Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Kooperation dringend erbeten
Beim Weltwirtschaftsforum in Davos macht man sich große Sorgen über den Zustand der Welt – Kriege, Klima und Künstliche Intelligenz stehen auf der Themenliste
- Im Schweizer Bergort Davos haben die Preise angezogen. So wurde eine Viereinhalb-Zimmer-Wohnung für 77.347 Franken (etwa 83.000 Euro) angeboten. Nicht zum Kauf, sondern zum Wohnen und Schlafen für vier Tage. Das war kürzlich in der Luzerner Zeitung zu lesen. Möglich ist so etwas, weil diese Woche wieder das Weltwirtschaftsforum in Davos stattfindet.
Beim traditionellen Kongress der globalen Wirtschafts- und Politikelite drängeln sich ab Montag einige Tausend Managerinnen und Manager, Medienschaffende, Staatschefs, Minister und Wissenschaftler in den dafür eigentlich zu engen Straßen unterhalb der schneebedeckten Hänge des Weißf luh-Gipfels und des Jakobshorns. Weil die Betten knapp werden, müssen viele in umliegende Täler ausweichen. Der Aufwand für die Veranstaltung ist enorm. Die Schweizer Luftwaffe kontrolliert den Himmel, damit es nicht zu Drohnenangriffen auf Staatsgäste kommt. 5000 Militärangehörige plus Polizei sollen im Einsatz sein. Die Angaben der Veranstalter unter Führung des Deutschen Klaus Schwab über Zahl und Rang der Teilnehmenden ähneln sich von Jahr zu Jahr. Fast 3000 Gäste aus mehr als 100 Staaten und 60 Spitzen von Regierungen werden vermeldet, darunter der chinesische Ministerpräsident Li Qiang, Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, EU-Präsidentin Ursula von der Leyen und Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Ebenso ähnlich, einerseits nichts-, andererseits vielsagend, klingt die Lyrik der Überschriften
des Kongresses. Dieses Jahr lautet das Motto „Vertrauen wiederaufbauen“, 2023 war es „Zusammenarbeit in einer fragmentierten Welt“. Man kann das so lesen: Schwab und die Führung des Weltwirtschaftsforums (WEF) machen sich Sorgen über die
Richtung, in die sich die globale Politik entwickelt, aber auch über die Zukunft ihrer Organisation.
Als sie vor ein paar Tagen das Programm des diesjährigen Kongresses vorstellte, sagte Kommunikationschefin Saadia Zahidi fast schon flehend: „Die Spitzen der Welt müssen zusammen die augenblickliche Krise bewältigen und die Basis für eine stabilere, nachhaltigere, gerechtere Zukunft legen.“WEF-Präsident Borge Brende, ein ehemaliger Außenminister Norwegens, analysierte eine „sehr komplizierte Situation“und befürchtete einen „Rückfall“in dunkle Zeiten. Gerade hat die Organisation eine Studie präsentiert, derzufolge die weltweite Kooperation zwischen Entscheidern während der vergangenen Jahre deutlich abgenommen hat.
Das kann man am Angriff Russlands auf die Ukraine sehen:
Krieg ist das Gegenteil von Kooperation. Das Gemetzel und seine Folgen wird zu den zentralen Themen im Kongresszentrum von Davos gehören. Schon an diesem Wochenende treffen sich dort mehrere Dutzend Politikerinnen und Politiker aus Staaten, die die Ukraine unterstützen. Auch USAußenminister Antony Blinken ist angekündigt. Der Krieg zwischen der palästinensischen Hamas und der israelischen Armee im Gazastreifen steht ebenfalls oben auf der Themenliste.
Außerdem auf der Tagesordnung der zahlreichen Podiumsdiskussionen und Hintergrundgespräche: Künstliche Intelligenz. Viele Politiker befürchten, dass neue Computerprogramme Information und Desinformation ununterscheidbar machen und die Demokratie gefährden könnten. Unternehmen fürchten sich vor zunehmenden Cyberattacken. Andererseits sehen sie und das WEF auch große Chancen für neue Geschäftsfelder und Gewinne. Tatsächliche und notwendige Anstrengungen gegen den Klimawandel und die Inf lation werden ebenso besprochen.
Und was bedeutet der Befund, dass die Kooperation abnimmt, für einen Kongress, der von Kooperation lebt? Er steht unter Druck und muss sich rechtfertigen. Schwabs Team sagt, die Zahl der Anmeldungen für das WEF sei auf demselben hohen Niveau wie vor der Corona-Pandemie. Wobei Beobachter darauf hinweisen, dass die Präsenz wirklicher Spitzenpolitiker nachlasse. Weder der chinesische noch der US-Präsident reisen dieses Jahr an.
Wie es mit dem WEF nach jetzt 54 Jahren weitergeht, muss sich also zeigen.