Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Raum für Erinnerung an einen ermordeten Mediziner
Der neue Hans-Hirschfeld-Platz ehrt den Mann, den der spätere Ulmer Unigründer Ludwig Heilmeyer ausnutzte
ULM - Der Verkehr braust um den Kreisverkehr beim Parkhaus Helmholtzstraße: Rettungswagen fahren zum Uniklinikum, die Straßenbahn gleitet vorbei, Autos bewegen sich zwischen den Ausfahrten. Der Kreisel ist ein viel genutzter Ort. Seit Montag hat er offiziell einen Namen: In einem Festakt wurde er benannt nach dem jüdischen Berliner Hämatologen Hans Hirschfeld, der am 26. August 1944 in Theresienstadt ermordet wurde.
Die Verbindung des 1873 als Sohn einer Berliner Kaufmannsfamilie geborenen Nestors der Erforschung von Bluterkrankungen zur Stadt Ulm existiert gerade über diese Forschung: Hans Hirschfeld hatte zusammen mit dem österreichischen Hämatologen Anton Hittmair im Jahr 1932 das bahnbrechende „Handbuch der allgemeinen Hämatologie“im Verlag Urban & Schwarzenberg herausgegeben. Am Werk war damals ein junger Dozent beteiligt, Ludwig Heilmeyer, später Gründungsrektor der Universität Ulm und Leopoldina-Mitglied.
Heilmeyer und Hittmair hatten ab 1957 das „Handbuch der gesamten Hämatologie“im gleichen Verlag herausgegeben, ohne den Erstherausgeber Hirschfeld auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Als Erstherausgeber trat Ludwig Heilmeyer auf. Hirschfelds Beitrag zur medizinischen Forschung wurde damit auf wissenschaftlich unredliche Weise getilgt. „Ach, des war a
Blick in die Ausstellung über Hans Hirschfeld.
Jud!“, soll Hittmair später auf das aktive Totschweigen Hirschfelds gesagt haben.
Hirschfeld hatte 1933 aufgrund seiner jüdischen Abstammung seine Lehrbefugnis und 1938 seine Zulassung als Arzt verloren und war 1942 mit seiner Frau nach Theresienstadt deportiert worden. Die beiden Töchter des Ehepaares waren der nationalsozialistischen Verfolgung entgangen, Ilse und Käte Hirschfeld hatten ins Ausland fliehen können.
Der Medizinhistoriker Peter Voswinckel, der sich in der jüngeren Vergangenheit für die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie intensiv mit der Enteignung jüdischen geistigen Eigentums im Nationalsozialismus beschäftigte, arbeitete Hirschfelds Lebensweg vor vier Jahren auf und brachte damit den Ulmer Pharmakologieund Toxikologie-Professor Peter Gierschik auf die Idee, Hirschfeld diesen Platz zu widmen, die er mit
Verve und Erfolg betrieb.
Die Einweihungsreden der Gäste der Feier lobten Gierschiks Einsatz und die Entscheidung für den Namen Hirschfelds durchweg: Es sei ein deutliches Signal, dass Hirschfelds Beitrag zur medizinischen Forschung dem aktiv herbeigeführten Vergessen entrissen sei, so der Tenor der Redebeiträge von Theresia Bauer, baden-württembergische Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst, von Universitätspräsident Michael Weber, von Thomas Wirth, Dekan der Medizinischen Fakultät – und auch von Barbara Traub, der Vorstandssprecherin der Israelischen Religionsgemeinschaft Württembergs, die den Dank von Josef Schuster überbrachte, der Mediziner und Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland ist.
Thomas Wirth betonte, der Platz direkt vor dem Eingang zum Universitätscampus fordere mit dieser Namensgebung auf, sich mit dem Forschungsbeitrag jüdischer Mediziner im frühen 20. Jahrhundert zu beschäftigen. Hirschfelds Forschungsfeld sei heute ein wesentliches der Forschungsfelder der Universität Ulm, eines, das zum Renommee der Universität Ulm erheblich beigetragen habe. Die Universität Ulm sei einer der wichtigen Stützpunkte der Hämatologieund Stammzellforschung. Wirth erinnerte an das „Ulmer Zelt“, das entwickelt wurde, um gefährdete Patienten vor Infektionen zu schützen.
Den Dank und die Freude der Familie Hirschfeld übermittelte sein Ururgroßenkel zweiten Grades, Jan Watzlawik. Der Tübinger schilderte die Schicksale überlebender Familienmitglieder der Familie. Er sei allerdings weit davon entfernt, zu richten, sagte Watzlawik. Gehörten doch zur weiteren Familie auch der 1946 als Kriegsverbrecher hingerichtete Arthur Seyß-Inquart und der zum Tode verurteilte und später begnadigte Albert Kesselring.
Seine Mutter, berichtete Watzlawik, starb 2019 in der Universitätsklinik Göttingen an einer Lymphom-Erkrankung auf der nach Hans Hirschfeld benannten Station 3022. Die benachbarte Station 3023 ist nach Ludwig Heilmeyer benannt: zwei Biografien, die auf unfreiwillige Weise miteinander verwoben sind.
Im Forum der Universität Ulm wurde am Montag auch noch die Hans-Hirschfeld-Ausstellung eröffnet. Zu sehen ist sie noch bis Mitte November. Danach zieht sie um ins DZOK.