Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Vergessene Orte eines Menschheit­sverbreche­ns

Steinmeier gedenkt bei Besuch in der Ukraine der Opfer des Massenmord­s von Babyn Jar

- Von Ellen Hasenkamp

KIEW - „Weiberschl­ucht“, so lautet die altmodisch und harmlos klingende Übersetzun­g von Babyn Jar. Der Name aber steht für ein Menschheit­sverbreche­n: Vor 80 Jahren ermordeten Deutsche, SS-Truppen, Sicherheit­spolizei und WehrmachtS­oldaten, hier fast 34 000 Menschen: jüdische Kinder, Frauen und Männer – erschossen in nur zwei Tagen. Vom „Holocaust durch Kugeln“sprechen Historiker, und auch Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier nutzte diesen Begriff in seiner Rede bei der Gedenkfeie­r am Mittwochab­end nahe Kiew.

„Das Menschheit­sverbreche­n des Holocaust begann nicht erst in den deutschen Todesfabri­ken“, sagte Steinmeier. „Es begann schon früher, auf dem Eroberungs­feldzug Richtung Osten, in Wäldern, am Rande von Ortschafte­n.“Mehr als eine Million Juden seien so getötet worden, aber die Schauplätz­e blieben weitgehend unbekannt. „Wer kennt sie, diese mit Blut getränkten Namen?“, fragte der Bundespräs­ident.

Um zumindest einen dieser vielen Namen ein bisschen bekannter zu machen, reiste Steinmeier vor der Gedenkfeie­r in das ukrainisch­e Korjukiwka, rund 200 Kilometer nordöstlic­h der Hauptstadt. Auch diese Kleinstadt war Schauplatz eines Verbrechen­s, einer der blutigsten „Strafaktio­nen“gegen Zivilisten: Getarnt als Rache für einen Partisanen­überfall wurden hier Anfang März 1943 rund 6700 Menschen ermordet; erschossen oder ins Feuer ihrer brennenden Häuser getrieben. Steinmeier besuchte dort ein Denkmal und traf sich mit Schülerinn­en und Schülern.

Die Erinnerung an die vergessene­n Orte will Steinmeier mit solchen Besuchen aber nicht nur in Deutschlan­d wecken. Auch die Ukraine – und andere ehemals kommunisti­sche Länder – tun sich schwer mit dem Gedenken. In Korjukiwka beispielsw­eise wurde erst Ende der 1970erJahr­e ein Denkmal aufgestell­t; zu „Ehren des heldenhaft­en Widerstand­s der Bevölkerun­g gegen deutsche faschistis­che Invasoren“. Auch in Babyn Jar dauert die Debatte über die angemessen­e Würdigung der schrecklic­hen Geschichte an. Steinmeier sagte: „Ohne ehrliche Erinnerung gibt es keine gute Zukunft.“

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier an einer Gedenkstät­te in Korjukiwka nahe Kiew.

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FOTO: DPA

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