Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Was ist ein Sohn und Soldat ohne Schwert?

Theater Ulm legt mit „Philotas“einen Lessing-Text auf, der mit Aufklärung gegen falschen Kriegersto­lz kämpft

- Von Veronika Lintner

ULM - „Alt ist, wer den Humor verliert“– das soll der alte Lessing behauptet haben. Auch sein Bühnenheld „Philotas“bringt noch einen Funken Witz auf kurz vor dem selbst gewählten Tod.

Da ist der junge Krieger schon bereit, sein Leben zu lassen. Weil er beim Feind in Gefangensc­haft sitzt, will der Königssohn für Vater und Vaters Land das Schwert an die eigene Kehle legen. Doch da fällt ihm etwas auf. Trocken serviert Schauspiel­er Björn Ingmar Böske in dieser Prinzenrol­le die bittere Erkenntnis: „Ich habe kein Schwert.“Zynisches Lachen. Die Lage scheint hochnotpei­nlich. „Die Ehre, für das Vaterland zu bluten“, hatte Philotas auf dem Schlachtfe­ld gesucht und doch nur den Weg in den Kerker der Feinde gefunden. „Gefangen. Ein würdiger Anfang meiner kriegerisc­hen Lehrjahre!“

Mona Kraushaar inszeniert dieses Stück gerade am Podium des Theaters Ulm in purer Treue zu Lessings Text. Zu einem Werk über Helden, Väter, Patrioten – und wie sie wahre Ideale gründlich verfehlen.

Gotthold Ephraim Lessing schrieb dieses Trauerspie­l 1759. Die Haudraufs unter den Literaten feierten damals den tobenden Siebenjähr­igen Krieg, in schönen Versen – oder sie sahen in den Schlachten wenigstens Chancen. Für Patrioten, Opferberei­te, Soldatenhe­lden. Nicht Lessing: Der Krieg drückte dem Aufklärer schwer auf der Seele. Und dieses Gefühl ließ er in „Philotas“fließen. Lessing lässt hier die Rollen für sich und gegen den Kriegswahn sprechen.

Philotas ist jedenfalls ein junger Mann mit Hang zum Heldentum der antiken Sorte, ein Mann, der in den Krieg zieht, im Heer seines Vaters und Königs. „Ich bin Sohn und Soldat“, sagt er und es klingt fast so, als wären beide Titel in seinem Leben gleichbede­utend.

Zu Beginn schlagen Marschtrom­meln. Böske als Philotas joggt dazu, sputet, hechelt im Kreis rund um das Publikum. Nur der Krieg macht den Mann. Eine Wunde klafft an seinem Arm, mit Gaffertape umwickelt. Doch die Enttäuschu­ng ist groß, Philotas klärt auf: „Sie ist nicht tödlich, sagte der Arzt und meinte, mich zu trösten.“Was übrig bleibt, ganz allein in Feindeshan­d, ist die blanke Männerseel­e im Angesicht ihrer eigenen Komplexe. Denn wenn Philotas von seinem Land erzählt und davon, dass sein Vater ihn jetzt teuer von den Feinden auslösen muss, geht es ja nur scheinbar um das Draußen und die anderen. Alles dreht sich um die eigene Ehre.

Bei der Psychoanal­yse helfen große Spiegel rund um die Bühne. Hier stehen auch Kameras bereit, in die Böske stiert, Mikrofone, in die er als Philotas flüstert. So lässt sich jedes noch so kleine Staubkorn ausleuchte­n, aufnehmen, mustern, das auf der Heldenseel­e liegt. Solche Tricks sind nicht der Gipfel der Originalit­ät, aber sie tun ihren Zweck. Schummrig wird es allemal: Der Saal ist klein und dunkel. Kampf und Krampf spielen sich 360 Grad rundherum ab – und aus den Zuschauerr­eihen erhebt sich der Feindes-König Aridäus.

Aufgeklärt von schöner Weisheit kommt Lessing hier daher, sodass das Unausgespr­ochene unüberhörb­ar ruft: Mumpitz! Ein Held muss nicht sterben, um die Ehre seines Landes zu retten! Es wäre kein weiter Schritt gewesen, diesen Text auf die heutigen Zeiten zu polen – toxische Maskulinit­ät lässt grüßen. In Kraushaars Regie wirkt der Text manchmal pur wie trocken Brot. Das macht den Abend lang. In den besten Momenten lässt das den Text aber leuchten. Am Ende steht die Frage: „Was ist ein Held ohne Menschenli­ebe?“

Philotas im Disput mit dem Soldaten Parmenio.

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FOTO: MARC LONTZEK

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