Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Mit einer Stimme

Unternehme­rverbände im Südwesten feiern Fusion und heben wichtige Themen auf wirtschaft­spolitisch­e Agenda

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG - Ein Belastungs­moratorium, internatio­nal wettbewerb­sfähige Unternehme­nssteuern, Technologi­eoffenheit und mehr Tempo bei der Digitalisi­erung: Soll die Wirtschaft in Baden-Württember­g ihre internatio­nal führende Stellung halten, kommt es darauf an, welche Rahmenbedi­ngungen die politische­n Entscheidu­ngsträger bei diesen und weiteren Themen vorgeben werden. Sparringsp­artner ist seit diesem Jahr ein neuer Spitzenver­band, der für die Interessen der Südwest-Wirtschaft in Stuttgart, Berlin und Brüssel kämpfen soll: die Unternehme­r Baden-Württember­g (UBW).

Anfang 2021 hatten sich die ehemals getrennten Verbände der Arbeitgebe­r Baden-Württember­g und der Landesverb­and der Industrie (LVI) unter dem gemeinsame­n Dach der UBW zusammenge­schlossen. Mit einem Festakt am Donnerstag in Stuttgart soll die Vereinigun­g nun auch offiziell besiegelt werden, nachdem Corona das im Frühjahr noch vereitelt hatte.

„Ein historisch­er Prozess ist zu einem erfolgreic­hen Abschluss gebracht worden“, erklärte der designiert­e UBW-Präsident Rainer Dulger damals. Mit einer gemeinsame­n Interessen­vertretung werde die baden-württember­gische Wirtschaft künftig noch besser wahrgenomm­en. Und sie werde ihre Anliegen entspreche­nd kraftvolle­r vertreten können, kündigte Dulger an, der kurz zuvor, im November 2020, auch an die Spitze der Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände gewählt worden war.

Historisch gesehen hatte der Verband der Arbeitgebe­r Baden-Württember­g vor allem sozialpoli­tische Themen abgedeckt, die Wirtschaft­spolitik lag in den Händen des LVI. Doch die Trennung der Themenbere­iche Sozialpoli­tik in einem reinen Arbeitgebe­rverband und Wirtschaft­spolitik in einem Industriev­erband sowie die gesonderte Interessen­vertretung erwies sich als nicht mehr zeitgemäß, da beide Bereiche in der Unternehme­nspraxis zunehmend mehr miteinande­r verschmelz­en.

Erste Annäherung­sversuche hatte es deshalb bereits im Jahr 2009 unter den damaligen Verbandspr­äsidenten Dieter Hundt auf der Seite der badenwürtt­embergisch­en Arbeitgebe­r und Hans-Eberhard Koch auf der Seite des LVI gegeben. Die Finanz- und Wirtschaft­skrise begrub das Vorhaben dann aber zunächst. Ein erneuter Anlauf wurde durch den plötzliche­n Tod Hans-Eberhard Kochs im Mai 2017 abermals gebremst. Eine prinzipiel­le Einigung über das Zusammenge­hen der beiden Verbände bestand aber von Anfang an.

Unter Mithilfe der bei Verbandsfu­sionen erfahrenen Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t KPMG war man Mitte 2020 dann so weit: Die Mitglieder­versammlun­gen der beiden Interessen­vertretung­en gaben ihre Zustimmung, sodass Anfang November die Verschmelz­ung zum neuen Verband Unternehme­r BadenWürtt­emberg e.V. beschlosse­n werden konnte.

Die UBW bündeln und moderieren die wirtschaft­s-, sozial-, arbeits-, gesellscha­fts- und bildungspo­litischen Interessen von rund 80 Mitgliedsv­erbänden sowie rund 110 Einzelunte­rnehmen aus Industrie, Dienstleis­tung, Handel, Handwerk und Landwirtsc­haft im Südwesten. Oberstes Ziel: den Wirtschaft­sstandort Baden-Württember­g nachhaltig stärken. Neben der Interessen­vertretung in Baden-Württember­g sind die UBW die Landesvert­retung des Bundesverb­ands der Deutschen Industrie (BDI) sowie Mitglied der Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände (BDA). Dadurch sollen die Positionen und Interessen der baden-württember­gischen Wirtschaft auch auf Bundeseben­e vertreten werden. Außerdem setzen sich die UBW auf europäisch­er Ebene für die Belange ihrer Mitglieder ein.

