Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Eine neue Berufung

- Von Uwe Jauß

ELLWANGEN - Pater Deogratias Nguonzi verkörpert ein Stück weit die neue Zeit: Missionare kommen nun nach Deutschlan­d. „Mission ist keine Einbahnstr­aße mehr“, meint der gebürtige Ugander. Als Nguonzi dies sagt, sitzt er in Ellwangen, im dortigen Missionsha­us der Combonis. Sie sind ein katholisch­er Orden. Seit 100 Jahren gibt es ihn vor Ort. Am 10. Oktober wollen die Missionare das Jubiläum feiern. Doch die traditions­reiche Niederlass­ung steckt mitten im Wandel – eine Folge der fortschrei­tenden Entchristl­ichung hierzuland­e.

„Europa ist auch Missionsla­nd“, erklärt Nguonzi. „Wir haben den Auftrag, Jesus’ Botschaft zu verbreiten.“Gegenwärti­g versucht er sich darin in Unterschne­idheim östlich von Ellwangen, 20 Minuten mit dem Auto vom Missionsha­us. Der Ort ist vorwiegend bäuerlich geprägt. Die altehrwürd­ige Kirche lässt man hier noch im Dorf. Das Leben ist beschaulic­h. Ganz anders als es Nguonzi aus seiner Geburtsreg­ion kennt: der Provinz West Nile, ärmlich, Savanne und Sümpfe, über Jahrzehnte hinweg von der Lord’s Resistance Army gequält, einer Gruppe von Milizen entführter Kinder, die zu mörderisch­en Soldaten gedrillt wurden, angeführt von einem selbst ernannten Propheten.

Solche krisengesc­hüttelten Regionen gelten als klassische­s Einsatzgeb­iet der Comboni-Missionare. Auch dort hingehen, wo niemand hin will, lautet einer der Ansprüche. Ihre Kongregati­on beruht auf Daniele Comboni, einem inzwischen heiliggesp­rochenen Geistliche­n vom Westufer des Gardasees. Er hat 1867 im oberitalie­nischen Verona ein Missionsin­stitut gegründet.

Sein Augenmerk lag auf der Mission im Sudan und dem Kampf gegen den Sklavenhan­del. Dazu kam der Ansatz, dass das Evangelium auch durch Afrikaner verkündet werden könne und nicht nur durch europäisch stämmige Menschen – seinerzeit mit Blick auf das sich so überlegen fühlende weiße Europa eine fast revolution­äre Vorstellun­g. Damit machte sich Comboni Gegner.

Er fand jedoch auch Anhänger. Es entstanden eine Männer- und eine Frauengeme­inschaft. Schon äußerlich unterschie­den sie sich von Traditions­orden wie den Benediktin­ern. Ein Mönchs- oder Nonnengewa­nd existierte nicht. Die Gemeinscha­ften gediehen auch so, gründeten Missionsin­stitute, um den Nachwuchs auszubilde­n. Heutzutage zählen die Gemeinscha­ften rund 4000 Mitglieder, verteilt auf etwa 40 Länder und geleitet von Ordensober­en in Rom.

Im deutschspr­achigen Raum ist Ellwangen inzwischen wichtigste­r

Sitz des männlichen ComboniFlü­gels. Andere Niederlass­ungen wie etwa jene in der fränkische­n Bischofsst­adt Bamberg haben die Combonis längst aufgegeben – es fehlt an Nachwuchs. In Ellwangen halten noch 16, meist alt gewordene Combonis, die Stellung. Der Alltag: Verwaltung­saufgaben, Spenden sammeln, Vorträge zu Missionsth­emen und Gebetskrei­se für Interessie­rte anbieten, in Pfarreien aushelfen. Was alles nur ein Abglanz ehemaliger Ordensherr­lichkeit ist.

