Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Inflation ist gesund für eine Gesellschaft“
Politökonom Wullweber über niedrige Zinsen, steigende Energiepreise und die Forderung nach höherer Teuerung
RAVENSBURG - Seit Monaten steigt die Inflation in der Eurozone, aktuell ist sie bei mehr als drei Prozent. Die Energiepreise explodieren. Alles kein Grund zur Sorge, sagt Joscha Wullweber (Foto: privat). Der Ökonom hält die aktuelle Inflation für zu niedrig und nicht nachhaltig. Was Inflation ist, warum Deflation gefährlicher ist und was das alles mit den Sparern macht, erklärt er im Gespräch mit Jonas Voss.
Was ist Inflation, Herr Wullweber? Es gibt zwei verschiedene Arten von Inflation – eine gesunde und eine problematische. Problematisch ist sie, wenn es zu einem relevanten Anstieg der Rohstoffpreise kommt. Wenn wie in den 70ern der Ölpreis durch die Decke schießt, oder auch die aktuelle Entwicklung bei den Gaspreisen. Dabei steigen die Löhne nicht in gleicher Weise, das Leben wird also tatsächlich teurer. Es gibt aber eine sehr gewollte Inflation – diejenige, die aus der Gesellschaft selbst kommt. Lohnsteigerungen spielen dabei eine wesentliche Rolle. Wenn die Preise mit den Löhnen steigen, bleiben die Lebenshaltungskosten relativ gesehen gleich hoch.
Warum ist diese Inflation gewollt? Bei einer gesunden Inflation investieren Unternehmen eher, da durch Lohnsteigerungen eine steigende Nachfrage existiert. Auch nehmen die Schulden relativ zum Einkommen ab, es gibt also eine leichte ausgleichende gesellschaftliche Umverteilung von vermögenden zu verschuldeten Haushalten. Schließlich wird verhindert, dass eine Wirtschaft in die Deflation abrutscht, die fatale Folgen für die gesamte Gesellschaft hat und die Ökonomie abwürgt. Es ist äußerst schwierig, aus einer anhaltenden Deflation wieder herauszukommen.
Und wie kommt es zur problematischen Inflation?
Steigende Rohstoffpreise resultieren meist aus politischen Entscheidungen, geopolitischen oder anderen Ereignissen mit globalen Auswirkungen – auch dafür ist die Ölkrise der 70er-Jahre mit ihrer starken Inflation ein prägnantes Beispiel. Das kann auch jetzt im Bereich der Energiewende geschehen, wenn es etwa einen Engpass bei dringend benötigten Materialien wie Lithium gibt – wichtig ist aber bei der aktuellen Diskussion, wir haben zur Zeit keine besorgniserregende Inflation!
Sondern?
Definitionsgemäß ist Inflation die Verbraucherpreissteigerung im Vergleich zum Vorjahr. Nun ist aber das Verrückte: Vergangenes Jahr ist die Mehrwertsteuer gesenkt worden, das Konsumverhalten war pandemiebedingt zurückhaltend und aufgrund der geringen Nachfrage rutschten die Rohstoffpreise in den Keller. Die ziehen jetzt wieder an – im Vergleich zu 2019 ergibt sich aber gemittelt nur eine Steigerung von knapp zwei Prozent.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre Inflationsprognose für dieses Jahr auf 2,2 Prozent und ihr mittelfristiges Inflationsziel auf zwei Prozent festgelegt. Der Jahresvergleich zu 2019 befindet sich weiterhin darunter.
Richtig! Die aktuelle Preissteigerung rührt vor allem von der Minusinflation 2020 und der Wiederanhebung der Mehrwertsteuer und der Energiepreise her.
Aber die Energiepreise steigen. Könnte es nicht zu einer problematischen Inflation kommen? Aktuell würde ich da abwarten. Aber mittelfristig werden wir noch stärkere Energiepreise für fossile Brennstoffe haben aufgrund des CO2-Preises. Hier müsste nun der Staat kommen und den Ausbau regenerativer
Energien subventionieren sowie sozial gegensteuern. Dazu gibt es interessante und praktikable Konzepte.
Warum ist dieses EZB-Ziel von rund zwei Prozent Inflation überhaupt von manchen Ökonomen und Politikern gewünscht?
