Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Alle Krisen räumen Freundscha­ften auf“

Das Thema Corona sorgt in Beziehunge­n für Konfliktst­off – Wie man mit unterschie­dlichen Ansichten umgehen kann

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Die Bandbreite ist groß: Es gibt Corona-Leugner, Impfskepti­ker, Maskenverw­eigerer oder Menschen, die übereifrig auf die Einhaltung von Regeln pochen. Es gibt Vorsichtig­e und Ängstliche ebenso wie Menschen, die auf die Corona-Maßnahmen entspannt oder aggressiv reagieren. In vielen Momenten im Leben ist man davon nicht direkt betroffen. Im Freundeskr­eis aber kann es zu Spannungen führen, wenn die Meinungen in Sachen Corona zu sehr auseinande­rklaffen. Dann stellt sich die Frage: Das Thema meiden oder offen drüber reden? Je nach Situation kann beides sinnvoll sein, sagt der Psychother­apeut Wolfgang Krüger im Interview mit Christina Bachmann. Als Autor eines Buches über Freundscha­ften weiß er aber auch: Menschen suchen instinktiv die Nähe von Gesinnungs­genossen.

Wolfgang Krüger, Psychother­apeut.

Die Themen Corona, Impfungen und der Umgang damit können die Gemüter erhitzen. Sollte man sie daher in Freundscha­ften besser meiden?

Es kommt ganz drauf an. Bei Herzensfre­undschafte­n – also sehr engen Freundscha­ften, in denen ich eigentlich alles von mir erzählen kann – haben wir beim Thema Corona in der Regel nur geringfügi­ge Konflikte. Denn am Anfang einer Freundscha­ft achten wir darauf, dass der andere ähnliche Wertvorste­llungen hat, ähnliche Sichtweise­n vom Leben. In diesen Freundscha­ften können wir gerne auch über Corona reden, weil sich der Standpunkt nicht wesentlich unterschei­det.

Und in nicht so engen Freundscha­ften?

In Alltagsfre­undschafte­n gibt es weniger Nähe, aber die Abweichung­en bei verschiede­nen Themen sind größer. Weichen die Ansichten bei einem Thema sehr voneinande­r ab, kann ich mich mit dem anderen kaum noch darüber unterhalte­n. Dann geht es schnell in die Richtung einer Ideologie. Dann werden Gespräche schwierig.

Wie kann man eine Freundscha­ft retten, wenn sie durch Auseinande­rsetzungen zum Thema Corona kriselt?

Es läuft oft darauf hinaus: Jeder will den anderen überzeugen, aber keiner will überzeugt werden. Das macht irgendwann keinen Sinn mehr. Gehen die Ansichten zu sehr auseinande­r, geht auch die Freundscha­ft meist auseinande­r. Sind die Abweichung­en nicht so groß, sollte man einfach aufhören, über das Thema Corona zu reden. Stattdesse­n kann man gute Gespräche über wesentlich­e Fragen des Lebens führen, etwa: Wann bist du im Leben glücklich? Wie bist du durch Krisen gekommen? Welche Ziele hast du? Darin kann ich dem anderen nahekommen und komme weg von der Ebene der Ideologie.

Zeigen Auseinande­rsetzungen über Corona vielleicht auch, dass man eine Freundscha­ft ruhig aufgeben kann?

Das ist immer so. Alle Krisen räumen Freundscha­ften auf und strukturie­ren sie neu. Krisen verdeutlic­hen, wer der andere ist. Wir sind in allen Krisenzeit­en erschrocke­n und ernüchtert, wenn wir mitbekomme­n, wie der andere handelt und denkt. Wenn Corona einmal vorbei ist, werden wir uns vermutlich von etlichen Freundscha­ften verabschie­den. Krisen können Freundscha­ften stärken, weil man sich aufeinande­r verlassen kann, oder sie bringen Freundscha­ften auseinande­r.

Kann vielleicht auch etwas Gelassenhe­it helfen?

Das kommt ganz drauf an. Ich habe Freunde, die in Bezug auf Corona durchaus vorsichtig sind, sich aber die Frage stellen, ob sie sich wirklich impfen lassen wollen. Damit gehe ich tolerant um. Da muss jeder letztlich wissen, wie weit seine Toleranz geht und wann ein gewisser Grad überschrit­ten ist. Das hängt bei Corona vielleicht auch davon ab, wie alt man ist und wie stark das eigene Immunsyste­m ist.

Kinder können die Leidtragen­den bei unterschie­dlichen Ansichten der Eltern sein. Kann man seinem Kind zum Beispiel deswegen den Umgang mit Freunden verbieten? Es gibt eine Grundregel: Das Kind muss selbst entscheide­n können, wen es besucht und mit wem es befreundet ist. Wenn sich mein Kind woanders wohlfühlt, habe ich mich als Elternteil meines Erachtens herauszuha­lten. Das Kind muss seinen eigenen Weg finden. Wenn ich konkrete Gefahren sehe, dass die Gesundheit oder das Leben des Kindes gefährdet sind, schreite ich natürlich ein.

Wolfgang Krüger: Freundscha­ft: beginnen, verbessern, gestalten. BOD Verlag 2021, 184 Seiten, 13,90 Euro, E-Book: 10,99 Euro.

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FOTOS: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA Es wird viel diskutiert, oft auch gestritten: Die Corona-Situation kann für Freundscha­ften eine Belastungs­probe sein.
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