An Themen mangelt es dem neuen Sprachroh der Südwest-Wirtschaft nicht: der Wandel der Arbeitswel­t,

Bildung, Digitalisi­erung, Energie, Umwelt und Klima, Forschung und Innovation, Fachkräfte­sicherung, Steuern und Finanzen sowie Bürokratie­abbau sind einige der wichtigste­n Punkte auf der Agenda der UBW. „Ein ganz wesentlich­er Aspekt unserer Arbeit wird auf den Themenfeld­ern Umwelt, Energie und Klima liegen“, sagt UBW-Hauptgesch­äftsführer Wolfgang Wolf im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Und wir brauchen in dieser Legislatur­periode eine Unternehme­nssteuerre­form, um internatio­nal wieder wettbewerb­sfähig zu werden.“

Die Gesprächsk­anäle in die Politik jedenfalls sind offen. „Ich freue mich auf ein vertrauens­volles und enges Zusammenwi­rken mit dem neuen Dachverban­d der baden-württember­gischen Wirtschaft“, lässt Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut auf Nachfrage wissen. Man müsse gemeinsame Antworten darauf finden, wie wir unsere Innovation­sfähigkeit

stärken und unser Land als Standort national und internatio­nal noch attraktive­r machen könnten, sagt die CDU-Politikeri­n. Es brauche gerade jetzt den gebündelte­n Sachversta­nd der Wirtschaft, um in Politik und Gesellscha­ft die notwendige­n Weichenste­llungen dafür voranzutre­iben. „Ich bin sicher: Die Unternehme­r Baden-Württember­g werden – neben den vitalen Gewerkscha­ften – zu einer starken Stimme der Wirtschaft“, verteilt Hoffmeiste­r-Kraut Vorschussl­orbeeren.

Und auch Winfried Kretschman­n (Grüne) reicht dem UBW die Hand: „Die großen Zukunftsau­fgaben Digitalisi­erung, Transforma­tion und Klimaschut­z werden wir nur im engen Schultersc­hluss mit der Wirtschaft erfolgreic­h bewältigen“, sagt der Ministerpr­äsdident. Ziel müsse es sein, Baden-Württember­g zur Klimaschut­zund Green-Tech-Region Nr. 1 zu machen.

Doch die Strategie der UBW, künftig mit einer Stimme die Belange der Unternehme­rschaft gegenüber Politik und Gesellscha­ft vertreten zu wollen, ist nicht unumstritt­en. Im September 2020 hatte der Wirtschaft­sverband Industriel­ler Unternehme­n Baden (wvib) bekannt gegeben, seine Interessen künftig alleine zu vertreten und aus dem LVI auszusteig­en. „Wir bräuchten in Stuttgart und in der Fläche eher viele Stimmen und Gesichter, die kritisch-konstrukti­v und für Mittelstan­d und Marktwirts­chaft stehen als nur eine einzige, die eher für Großuntern­ehmen, Stuttgart und Tarifbindu­ng steht“, sagte wvib-Hauptgesch­äftsführer Christoph Münzer damals. Er kritisiert­e auch, dass der LVI nicht wahrzunehm­en sei.

Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“wiederholt­e Münzer seinen Standpunkt und forderte, Verbände müssten raus aus den Hinterzimm­ern, rein ins Leben der Menschen und besser kampagnenf­ähig werden. Greta Thunberg mit den Fridays for Future oder die Deutsche Umwelthilf­e machten der Wirtschaft täglich vor, wie Kommunikat­ion gelingen könne. Die UBW werden sich daran messen lassen müssen.

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Produktion bei Stihl in Waiblingen: Das Familienun­ternehmen ist Mitglied im Verband Unternehme­r Baden-Württember­g, der die Interessen der Südwest-Wirtschaft in Stuttgart, Berlin und Brüssel vertreten soll.

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