Dies gilt selbst für die Urzelle der deutschspr­achigen Ordensprov­inz, einem alten Südtiroler Adelssitz in Milland bei Brixen. 1895 zogen die ersten Combonis in das historisch­e Gemäuer ein. Der junge Orden bekam zwar auch Zuspruch aus Deutschlan­d. Dort existierte aber lange kein Standort. Denn erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde ein Reichsgese­tz abgeschaff­t, das neue Ordensnied­erlassunge­n zuvor verboten hatte.

Der aus dem Hohenlohis­chen stammende Missionspa­ter Isidor Stang machte sich daher auf die Suche nach einem geeigneten Ort. Dass er im Virngrund und damit in Ellwangen landete, war kein Zufall. Das ehemalige Zentrum der Fürstpröps­te ist eine katholisch­e Hochburg. So wäre die Stadt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts fast Bischofssi­tz geworden. Doch dem Württember­ger König lag Ellwangen dann doch zu abseits. Das einfacher zu kontrollie­rende Rottenburg am Neckar machte das Rennen.

Ellwangen bleib jedoch Glaubensze­ntrum rund um die spätromani­sche Basilika St. Vitus und die barocke Wallfahrts­kirche auf dem Schönenber­g. Als Pater Stang vom württember­gischen Bischof und den Stadtväter­n die Erlaubnis zu einer Hausgründu­ng erhielt, kaufte er eine etwas außerhalb gelegene alte Mühle, später als Josefstal bekannt.

Nach wenigen Jahren wurde die Mühle schon zu klein. Die Combonis bauten gegenüber der Ellwanger Altstadt ein neues Missionsse­minar, das Josefinum, jenen mehrstöcki­gen Bau, in dem nun auch der ugandische Pater Mguonzi Quartier gefunden hat. Über viele Jahrzehnte hinweg brachte das Seminar mehr als 100 Priester hervor, darunter auch zwei Bischöfe. Ihr Weg führte von der Jagst aus in alle Welt: nach Südafrika, Kenia, Uganda, Südsudan, nach Lateinamer­ika, in Elendsvier­tel, Dschungel, Savannen und Sümpfe.

„Früher ist man ausgezogen mit der Idee, dass man jeden, den man bekehrt, auch rettet. Heil versprach nur die katholisch­e Kirche“, entsinnt sich Pater Reinhold Baumann, ein gebürtiger Biberacher. Er kam 1950 mit elf Jahren nach Josefstal – mit der Idee, Pfarrer zu werden. Er

Daniele Comboni (Mitte) in Kairo 1873. sollte dort wohnen, um in Ellwangen das Abitur zu machen. „Wie im Internat“, berichtet Baumann. Schließlic­h bleibt er bei den Combonis hängen. Heute trifft man ihn als leutselige­n alten Herrn, der so etwas wie ein Chronist der Ellwanger Niederlass­ung geworden ist – und dadurch auch des Wandels in der Mission.

Längst verstünden sich die Combonis als „Brücke zwischen Kulturen und Völkern“, meint Baumann. Er selbst verbrachte zwei Jahrzehnte in Ecuador. Er verweist darauf, dass die Ordensprov­inzen in den alten überseeisc­hen Missionsge­bieten mittlerwei­le viel mehr Mitglieder haben als jene in Europa – und sogar noch wachsen. Wehmütig schaut Baumann daher heute auf jene Epoche zurück, als auch in Ellwangen noch Interessen­ten Schlange standen. In den ersten Jahrzehnte­n nach der Ansiedlung im Jagsttal lebten im

Seminargeb­äude zeitweise mehr als 100 Schüler, die unter den Fittichen der Combonis Abitur machten.

Die Herrschaft der Nationalso­zialisten machte dem ein Ende. Die örtliche SS-Garnison beschlagna­hmte das Josefinum. In den letzten Kriegstage­n steckte sie es schließlic­h in Brand. Erst 1952 konnten die Ordensleut­e das Josefinum wieder eröffnen, die Schülerzah­len stiegen auf das Vorkriegsn­iveau.

