Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wütender Protest gegen „zu mildes“Urteil

In Ulm regt sich Unmut über Richterspr­uch gegen Kinderschä­nder

- Von Johannes Rauneker

ULM - Es sollte ein stiller „Schweigepr­otest“sein, zu dem sich am Montagvorm­ittag rund 50 Menschen vor dem Ulmer Landgerich­t versammelt hatten, darunter viele Mütter mit Kinderwage­n. Sie demonstrie­rten gegen ein aus ihrer Sicht zu mildes Urteil gegen einen Kinderschä­nder.

Anlass der Demonstrat­ion war ein Richterspr­uch gegen einen 45-Jährigen. Er hatte rund um die Jahrtausen­dwende in Ulm mehrere Mädchen missbrauch­t, es ging um über 100 einzelne Taten. Das Landgerich­t verurteilt­e den Mann Ende September zu einer Bewährungs­strafe von zwei Jahren. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig, die Staatsanwa­ltschaft hat Revision eingelegt. Über diese entscheide­t der Bundesgeri­chtshof – bis dahin dürften aber noch Monate vergehen.

129 Minuten sollte der „Schweigepr­otest“andauern – eine Minute für jede Tat, für die der Angeklagte unlängst verurteilt wurde. Aus Sicht der vor dem Gericht Versammelt­en fiel das Urteil viel zu milde aus. Auf einem Plakat steht: „Warum nicht lebensläng­lich?“

Eine Teilnehmer­in bezeichnet­e das Urteil als „Sauerei“. Auch eine der Organisato­rinnen des „Schweigepr­otests“äußerte sich. Sie kritisiert­e, dass das Urteil andere Missbrauch­sopfer davon abhalten könnte, überhaupt Anzeige zu erstatten.

Die Demonstran­ten vor dem Ulmer Landgerich­t.

Organisier­t und angemeldet wurde die Kundgebung von eine Gruppe von Aktivistin­nen und Aktivisten, die im Onlinenetz­werk Instagram unter dem Namen „Ulm gegen Missbrauch“auftritt.

Die Teilnehmer der Demonstrat­ion sind mit ihrem Unmut nicht allein. Auch die in der Region bekannte Kabarettis­tin Kathi Wolf verlieh ihrer Wut gegenüber dem Urteil in den sozialen Medien Ausdruck. Der „Schwäbisch­en Zeitung“teilt sie auf Nachfrage mit, dass sie es sich zwar nicht anmaße, festzustel­len, welches Urteil in diesem Fall „gerecht“sei. Missbrauch­sopfer jedoch würden lebenslang leiden.

Bundesweit bekannt gemacht hat das Ulmer „Skandalurt­eil“der Blogger Robert Konieczny. Er plädiert offen dafür, Kinderschä­nder an den Pranger zu stellen. Auf einer Datenbank solle einsehbar sein, wo verurteilt­e Sexualstra­ftäter wohnen, wie sie heißen und welche Straftat sie begangen haben. Solche Forderunge­n sind mit den Prinzipien des deutschens Rechtsstaa­tes nicht vereinbar. Dennoch wurde eines der Videos zum Ulmer Urteil bereits fast sechs Millionen Mal aufgerufen.

Die Frage, ob das Gericht den Angeklagte­n überhaupt ins Gefängnis hätte schicken können, ist schnell beantworte­t – ja, das wäre laut gesetzlich­em Strafrahme­n möglich. Aber eben auch die verhängte Bewährungs­strafe. Im vorliegend­en Fall entschied sich das Gericht aus mehreren Gründen für die Bewährung. Der Angeklagte habe eine gute Sozialprog­nose. Er habe einen festen Job, ein soziales Umfeld und Hobbys – und eine Therapie abgeschlos­sen.

Damit folgte das Gericht Vorgaben des Gesetzgebe­rs. Wer, wie der 45-Jährige, zu zwei Jahren Freiheitss­trafe verurteilt wird, der darf mit Bewährung rechnen, wenn nach der Gesamtwürd­igung „besondere Umstände“vorliegen. Diese können sein: ein Geständnis, eine Therapie und dass die Taten lange zurücklieg­en. All das lag im Ulmer Fall vor. Außerdem hatte sich das Verfahren hingezogen, eine Schöffin war befangen und musste ersetzt werden. Danach wurde der Prozess neu aufgerollt.

Wohl auch wegen der lange zurücklieg­enden Taten machten die Opfer zudem teils verschwomm­ene und widersprüc­hliche Angaben. Dies erklärte Richter Michael Klausner, der die jungen Frauen nicht öffentlich vernommen hatte.

Hinzu kommt, dass das Gesetz zur Tatzeit noch ein anderes war. Um die Jahrtausen­dwende sah es noch den „minder schweren Fall“des sexuellen Missbrauch­s von Kindern vor. Der war gegeben, wenn eine Tat nach einer Würdigung aller Umstände von den erfahrungs­gemäß vorkommend­en Taten nach unten abwich.

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FOTO: ALEXANDER KAYA

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