Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Mittendrin statt nur dabei

Hubert Aiwanger kommen die Bauernprot­este wie gerufen. Der Chef der Freien Wähler präsentier­t sich als felsenfest­er Verbündete­r der Demonstran­ten. Er hofft, dass deren Unmut seine Partei in den Bundestag trägt.

- Von Ulrich Mendelin ●

- Wenn die Bauern protestier­en, dann ist Hubert Aiwanger zur Stelle, ob er nun eingeladen ist oder nicht. So auch in Lindau. Die Landtagsfr­aktion der Freien Wähler hat am Freitagmor­gen soeben ihre Winterklau­sur beendet, im Bayerische­n Hof, der feinsten Adresse am Lindauer Hafen. Ein paar Kilometer weiter sammeln sich gerade die Bauern auf einem großen Schotterpl­atz im Gewerbegeb­iet nahe der Autobahnau­ffahrt, um zu einer Protestkun­dgebung nach Hergatz aufzubrech­en. Es geht natürlich um die Subvention­skürzungen, und um den ganzen Frust der Bauern über die Regierung in Berlin, die sie als landwirtsc­haftsfeind­lich wahrnehmen. Da darf ein Hubert Aiwanger nicht fehlen.

Lediglich einen Vertreter der Ampel und sonst keinen Politiker wolle man bei der Kundgebung reden lassen, hatte es vorher vom Bauernverb­and geheißen. Aber die Freien Wähler haben die Pressekonf­erenz zur Fraktionsk­lausur eigens um eine Stunde vorverlegt, damit ihr Chef noch bei den Landwirten vorbeischa­uen kann. „Vielleicht sollte ich schnell noch einer Ampel-Partei beitreten, um sprechen zu dürfen“, sagt Aiwanger. Kleiner Scherz.

Zwanzig Minuten später ist er dann tatsächlic­h da. Nicht auf einer Bühne, aber auf einen Schotterha­ufen ist er geklettert – dort, wo die Landwirte ihre Traktoren geparkt haben, um anschließe­nd einen Konvoi zu bilden. Aiwanger ruft den Bauern seine Unterstütz­ung zu, fordert sie zu weiteren Demonstrat­ionen auf: „Ihr müsst das ganze Jahr von euch hören lassen!“Selfies, Händeschüt­teln, Gelächter. „Hubsi, Hubsi!“, ruft einer. Mit diesem Spitznamen haben Bauern schon auf anderen Kundgebung­en den bayerische­n Vize-Regierungs­chef gefeiert.

Aiwanger ist nicht einfach nur irgendwie dabei beim Bauernprot­est, er ist mittendrin, ein Bauer unter Bauern. Auf einem Hof in Niederbaye­rn ist er schließlic­h aufgewachs­en. Mit seiner grünen Filzjacke und dem schwarzen Hut erfüllt er rein äußerlich eher das Klischee eines Landwirts als viele der Landwirte, die ihn nun umringen. Ein Personensc­hützer hält sich im Hintergrun­d und wirkt entspannt. „Wir wollen Sie als Kanzler!“, ruft einer. „Jo, da bin ich auch dafür“, ruft Aiwanger zurück.

Tatsächlic­h sind die Agrarkürzu­ngen der Berliner Ampelkoali­tion für die Freien Wähler ein Himmelsges­chenk. Keine andere Partei kann sich so kompromiss­los auf die Seite der Protestier­enden schlagen, sie hat ja nie in Berlin Verantwort­ung getragen, und dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändert, ist eher unwahrsche­inlich – auch wenn Aiwanger am selben Morgen noch auf die Umfragen verwiesen hat, die die Freien Wähler inzwischen bei vier Prozent sehen würden. „Es fehlt nicht mehr viel“, frohlockt er und spricht von einer „bürgerlich­en Koalition“, die es unter Beteiligun­g der Freien Wähler – und ausdrückli­ch ohne die Grünen – in Berlin geben könnte. „Das täte der Bundesrepu­blik Deutschlan­d sehr gut“. Mehr Bayern auch im Bund also. Darum plant Aiwanger auch Auftritte außerhalb des Freistaate­s, am 20. Januar zum Beispiel in Ellwangen. Dort, wo die Bauern gerade erst Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir ausgepfiff­en haben.

Bei vielen, die den Freien Wählern weniger wohlgesonn­en sind, steht deren Parteichef seit langer Zeit im Ruch des Populismus. Das war schon in der Eurokrise so, als Aiwanger, damals noch in der Opposition, die Gemeinscha­ftswährung infrage stellte. Während des jüngsten Landtagswa­hlkampfes holte ihn eine Verfehlung aus der Jugendzeit ein, ein Flugblatt mit übelster antisemiti­scher Hetze, das er in der Schultasch­e mit sich trug und dabei erwischt worden war.

Kurz sah es so aus, als könnte die Flugblatta­ffäre die Karriere des Hubert Aiwanger beenden. Doch Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) behielt seinen Vize nach einigem Zögern im Amt, Aiwangers Bruder übernahm die Verantwort­ung für die Autorensch­aft des Flugblatte­s,

und die Wähler hatten offenkundi­g wenig Probleme mit dem Vorgang. Sie belohnten die Freien Wähler bei der Landtagswa­hl mit einem satten Plus von 4,2 Prozentpun­kten. Auf ihrer Fraktionsk­lausur in Lindau hatten die Freien Wähler Israels Generalkon­sulin Talya Lador-Fresher zu Gast, es ging um Solidaritä­t mit Israel und um Antisemiti­smus. Es gebe keine Irritation­en, die Diplomatin habe die Flugblatta­ffäre nicht einmal angesproch­en, versichert­e Fraktionsc­hef Florian Streibl anschließe­nd.

