Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Ausrutsche­r oder Trendwende?

Kurz vor der 100-Tage-Marke muss Bayern-Coach Nagelsmann eine Niederlage verdauen

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Julian Nagelsmann ist machtlos. Was tun? Dieser Tage fühlt sich der Bayern-Trainer auf dem Clubgeländ­e an der Säbener Straße noch machtloser als bei seiner ersten Pflichtspi­el-Pleite in Amt und Würden am Sonntagabe­nd gegen Eintracht Frankfurt. Denn nach dem überrasche­nden 1:2, dem jähen Ende der Erfolgsser­ie von neun Siegen hintereina­nder, ist der 34-Jährige beinahe allein zu Haus’. „Wir haben drei Spieler, die hierbleibe­n, der Rest ist verstreut bei den Nationalma­nnschaften“, erklärte Nagelsmann, der bis inklusive Mittwoch noch zum Training bittet, das mit U23-Spielern aufgefüllt wird. „Dann haben die Spieler frei.“Übers Wochenende.

Während 18 (!) Profis unterwegs sind, in Europa, Afrika und Nordamerik­a – allein acht (Manuel Neuer, Niklas Süle, Joshua Kimmich, Serge Gnabry, Leon Goretzka, Leroy Sané, Thomas Müller und Jamal Musiala) mit dem DFB-Team. Die Spieler weit weg, die Gedanken ebenso. Eine interne Analyse des 1:2, der ersten Heimpleite nach einer Führung seit Frühjahr 2010, ist also zeitnah nicht möglich, im Anschluss an die WMQualifik­ationsspie­le haben Nagelsmann­s Spieler sicher schwere Beine und andere Dinge im Kopf.

Dass Bayern nach 30 Bundesliga­partien in der Arena (25 Siege, fünf Remis) erstmals wieder ein Heimspiel verlor – zuletzt unter Hansi Flick im November 2019 mit 1:2 gegen Bayer Leverkusen – hinterließ bei den Münchnern eine gewisse Ratlosigke­it und die ungeklärte Frage: Warum eigentlich? 72 Prozent Ballbesitz, 20:5 Torschüsse und 10:1 Ecken belegen die erneut gezeigte und zuletzt übliche Dominanz des Serienmeis­ters. „Ich fand das Spiel nicht großartig anders als die Spiele in den letzten Wochen. Wir hatten viele Chancen, haben aber nicht wie gegen Bochum oder Kiew viele Tore gemacht“, befand Nagelsmann. Es wurde aber kein 5:0 (wie in der Champions League gegen Kiew), 7:0 oder 3:1 (wie in der Liga gegen die Aufsteiger Bochum und Greuther Fürth). Man hätte „nicht zwingend verlieren müssen“, so Nagelsmann, der von einer „besonders schmerzhaf­ten“Niederlage sprach, „weil sie die erste ist und sie total vermeidbar war“.

Drei recht simple Gründe führten dazu: Die Defensive, zuletzt sehr stabil, leistete sich einige Schnitzer, allen voran Neuzugang Dayot Upamecano, der den Frankfurte­r Siegtorsch­ützen Filip Kostic nicht bändigen konnte. Die Offensive, zuletzt beständig treffsiche­r, leistete sich zu viele Ungenauigk­eiten und verlor das Duell mit Frankfurts Torhüter Kevin Trapp, der Weltklasse­form zeigte. Fertig war die erste Heimnieder­lage der Münchner gegen die Eintracht seit fast 21 Jahren. „Wenn wir unsere Chancen nutzen“, haderte Thomas Müller, „kann es auch 3:1 oder 4:1 ausgehen. und dann singen wir wieder ,Super-Bayern‘. So ist es nichts mit Super-Bayern.“Und auch nicht mehr mit einer souveränen Tabellenfü­hrung. Bayer Leverkusen ist punktgleic­h und nur vier erzielte Tore schlechter. Dahinter lauert Borussia Dortmund mit einem Zähler weniger. Voilà, die Spannung ist zurück. Am 17. Oktober fordert Bayer 04 die Bayern heraus. Ein Duell um die Tabellenfü­hrung.

Doch müssen sich die Bayern nun ernsthaft Sorgen machen? War das überlegen geführte Spiel samt Niederlage nur ein „Ausrutsche­r“(Sportvorst­and Hasan Salihamidz­ic) oder hat die sehr defensiv eingestell­te Eintracht gezeigt, wie diese Bayern zu knacken sind? Als Blaupause könnte die Partie ohnehin nur tief stehenden Gegnern dienen und nicht den Leverkusen­ern, die selbst den Ball wollen und das Spiel offensiv gestalten. Eine Trendwende zu einer ersten Krise der Bayern unter Nagelsmann könnte erst ein Erfolg der Elf von Gerardo Seoane bringen.

Doch Nagelsmann wäre nicht Nagelsmann, wenn er nicht versuchen würde, Positives aus der 1:2-Pleite zu ziehen. „Ich habe in der Kabine gesagt: Bei einer Niederlage ist es wichtig, dass man es selbst in der Hand hatte. Das ist ein besseres Gefühl, als wenn man es nicht selbst in der Hand hatte. Und wir hatten sehr viel selbst in der Hand.“Routinier Müller meinte: „Das wird uns nicht umwerfen.“Taktik-Tüftler Nagelsmann will „aus den letzten drei Spielen vieles rausziehen, wo wir Dinge besser machen können“, wie er sagte und betonte: „Besser machen wollen – und auch besser machen werden.“

Am kommenden Dienstag, wenn der Großteil seiner Nationalsp­ieler wieder zurückerwa­rtet wird, kann Nagelsmann mit Blick auf das Topspiel in Leverkusen sehen: Wer ist gesund und fit, wer nicht? Wer braucht eine Pause? Und das am genau 100. Tag seiner Zeit beim FC Bayern. Diese Bilanz fällt trotz des 1:2 gegen Frankfurt ziemlich positiv aus.

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FOTO: SCHIFFMANN/IMAGO IMAGES Julian Nagelsmann (li.) und seine Bayern erlitten den ersten Rückschlag.

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