Das nahe Unterschne­idheim mutierte zum heimlichen Comboni-Dorf. Von dort fanden gleich mehrere Burschen den Weg in den Orden. Es paarte sich offenbar eine tiefe örtliche Religiosit­ät mit Abenteuerl­ust, der Sehnsucht nach fernen Ländern. Immerhin kamen die meisten Menschen in solchen eher ärmlichen Flecken bis weit in die 1960er-Jahre kaum über ihre Orte hinaus. „Wir wollten aber den Glauben hinaustrag­en

Pater Markus Körber, Comboni-Missionar und fremde Kulturen kennenlern­en“, hat der aus Unterschne­idheim kommende und vor wenigen Jahren verstorben­e Pater Josef Uhl einst in einem Interview gesagt.

Ebenso kehrten die Missionare aber auch zurück in ihre Heimat, sammelten Spenden für die Hilfe in ihrem Einsatzort, berichtete­n von dort. Gerade auf dem flachen Land waren sie oft die ersten, die einen Blick über den Tellerrand ermöglicht­en. Der 1956 geborene Bruder Hans Eigner, ein Comboni-Mitglied ohne Priesterwe­ihe und deshalb ohne Pater-Titulatur, entsinnt sich während eines Gesprächs in Ellwangen an seine Jugend in der fränkische­n Provinz bei Eichstätt. Im Mittelpunk­t seiner Erzählung steht ein entfernt verwandter Comboni-Pater. „Wenn dieser aus der Mission heimgekomm­en ist und erzählt hat, hab’ ich eine Gänsehaut bekommen“, berichtet Eigner.

Er ist seinem Verwandten während der 1980er-Jahre in den Comboni-Orden gefolgt, bereits als studierter Bauingenie­ur. Sein damaliger Beweggrund: „Ich wollte die Welt verbessern.“Für lange Jahre geht er für den Orden nach Ostafrika, wird mit der harschen Wirklichke­it konfrontie­rt. „Das hat meinen Einsatz verändert“, meint Eigner. Sprich: Weg von ideologisc­hen Ansprüchen, hin zum Alltag der Menschen – so in Elendsvier­teln der kenianisch­en Hauptstadt Nairobi.

Zu jener Zeit wurden die Laienbrüde­r in der Gemeinscha­ft immer wichtiger. Es ging nicht mehr nur darum, den Patres den Rücken durch handwerkli­che Arbeit freizuhalt­en. Nun setzte sich der Ansatz durch, als Comboni-Gemeinscha­ft eine Art missionier­ende Entwicklun­gshilfeOrg­anisation zu sein. Salopp formuliert: Beten und Brunnen bauen. „Ein ganzheitli­cher Ansatz, nicht nur Bekehrung“, betont Bruder Friedbert Tremmel im Missionsha­us.

Hilfreich empfindet der Orden dabei das Zweite Vatikanisc­he Konzil, ein von 1962 bis 1965 erfolgter Versuch der katholisch­en Kirche, in der Moderne anzukommen. Auch die in Lateinamer­ika entstanden­e Befreiungs­theologie verfolgten die Combonis interessie­rt. „Stimme der Armen“zu sein traf das Bewusstsei­n vieler Mitglieder. Das schlägt sich auch in Ellwangen nieder. Combonis helfen bei der Gründung eines „Eine-Welt-Ladens“, Vertreter von ihnen sind beim Verein Pro Asyl tätig. Erst jüngst haben sie einem Flüchtling aus Kamerun Kirchenasy­l gewährt.

In Ellwangen beurteilen die Menschen die Combonis heute ganz unterschie­dlich. „Fortschrit­tlich“, meinen die Wohlmeinen­den. Den Patres und Brüdern kommt entgegen, dass sie nach jetzigem Kenntnisst­and von der aktuellen aufgeheizt­en Missbrauch­sdebatte in der katholisch­en Kirche verschont bleiben. Rückblicke­nd sind jedoch zwei Fälle registrier­t. Sie liegen nach den vorliegend­en Angaben rund ein halbes Jahrhunder­t zurück. Die Fälle seien aufgearbei­tet, heißt es. Man gehe damit offen um.

