Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Wütender Protest gegen „zu mildes“Urteil
In Ulm regt sich Unmut über Richterspruch gegen Kinderschänder
ULM - Es sollte ein stiller „Schweigeprotest“sein, zu dem sich am Montagvormittag rund 50 Menschen vor dem Ulmer Landgericht versammelt hatten, darunter viele Mütter mit Kinderwagen. Sie demonstrierten gegen ein aus ihrer Sicht zu mildes Urteil gegen einen Kinderschänder.
Anlass der Demonstration war ein Richterspruch gegen einen 45-Jährigen. Er hatte rund um die Jahrtausendwende in Ulm mehrere Mädchen missbraucht, es ging um über 100 einzelne Taten. Das Landgericht verurteilte den Mann Ende September zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Staatsanwaltschaft hat Revision eingelegt. Über diese entscheidet der Bundesgerichtshof – bis dahin dürften aber noch Monate vergehen.
129 Minuten sollte der „Schweigeprotest“andauern – eine Minute für jede Tat, für die der Angeklagte unlängst verurteilt wurde. Aus Sicht der vor dem Gericht Versammelten fiel das Urteil viel zu milde aus. Auf einem Plakat steht: „Warum nicht lebenslänglich?“
Eine Teilnehmerin bezeichnete das Urteil als „Sauerei“. Auch eine der Organisatorinnen des „Schweigeprotests“äußerte sich. Sie kritisierte, dass das Urteil andere Missbrauchsopfer davon abhalten könnte, überhaupt Anzeige zu erstatten.
Die Demonstranten vor dem Ulmer Landgericht.
Organisiert und angemeldet wurde die Kundgebung von eine Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten, die im Onlinenetzwerk Instagram unter dem Namen „Ulm gegen Missbrauch“auftritt.
Die Teilnehmer der Demonstration sind mit ihrem Unmut nicht allein. Auch die in der Region bekannte Kabarettistin Kathi Wolf verlieh ihrer Wut gegenüber dem Urteil in den sozialen Medien Ausdruck. Der „Schwäbischen Zeitung“teilt sie auf Nachfrage mit, dass sie es sich zwar nicht anmaße, festzustellen, welches Urteil in diesem Fall „gerecht“sei. Missbrauchsopfer jedoch würden lebenslang leiden.
Bundesweit bekannt gemacht hat das Ulmer „Skandalurteil“der Blogger Robert Konieczny. Er plädiert offen dafür, Kinderschänder an den Pranger zu stellen. Auf einer Datenbank solle einsehbar sein, wo verurteilte Sexualstraftäter wohnen, wie sie heißen und welche Straftat sie begangen haben. Solche Forderungen sind mit den Prinzipien des deutschens Rechtsstaates nicht vereinbar. Dennoch wurde eines der Videos zum Ulmer Urteil bereits fast sechs Millionen Mal aufgerufen.
Die Frage, ob das Gericht den Angeklagten überhaupt ins Gefängnis hätte schicken können, ist schnell beantwortet – ja, das wäre laut gesetzlichem Strafrahmen möglich. Aber eben auch die verhängte Bewährungsstrafe. Im vorliegenden Fall entschied sich das Gericht aus mehreren Gründen für die Bewährung. Der Angeklagte habe eine gute Sozialprognose. Er habe einen festen Job, ein soziales Umfeld und Hobbys – und eine Therapie abgeschlossen.
Damit folgte das Gericht Vorgaben des Gesetzgebers. Wer, wie der 45-Jährige, zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wird, der darf mit Bewährung rechnen, wenn nach der Gesamtwürdigung „besondere Umstände“vorliegen. Diese können sein: ein Geständnis, eine Therapie und dass die Taten lange zurückliegen. All das lag im Ulmer Fall vor. Außerdem hatte sich das Verfahren hingezogen, eine Schöffin war befangen und musste ersetzt werden. Danach wurde der Prozess neu aufgerollt.
Wohl auch wegen der lange zurückliegenden Taten machten die Opfer zudem teils verschwommene und widersprüchliche Angaben. Dies erklärte Richter Michael Klausner, der die jungen Frauen nicht öffentlich vernommen hatte.
Hinzu kommt, dass das Gesetz zur Tatzeit noch ein anderes war. Um die Jahrtausendwende sah es noch den „minder schweren Fall“des sexuellen Missbrauchs von Kindern vor. Der war gegeben, wenn eine Tat nach einer Würdigung aller Umstände von den erfahrungsgemäß vorkommenden Taten nach unten abwich.