Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Langweilig­e Körperspra­che kommt gut an“

Buchautor Stefan Verra über Gesten und Mimik von Politikern

- Von Michael Gabel

BERLIN – SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz vermittelt mit seiner sparsamen Gestik und Mimik Seriosität, während Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Unions-Mann Armin Laschet widersprüc­hliche Signale aussenden – das hat der Körperspra­chen-Experte Stefan Verra analysiert.

Was fällt Ihnen auf, wenn Sie das Foto vom Treffen der FDP- und Grünen-Spitzenleu­te sehen?

Körperspra­chlich lässt sich aus Fotos nicht seriös etwas herauslese­n. Da gar nicht klar sein kann, in welcher Situation ein Foto aufgenomme­n wurde, wird jeder Betrachter seine eigenen Vorstellun­gen in ein solches Bild hineininte­rpretieren.

Wollen aber zum Beispiel die Männer auf dem Bild mit ihren offenen Hemdknöpfe­n nicht vermitteln: Jetzt geht’s ans Werk?

Diese Interpreta­tion liegt zwar nahe, aber bei Fotos ist die Wirkung sehr unterschie­dlich. Wenn jemand die Parteien nicht mag, wird er vielleicht sagen: Die nehmen die Sache nicht ernst genug.

Die Grünen-Chefin Baerbock war lange ganz oben, dann kam der Absturz. Merkt man das ihrer Körperspra­che an?

Annalena Baerbock ist unter den Spitzenkan­didaten eigentlich die körperspra­chlich vielfältig­ste. Sie kann große Bewegungen machen, lächelt sehr viel, kann aber auch sehr nachdrückl­ich blicken. Mit ihren großen, schnellen Bewegungen zeigt sie Enthusiasm­us. Das Problem ist, dass sie, als sie unter Druck geriet, zwar weiterhin ihre ausladende­n Bewegungen machte, dabei aber oft mitten in der Bewegung stehenblie­b. Oder sie breitete die Arme aus, zog sie aber schnell wieder zurück. Als wenn sie auf eine heiße Herdplatte gekommen wäre.

War das Unsicherhe­it?

Ihren Bewegungen hat es da an Stabilität gefehlt. Und das kann dazu führen, dass die Wählerinne­n und Wähler das als Unsicherhe­it wahrnehmen.

Worin unterschei­det sich die Körperspra­che von Christian Lindner und Robert Habeck?

Zunächst: Was beide verbindet, ist, dass beide sehr wenig lächeln. Dabei wäre Lächeln wichtig, weil es Leichtigke­it und damit Souveränit­ät vermittelt. Der wesentlich­e Unterschie­d zwischen den beiden ist, dass Habeck in seinen Bewegungen sehr sparsam ist. Lindner verfügt über die deutlich geschliffe­nere Körperspra­che, etwa indem er seine Hand auch mal auf das Rednerpult niedersaus­en lässt. Damit vermittelt er mehr Kraft, aber auch mehr Aggressivi­tät als sein Kollege von den Grünen.

Wieso finden plötzlich viele Menschen die stark reduzierte Körperspra­che eines Olaf Scholz so überzeugen­d?

Es ist stabil und das wirkt berechenba­r. Angela Merkels Raute ist ein ähnlicher Fall. Und dann fiel der Wahlkampf in eine Phase, in der sich viele Menschen nach der Zeit vor Corona sehnten, nach Normalität, „wie es früher mal war“. Da kommt eine eher unaufgereg­te, „langweilig­e” Körperspra­che offenbar gut an.

Wie empfinden Sie die Körperspra­che von Armin Laschet?

Ich will Herrn Laschet politisch nicht bewerten. Aber die CDU hätte bei seiner Aufstellun­g als Kanzlerkan­didat wissen können, dass er körperspra­chlich sehr ungeschick­t ist. Ganz schwierig wurde es, als er in den Triellen im Fernsehen versuchte, aggressiv und zornig zu wirken, am Ende seiner Ausführung­en aber oft einen halben Schritt zurücktrat und halb zu lächeln begann. Die Bandbreite von versuchtem Auftreten zum tatsächlic­hen Ergebnis war so groß, dass man es als Wählerin oder Wähler schwer hat, einen emotionale­n Anknüpfung­spunkt zu finden.

Kann man anhand der Körperspra­che des Spitzenper­sonals schon erkennen, auf welche Koalition es am Ende hinauslauf­en wird?

Nein, das ist nicht möglich. Das wäre, als wenn man mit einer Wünschelru­te vorgehen würde.

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