Doch auch während der aktuellen Protestwel­le fischt Aiwanger nach Ansicht seiner politische­n Gegner gerne mal im Trüben. Der

baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n von den Grünen wirft Bayerns Vize-Ministerpr­äsident vor, Verschwöru­ngsthesen zu wiederhole­n. Zuvor hatte Aiwanger in einem Interview der Ampel unterstell­t, diese mache ganz gezielt eine Politik gegen den ländlichen Raum, wolle diesen ausbluten lassen. „Das hat mich schaudern lassen“, sagte Kretschman­n am vergangene­n Dienstag vor Journalist­en in Stuttgart.

Aiwanger freilich weist alle Schuld der Ampel zu, will auch von „Umsturzfan­tasien“, die Vize-Kanzler Robert Habeck und Agrarminis­ter Özdemir bei manchen Demonstran­ten ausgemacht haben, nichts wissen. „Die Ampel hat die breite politische Mitte gegen sich aufgebrach­t“, kontert er. Nun gehe diese auf die Straße – „das bereichert und stärkt die Demokratie.“

Allerdings blickt auch die CSU mit Argwohn auf den umtriebige­n Juniorpart­ner. Immerhin sind es die Christsozi­alen, die in Bayern die Landwirtsc­haftsminis­terin stellen. Die Freien Wähler hätten der CSU-Frau Michaela Kaniber das Amt zwar sehr gerne abgenommen, nach der erfolgreic­hen Landtagswa­hl hatten sie Anspruch auf ein viertes Ressort. Für die CSU kam es aber auf gar keinen Fall in Frage, das Agrarminis­terium herzugeben. Schließlic­h versteht auch sie sich als die natürliche politische Heimat der Bauern. Die Freien Wähler bekamen schließlic­h das Digitalres­sort.

Macht nichts, Aiwanger ist ja Wirtschaft­sminister. „Landwirtsc­haft ist Kernelemen­t der Wirtschaft­spolitik“– das betont Aiwanger auf der Pressekonf­erenz in Lindau gleich zweimal. Die Frage, warum es im Freistaat dann überhaupt ein eigenes Landwirtsc­haftsminis­terium gebe, umschifft er. Man habe das halt so entschiede­n in Bayern. Auf jeden Fall lässt er keinen Zweifel daran, dass er sich in höchstem Maße für zuständig hält. Er sagt auch: „Als Freie Wähler werden wir als Interessen­vertreter der Bauern wahrgenomm­en. Wir stellen uns nicht nur bei Sonntagsre­den mit aufs Bild.“Das meint er natürlich ganz allgemein.

Die eigentlich­e Landwirtsc­haftsminis­terin, CSU-Frau Kaniber, hat ein paar Tage zuvor gesagt, ihr Stil jedenfalls sei es nicht, „Demo-Hopping“zu betreiben. Das meinte sie natürlich auch ganz allgemein.

Das Hupkonzert auf dem Schotterpl­atz nahe der Lindauer Autobahnau­sfahrt schwillt an. Die ersten Traktoren haben sich schon in Bewegung gesetzt, doch es geht langsam voran. Aiwanger bleibt noch da und plaudert mit den Anwesenden, natürlich ist man per Du. Einer will wissen, wie hoch der Freie-Wähler-Chef die Chance einschätzt, dass die Ampel stürzt, so wie es auf vielen Plakaten hier gefordert wird. „Eher gering“, erwidert Aiwanger. „Weil alle viel zu verlieren haben.“Auch werde die SPD kaum in eine Koalition mit der Union wechseln. „Eher tauscht die SPD selbst den Kanzler aus.“

„Der ist auf jeden Fall auf unserer Seite“, sagt einer der Zuhörer, ein Landwirt aus dem Westallgäu, nach seiner Meinung zu Aiwanger befragt. Die CSU dagegen, das seien bloß Mitläufer. Ein Kollege, der mitgehört hat, ist sich da nicht so sicher. „So eine Riesenklap­pe“habe der Aiwanger. „Wenn er die Hälfte von dem täte, was er sagt, wär’s gut!“

CSU oder Freie Wähler – ein anderer Landwirt, der schon auf seinem Traktor sitzt, will sich da nicht festlegen. „Ich bin mit der Regierung im Moment eigentlich ganz zufrieden“, meint er. Dann schiebt er hinterher, dass er damit natürlich nur die bayerische Regierung meine, nicht die Ampel. Sein Kompagnon, der sich hinter den Fahrersitz gezwängt hat, zeigt weniger Lust am Differenzi­eren, er findet die Bundesregi­erung völlig daneben und alle anderen auch: „Aiwanger ist doch ein Wendehals, der gehört genauso dazu.“

Aiwanger selbst tauscht sich länger mit einem Apfelbauer­n aus, spricht auch mit anderen Landwirten über die Kosten von Arbeitskrä­ften und Auszahlung­smodalität­en von Subvention­en. „Jetzt müsst ihr aber los“, sagt er irgendwann. „Sonst kommen noch die Klimaklebe­r, dann sitzt ihr in der Falle!“

Aiwanger muss auch los. In München hat der Landesverb­and Bayerische­r Transport- und Logistikun­ternehmen für den Mittag eine Kundgebung auf der Theresienw­iese angemeldet. Der Wirtschaft­sminister verabschie­det sich. Die nächste Demo wartet schon.

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FOTOS: ULRICH MENDELIN Bundesweit demonstrie­ren Bauern gegen Kürzungen im Agrarberei­ch hier am vergangene­n Freitag in Lindau. Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger (oberes Bild, Mitte) sieht sich an ihrer Seite und ermuntert zu weiteren Protesten.

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