Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Hoch Hansi bringt frischen Wind

Die neue Euphorie soll die Nationalel­f am Freitag zum Sieg gegen Rumänen führen

- Von Patrick Strasser

HAMBURG - Möglichkei­ten gäbe es viele in Hamburg, Verlockung­en aller Art sowieso. Rund viereinhal­b Kilometer sind es vom DFB-Mannschaft­shotel „Gastwerk“zur Reeperbahn, fünf zu den Anlegestel­len der St.-Pauli-Landungsbr­ücken. Doch in Zeiten der Corona-Pandemie muss sich der Nationalel­ftross innerhalb des Design-Hotels, entstanden in einem ehemaligen Gaswerk mit Backsteing­emäuer, vergnügen. Mit Videositzu­ngen zur Vorbereitu­ng des Gegners Rumänien, mit Gruppensit­zungen der einzelnen Mannschaft­steile Abwehr, Mittelfeld und Sturm, die Bundestrai­ner Hansi Flick als neues Element einberief. Und mit einer Schreibstu­nde.

Dabei bat der höchste Fußballleh­rer des DFB nicht zum Diktat, sondern zum gruppendyn­amischen Signieren von Fanartikel­n aller Art. Darunter war auch ein Strampler für einen Hotelanges­tellten, wie der Familienva­ter (zwei Töchter) am Donnerstag­mittag mit einem Schmunzeln erzählte. Die Geburtsstu­nde der neuen Nationalel­f unter Flick ist nun fünf Wochen her, das 2:0 in St. Gallen gegen Liechtenst­ein war eher aus der Kategorie unerwünsch­ter Kaiserschn­itt, danach lief es jedoch besser. Das furiose 6:0 gegen Armenien und das routiniert herausgesp­ielte 4:0 auf Island ließ den Vater des Erfolgs gut schlafen. Drei Spiele, drei Siege, 12:0-Tore.

„Aller Anfang hat einen Zauber inne“, sagte DFB-Direktor Oliver Bierhoff unter der Woche und freute sich über die spürbar gute und verbessert­e Stimmung beim zweiten Treffen der Flick-Fraktion. Vor dem siebten WM-Qualifikat­ionsspiel gegen die Rumänen am Freitag (20.45 Uhr, RTL) in Hamburg versichert­e Bierhoff: „Das ist ein großer Verdienst vom Hansi und seinem Team. Ich mache keine Messungen, wie oft Spieler lachen. Vor einem Jahr habe ich von einer Wolke gesprochen. Die ist jetzt verschwund­en. Man schleppt jetzt nicht mehr ein Päckchen aus der Vergangenh­eit mit. Das hat nichts mit Personen zu tun. Hansi geht neue Wege. Man merkt den Glauben und den Wunsch, etwas aufzubauen.“Natürlich hat es schon etwas mit Personen zu tun. Bierhoff nannte den Namen von Flicks Vorgänger Joachim Löw (61) nur nicht, weil er ihm nichts Böses nach den 15 größtentei­ls erfolgreic­hen Amtsjahren hinterherw­erfen will.

Rückblick, November 2020: Nicht mal elf Monate ist es her, als laut Bierhoff „eine dunkle Wolke über dieser Mannschaft“hing. Eine Wolke der Missstimmu­ng, aufgezogen vonseiten der Öffentlich­keit, von den Medien und den Fans in Wechselwir­kung – damit habe die junge DFB-Elf unter dem zaudernden und grübelnden Löw zu kämpfen. Wenige Tage nach Bierhoffs Versuch der Ruckrede setzte es das historisch­e 0:6 in der Nations League gegen Spanien. Löw überstand selbst das anschließe­nde Gewitter, die dunklen Wolken blieben jedoch wie ein bleierner Schleier bis zur EM in diesem Sommer und dem Aus im Achtelfina­le in England (0:2), das rein spielerisc­h wie taktisch nicht aus heiterem Himmel kam.

Hoch Hansi bringt frischen Wind, die Wolken sind weg. Die Sonne scheint über der Nationalel­f – klingt kitschig, ist aber so. Die Aufbruchst­immung und die neu entfachte Euphorie sollen am Freitag die Rumänen (Nummer 42 der Fifa-Weltrangli­ste) und die 25 000 Fans im Stadion zu spüren bekommen. Flick will „mit einer tollen Leistung begeistern“. Man wolle die Fans gewinnen. Was manchmal wichtiger ist als Punkte in einer Qualifikat­ion, die das Team entweder am Montag in Nordmazedo­nien oder spätestens mit den beiden abschließe­nden Partien im November schaffen wird.

Die Herangehen­sweise von Flick ist gänzlich unterschie­dlich, wie Bierhoff bestätigt. „Bei Jogi war der Entscheidu­ngskreis stark auf ein, oder zwei Co-Trainer konzentrie­rt. Hansi versucht noch mehr Personen einzubinde­n. Es ist ihm wichtig,

DFB-Direktor Oliver Bierhoff dass seine Leute Raum kriegen. Er lässt freie Leine.“Mit Blick auf sein ehrgeizige­s Projekt „Rückkehr an die Weltspitze“bei der WM 2022 in Katar zieht der 56-Jährige jedoch die Zügel an – vor allem in Sachen Konkurrenz­kampf. „Es gibt kaum Spieler, die gesetzt sind“, betonte Flick, „das ist immer eine Sache der aktuellen Form“.

Gerade in der Offensive herrscht ein qualitativ­es Überangebo­t. Da wohl der Bayern-Block um Thomas Müller, Serge Gnabry und Leroy Sané in der Offensive beginnt, sitzt Routinier Marco Reus (BVB) ebenso draußen wie Champions-LeagueFina­ltorschütz­e Kai Havertz und die Mega-Talente um Jamal Musiala (18), Florian Wirtz (18) und Karim Adeyemi (19).

Laut Ex-Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge werde Flick in Katar „eine Mannschaft hinstellen, die nicht einfach zu schlagen sein wird“. Schon jetzt habe sie dessen „Handschrif­t kapiert“. Das ging schnell.

„Vor einem Jahr habe ich von einer Wolke gesprochen. Die ist jetzt verschwund­en.“

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FOTO: MARCUS BRANDT/DPA Hansi Flick und Leroy Sané (rechts) beim Training vor dem WM-Qualifikat­ionsspiel gegen Rumänien.

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