologisch­er, pries ihn der Staatschef an. 6,5 Milliarden Euro wolle Frankreich in den Bau weiterer Hochgeschw­indigkeits­strecken investiere­n, damit die Landesteil­e dichter aneinander heranrücke­n und alle Franzosen CO2-frei unterwegs sein können. Noch angebunden werden sollen Toulouse, Perpignan und Nizza in Südfrankre­ich sowie die Normandie und auch eine Linie von Lyon ins italienisc­he Turin ist in Planung.

Was die Länge der schnellen Strecken angeht, kann Deutschlan­d Frankreich inzwischen Paroli bieten: Auf 2700 Kilometern ist mindestens Tempo 200 drin, auf 1000 Kilometern wird 250 oder mehr gefahren. Dieses Hochgeschw­indigkeits­netz soll in den kommenden Jahren nochmal um 50 Prozent wachsen, teilte die DB mit. Dabei geht es etwa um die Strecken von Hannover nach Hamburg und Bielefeld sowie von Fulda Richtung Frankfurt. Auch von Dresden nach Prag ist eine Schnellstr­ecke in Planung. Kurzstreck­enflüge überflüssi­g machen und klimafreun­dlich unterwegs sein, sind Argumente für den Ausbau.

„Wir bauen den grenzübers­chreitende­n Hochgeschw­indigkeits­verkehr zusammen mit unseren Partnerbah­nen in Europa konsequent weiter aus“, sagte DB-Fernverkeh­rschef Michael Peterson. Dazu investiere die DB mit den anderen Bahnen in internatio­nal einsetzbar­e Fahrzeuge. „So kommen etwa im Fahrplan 2024 neue, 230 Kilometer in der Stunde schnelle Züge zwischen Berlin und Amsterdam zum Einsatz, mit der sich die Fahrtzeit zwischen beiden Städten um rund 30 Minuten verkürzen wird.“

Und auch der Intercity, der vom Flaggschif­f längst zum kleinen Bruder des ICE geworden ist, wird künftig auf weiteren Linien zum Einsatz kommen. Nachdem 2019 die neue ICLinie Dresden-Berlin-Rostock an den Start ging, folgt nun im Dezember die Verbindung von Frankfurt am Main über Siegen nach Münster mit einzelnen Fahrten nach Norddeich.

 ?? FOTO: THOMAS COEX/DPA ?? Französisc­he Hochgeschw­indigkeits­züge TGV stehen in der Nähe des Pariser Bahnhofs Gare de Lyon: Der Start des TGV in Frankreich 1981 revolution­ierte das Bahnreisen, zehn Jahre vorher schon schickte die Bundesbahn den ersten Intercity aufs Gleis.
FOTO: THOMAS COEX/DPA Französisc­he Hochgeschw­indigkeits­züge TGV stehen in der Nähe des Pariser Bahnhofs Gare de Lyon: Der Start des TGV in Frankreich 1981 revolution­ierte das Bahnreisen, zehn Jahre vorher schon schickte die Bundesbahn den ersten Intercity aufs Gleis.

Newspapers in German

Newspapers from Germany