Weil Inflation seitens einer Zentralbank sehr gut zu beherrschen ist. Wird diese zu stark, erhöht man den Leitzins – und die Inflationsrate wird sofort gedrückt. Viel gefährlicher wäre eine Deflation und die muss durch eine stetige, leichte Inflationsrate vermieden werden. Man braucht einen Puffer. Bei einer Inflationsrate von einem Prozent läuten die Alarmglocken, die aktuellen drei Prozent Inflation sind ein Traum.
Warum ist Deflation gefährlich? Bei einer Deflation sinken Preise Jahr um Jahr, damit sinken Unternehmensgewinne und Löhne. Es wird weniger gekauft und schon sind wir in einem Teufelskreis der wirtschaftlichen Stagnation. Das Instrument der Zentralbank dagegen wäre eine Senkung des Leitzinses – da sind wir aber schon bei null. Wir könnten nicht viel dagegen tun. Seit der globalen Finanzkrise ist die Gefahr der Deflation extrem. Wie problematisch Deflation ist, kann man heute in Japan sehen
Weil?
Das Land befindet sich seit den 90erJahren in einer Deflationsspirale, es gibt kaum Wachstum. Die dortige Zentralbank versucht über noch umfangreichere Ankaufprogramme als die EZB der Deflation zu entkommen. Heute hat das Land eine Staatsschuldenquote von knapp 270 Prozent, aber keine Inflation, kaum Wachstum. Hohe Staatsschulden haben also keinen Einfluss auf die Inflation.
Welche Inflationsrate halten Sie denn für wünschenswert?
Bei allem bis fünf Prozent bin ich ganz entspannt. Solange es eine Inflation aus Lohnsteigerungen heraus gibt. Man kann sagen, Inflation ist gesund für eine Gesellschaft. Folgendes Szenario: Jedes Jahr gibt es eine Inflation von zwei Prozent – also auch zwei Prozent Lohnsteigerungen. Was passiert also? Mein Lohn steigt, der Kreditvertrag für mein Haus bleibt aber gleich. Meine Schuldenlast vermindert sich also relativ gesehen. Ich habe mehr Geld zum Konsumieren und die Wirtschaft wird belebt.
Das Geld der Sparer aber verliert an Kaufkraft. Und auch die private Altersvorsorge, die nicht zuletzt auf der Anlage in Wertpapieren beruht, wird in Mitleidenschaft gezogen. Im Hinblick darauf ist Inflation über Jahrzehnte doch verheerend, oder nicht?
Nochmals: Der Kaufkraftverlust des Geldes ist nur dann ein Thema, wenn es keine Lohnerhöhungen gibt. Ziehen die Löhne mit, ist Inflation kein Problem. Richtig, das Sparvermögen verliert etwas an Wert, doch zugleich nimmt die Schuldenlast ab. Zur Problematik der privaten Altersvorsorge ließe sich viel sagen. Nur kurz: Sie funktioniert schlicht nicht. Fonds, wie ETFs, sind hochriskant, im Zweifelsfall verlieren Sie Ihr gesamtes investiertes Geld. Bei der Riester-Rente verdienen vor allem Versicherungen und Banken, die hohe Provisionen erhalten. Die kleine Rendite, die vielleicht übrig bleibt, kommt vom Staat, der diese über Steuergelder bezuschusst. Wie wir in Österreich sehen, kann die staatliche Altersvorsorge sehr gut funktionieren. Voraussetzung ist, dass die meisten Menschen einzahlen. Die staatliche Rente ist übrigens auch gut gegen Inflation gewappnet. Denn wenn die Inflation aufgrund von Lohnsteigerungen zunimmt, steigen auch die Renten, da diese an die Löhne gekoppelt sind. Fazit: Die große Mehrheit profitiert von einer leichten Inflation – übrigens ebenso wie viele Unternehmen, die Kredite aufgenommen haben, um zu investieren.
Joscha Wullweber hat die Heisenberg-Professur für Politics, Transformation and Sustainability an der Universität Witten inne. Zu seinen Forschungsgebieten gehören insbesondere Zentralbankpolitik, Kredit- und Geldtheorien.