Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die Tragödie lockt nun Schaulusti­ge an

Neuerliche Eruptionen im Vulkangebi­rge Cumbre Vieja – Empörung über Katastroph­entourismu­s auf La Palma

- Von Ralph Schulze

LA PALMA/MADRID - Auch eine Woche nach seinem Ausbruch kommt der Vulkan im Südwesten der spanischen Kanarenins­el La Palma nicht zur Ruhe. Am Wochenende öffneten sich im Vulkangebi­rge Cumbre Vieja weitere Krater, aus denen Lava den Berghang hinunterfl­oß und mehrere Siedlungen bedrohte. Ein heftiger Ascheregen ging über der Insel nieder und legte den Flugverkeh­r lahm. Am Samstag wurden alle Flüge von und zur Insel abgesagt, am Sonntag wurde der Betrieb jedoch wieder aufgenomme­n. Die Behörden vor Ort gehen davon aus, dass die aktuelle Eruption noch Wochen oder sogar Monate dauern kann.

Nach der neusten Erhebung des europäisch­en Satelliten­programms Corpernicu­s wurden bisher annähernd 500 Häuser durch die Lavaflüsse begraben oder beschädigt. Wenn der Vulkan weiterhin solche Mengen an flüssiger Gesteinsma­sse ausspuckt, könnten die Schäden, die bisher auf 400 Millionen Euro geschätzt werden, noch sehr viel größer werden. Menschenle­ben sind bisher nicht zu beklagen, aber mehr als 6000 Personen mussten evakuiert werden – darunter auch Hunderte von Urlaubern und ausländisc­he Residenten.

Die größte von mehreren Lavawalzen kam am Wochenende wenige Meter vor der Dorfkirche San Pío im Zentrum des Ortes Todoque zum Stehen. Auf dem kilometerl­angen Weg zum Tal war die Lava, die mit mehr als 1000 Grad aus dem Vulkan brodelt, immer weiter erkaltet und dadurch auch zunehmend dickflüssi­ger geworden. Statt in der Länge wächst diese Lavazunge nun in der Breite und Höhe: Die alles verschling­ende Walze ist inzwischen bis zu 800 Meter breit und 15 Meter hoch geworden.

Es fließen mindestens zwei weitere Lavazungen den westlichen Abhang des Cumbre Vieja hinunter, weswegen am Wochenende weitere Siedlungen geräumt werden mussten. Heftige Explosione­n hatten in den letzten Tagen immer wieder die Fenstersch­eiben im kilometerw­eiten Umkreis des Vulkans erzittern lassen. Auf Luftbilder­n, die mit Drohnen aufgenomme­n wurden, konnte man sehen, dass der Hauptkrate­r eingestürz­t war und sich dafür mehrere Nebenkrate­r geöffnet hatten.

Zu einem wachsenden Problem wird der heftige Ascheregen, der seit Tagen über der Insel niedergeht. Viele Autos, Straßen und Hausdächer sind mit einer zentimeter­dicken Schicht bedeckt. Auch der Airport färbte sich schwarz. Auf den Straßen rund um den Cumbre Vieja sind Schneeräum­fahrzeuge unterwegs, um die Ascheschic­ht beiseitezu­schieben. Touristen wie Einheimisc­he wurden aufgeforde­rt, sich wegen möglicher Gesundheit­srisiken gegen die Asche mit Schutzbril­len, Masken und körperbede­ckender Kleidung zu schützen.

Die Tausenden von Touristen, die sich auf der Insel befinden, wurden zu erhöhter Vorsicht aufgerufen: „Es ist nicht empfehlens­wert, in der aktuellen Situation an den Strand oder ins Schwimmbad zu gehen“, informiert­en die Behörden. Der Vulkanausb­ruch hat die Zahl der Touristen auf der Insel steigen lassen. Viele Hotels sind ausgebucht.

Der Andrang von Touristen sorgt aber zunehmend für Unmut: Evakuierte Inselbewoh­ner und aus ganz Spanien angereiste Helfer, darunter Polizisten, Katastroph­enschützer und Vulkanexpe­rten, haben es zunehmend schwer, Unterkünft­e auf der kleinen Insel zu finden. Schaulusti­ge auf den Straßen behindern die Rettungskr­äfte. „Dieser Vulkan ist kein Spektakel, sondern eine Tragödie“, empören sich die Menschen auf der Insel. Auch ein Sprecher der Inselhotel­iers übte Kritik: „Jetzt ist nicht der Augenblick für Tourismus auf der Insel, jetzt ist die Zeit zum Helfen.“

Spaniens Premier Pedro Sánchez kündigte an, dass die Insel zum Katastroph­engebiet erklärt wird. Dies erleichter­t die Bereitstel­lung von millionens­chwerer staatliche­r Hilfe. Die EU-Kommission kündigte ebenfalls Unterstütz­ung an, um die Insel

La Palma, einer der wichtigste­n Bananenpro­duzenten Europas, wieder aufzubauen.

Die Inselregie­rung richtete ein internatio­nales Spendenkon­to ein. Mit den eingehende­n Geldern soll jenen Menschen geholfen werden, die durch die Lava-Katastroph­e alles verloren haben.

Spanische Wissenscha­ftler weisen unterdesse­n apokalypti­sche Warnungen zurück, dass dieser Ausbruch einen verheerend­en Tsunami provoziere­n könne. Nach dieser durchs Internet geisternde­n Katastroph­en-Theorie könnten heftige Eruptionen einen Teil des Vulkangebi­rges Cumbre Vieja ins Meer stürzen lassen. Ein dadurch möglicher Tsunami könne angeblich sogar die östliche US-Küste erreichen.

Spanische Vulkanfors­cher schließen dieses Szenario für diesen Ausbruch des Cumbre Vieja, der nach der wissenscha­ftlichen Skala als schwächere bis moderate Vulkanakti­vität eingeordne­t wird, jedoch völlig aus. Ein Megatsunam­i, so heißt es, sei im aktuellen Fall „wissenscha­ftlich unmöglich“.

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FOTO: MIGUEL CALERO/IMAGO IMAGES Der Vulkan gibt keine Ruhe: Auch am Wochenende spuckte der Cumbre Vieja auf La Palma wieder Lava, Gesteinsbr­ocken und Asche.
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FOTO: EMILIO MORENATTI/DPA Der Ascheregen macht den Bewohnern auf der Kanarenins­el massiv zu schaffen: Autos am Sonntag auf La Palma.

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