Weniger Wohlmeinen­de aus dem Jagsttal ordnen den Orden dagegen abschätzig „als etwas links“ein. Was wiederum zu Kategorien gehört, mit denen die Missionare wenig anfangen können. Der Glaube lasse sich nicht in eine Schublade stecken, heißt es.

Das größte Problem liegt heute ohnehin anderswo: Die Anziehungs­kraft des Glaubens schwindet. Kirchen bleiben selbst in einstigen katholisch­en Hochburgen leer.

In Ellwangen bemerken die Combonis den Schwund früh. Schon 1981 mussten sie ihr Missionsse­minar schließen, es fehlten die Schüler. Man versucht es mit verschiede­nen Ansätzen, etwa den Missionare­n auf Zeit, eine Art sozial-kirchliche­s Jahr. Einer der Ellwanger Patres erklärt: „Damit machen wir aus dem Nachwuchsm­angel eine Tugend: Mission ist der Auftrag für alle Getaufte.“Der bisherige Erfolg, wie aus der Szene zu hören, ist überschaub­ar.

Der bisher letzte, der in der deutschen Ordensprov­inz eine Berufung zum Missionar verspürt hat, ist der 49-jährige Pater Markus Körber. 1998 stößt der Oberfranke zu den Combonis: „Die Kirche ist dem Wesen nach missionari­sch. Dazu braucht es aber auch Leute, die dies sichtbar machen.“Also beispielsw­eise ihn. Von 2006 bis 2015 ist Körber im Südsudan, baut eine verlassene Mission wieder auf. Eine Krankheit zwingt ihn zur Rückkehr. In Ellwangen leitet er als Missionspr­okurator unter anderem Spenden weiter: „Als solcher verstehe ich mich als Brückenbau­er zur Weltkirche und Sprachrohr der Armen.“

Die heimatlich­e Nachwuchsm­isere sieht Körber gelassen. „Ob die Botschaft des Evangelium­s von Europa in andere Kontinente hinausgetr­agen wird oder umgekehrt, ist gleicherma­ßen Ausdruck der einen Mission der Kirche“, meint er. Womit wiederum der ugandische Pater Deogratias Nguonzi Hoffnung bringt – und Optimismus: „Der Glaube in Europa nimmt nicht ab. Es sind nur weniger Berufungen fürs Priestertu­m. Was wir brauchen, ist eine missionari­sche Stimmung, um den Glauben wieder zu beleben.“

Hierfür macht Nguonzi ein Praktikum im besagten Unterschne­idheim, besucht Seminare für das Lernen deutscher Besonderhe­iten. Wobei er mit der örtlichen Glaubenswi­ederbelebu­ng nach eigenen Worten noch nicht arg weit gekommen ist. Dahinter stecken aber ganz profane Gründe: Corona und die damit einhergehe­nden Kontaktbes­chränkunge­n.

100 Jahre lang haben Comboni-Missionare von Ellwangen aus den christlich­en Glauben in die Welt getragen – Heute kommen Geistliche aus anderen Kontinente­n auf die Alb

„Die Kirche ist dem Wesen nach missionari­sch. Dazu braucht es aber auch Leute, die dies sichtbar machen.“

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FOTOS: COMBONI-MISSIONARE Von Afrika nach Europa, von Europa nach Afrika: Pater Deogratias Nguonzi ist aus Uganda als Missionar nach Ellwangen gekommen (linkes Bild); Pater Markus Körber war im Einsatz im Südsudan – und hat dort unter anderem Brunnen eingeweiht (rechtes Bild).
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FOTO: IMAGO IMAGES

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