Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Eine Küste voller Klippen
Wie es mit den Gesprächen für ein neues Regierungsbündnis weitergeht
BERLIN - Volker Wissing ist nicht gerade für seine blumigen Methaphern bekannt. Doch am Wochenende fand der FDP-Generalsekretär ein Sprachbild, mit dem wohl alle sondierenden Parteien einverstanden sind. Die Gespräche zwischen FDP und Grünen auf der einen und der SPD sowie der Union auf der anderen Seite ähnelten einer Steilküste voller Klippen, sagte er. Mittlerweile haben sich alle Parteien auf den Weg gemacht, die Küstenabschnitte zu ergründen. Am heutigen Dienstag sind noch Grüne und Union dran. Dann geht es ans Brückenbauen.
Zwischen FDP und Union sind die Küstenabschnitte nicht so schroff wie jene, an denen sich Liberale und Sozialdemokraten treffen. Dort nämlich gebe es eine richtig große Klippe namens Steuerpolitik, die man in den Gesprächen überwinden müsste, sagte FDP-Generalsekretär Wissing. Die Frage, die sich das ganze Land deswegen stellt, lautet: Ist die SteuerKlippe auf dem Weg zu einer AmpelRegierung überwindbar?
Erschwerend dürfte wirken, dass es zwischen FDP und SPD keine etablierten Kommunikationskanäle gibt. Während liberale Abgeordnete sich regelmäßig mit Grünen austauschen, gibt es solche Gesprächskreise mit der SPD nicht. Vertrauen muss neu aufgebaut, Verständnis füreinander geschaffen werden.
Äußerungen von SPD-Vorstandsmitglied Kevin Kühnert, der den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner als „Luftikus“bezeichnete, oder von SPD-Chef Norbert Walter-Borjans, der von liberaler „Voodoo-Ökonomie“sprach, sind sicherlich nicht hilfreich. Walter-Borjans ist, nachdem Kanzlerkandidat Olaf Scholz seinen Parteikollegen Mäßigung auferlegte, zwar zurückgerudert: Man sei noch im Wahlkampfmodus gewesen. In der FDP wurden die Äußerungen aber durchaus als Zeichen gedeutet, was in einer Koalition mit der SPD auf sie zukommen könnte.
Ähnliche Bedenken gibt es bei den Liberalen allerdings auch gegenüber der Union. Offiziell heißt es zwar stets, es gehe um Inhalte, nicht um Personen. Das personelle Tohuwabohu rund um den CDU-Chefposten relativiert jedoch die inhaltliche Nähe. Dieser müsse man auch die Solidität und Verlässlichkeit eines möglichen Koalitionspartners gegenüberstellen, heißt es in der Fraktion.
Steigbügelhalter in den Post-Volksparteien-Zeiten
„CDU und CSU müssen klären, ob sie wirklich eine Regierung führen wollen“, sagte Lindner und kritisierte zugleich Überlegungen in der Union, erst mal abzuwarten, ob Verhandlungen von Grünen und FDP mit der SPD womöglich scheitern würden. Dies könne man dem Land nicht antun; eine zügige Regierungsbildung sei nötig.
Wie es auf dem Weg dahin weitergeht, wird man vielleicht am Mittwoch erfahren. Die FDP will die Gespräche zwischen Union und Grünen am Dienstagvormittag abwarten und sich dann noch mal mit den Grünen rückkoppeln. Beide Parteien könnten miteinander absprechen, ob sie mit einem Partner, also SPD oder Union, weiter sondieren wollen. Eine weitere Möglichkeit: Es werden parallele Dreiergespräche mit Rot und Schwarz geführt.
Auf Letzteres könnten etwa die Äußerungen Lindners hinweisen, der mit der Union „ernsthafte“Gespräche führen will. Aber auch Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) hat ihre Partei davor gewarnt, sich frühzeitig auf die SPD als Regierungspartner festzulegen. Was damit zu tun haben könnte, dass sie in der Hansestadt
bereits mit Scholz verhandelt hat und seinen Ruf als gewiefter Taktiker erleben konnte. Wichtig in den Gesprächen mit Scholz sei, „ausgeschlafen zu sein“und „ein Pokerface“aufzusetzen. Sie mahnte, nicht zu vergessen, dass es eben auch Alternativen zur Ampel gebe – Jamaika.
Allerdings sind die Klippen zwischen Grünen und der Union in den vergangenen Wochen größer geworden. So gehe man zwar „offen“in die Gespräche mit CDU und CSU, sagte Parteichefin Annalena Baerbock. Allerdings ist man in der Fraktion und Partei nicht nur irritiert über das Personalchaos in der Union. Auch das Gebaren führender Unionspolitiker, die im Wahlkampf noch scharf vor einem links-grünen Bündnis gewarnt hatten, nur um sich nach den ersten Hochrechnungen an die Grünen anzuschmiegen, sorgte für Irritationen. Diese 180-GradWende habe Vertrauen gekostet, sagte jüngst Fraktionsvize Konstantin von Notz.
Gegen eine grün-gelb-schwarze Koalition spricht zudem, dass die Basis querschießen könnte. Die Grünen wollen ihre Parteimitglieder nicht nur über einen Koalitionsvertrag und Ministerposten abstimmen lassen.
Auch die Aufnahme von Koalitionsgesprächen muss laut einem Parteibeschluss von einem Parteitag abgesegnet werden. Dieser könnte einerseits als Druckmittel für Sondierungen eingesetzt werden, um möglichst viele eigene Inhalte durchsetzen zu können.
Andererseits könnte er die Grünen aber auch in die Bredouille bringen, sollte es am Ende doch auf Jamaika hinauslaufen. Denn die Parteibasis favorisiert ganz klar ein Ampelbündnis. Wie empfindlich sie in diesem Punkt reagieren kann, war in Baden-Württemberg zu bewundern. Als Südwest-Ministerpräsident Winfried Kretschmann auch nur andeutet, auch ein Bündnis unter UnionsFührung sei für einen Grünen durchaus denkbar, betonte Landeschefin Sandra Detzer prompt, die Ihren präferierten eindeutig die Ampel.
Bereits am Wochenende will die Grüne Jugend ein Zeichen setzen und auf einem Bundeskongress gegen eine Jamaika-Koalition votieren. „Es gibt nicht einen Grund für Jamaika – aber viele Gründe dagegen. Für uns kommt eine Jamaika-Koalition nicht infrage“, heißt es in einem Dringlichkeitsantrag des Bundesvorstands.