Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Es war eine gemeinsame Geschichte“
Eröffnung der neuen Dauerausstellung – neues Konzept und spannende Angebote sollen Besucher anziehen
- Nach rund zwei Jahren Umbauphase ist es diese Woche soweit: Ab Donnerstag hat die neue Dauerausstellung „Jüdische Beziehungsgeschichten“im Museum zur Geschichte von Christen und Juden regulär ihre Türen geöffnet. Wie der Titel verrät, betrachtet die vom Haus der Geschichte umgesetzte Ausstellung das einstige Zusammenleben der christlichen Mehrheit und der jüdischen Minderheit in Laupheim aus einem anderen Blickwinkel. Über neue Erkenntnisse, inhaltliche Konzeption und den Bezug zum Hier und Heute berichten Projektleiterin Cornelia HechtZeiler und Direktorin Paula Lutum-Lenger vom Haus der Geschichte sowie Museumsleiter Michael Niemetz im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Die letzten Meter vor einer Neueröffnung sind meist die anstrengendsten. Läuft alles?
Lutum-Lenger: Die Dauerausstellung ist vollständig eingerichtet. Alle Exponate, Texte und Filme sind am Platz. Alle haben eine großartige Arbeit geleistet.
Die „Jüdischen Beziehungsgeschichten“der Stadt sind titelgebend für die neue Dauerausstellung. Worin unterscheiden sich denn alte und neue Konzeption?
Hecht-Zeiler: Man kann es allein räumlich sehen. In der alten Ausstellung hat sich nur ein Raum mit der gemeinsamen Geschichte von Christen und Juden beschäftigt. Jetzt handelt davon fast die gesamte Ausstellung. Die Perspektive hat sich verändert: Wir schauen nicht auf einzelne konfessionelle Gruppen oder Milieus, sondern blicken auf die Geschichte der gemeinsamen Beziehungen und des Zusammenlebens über einen sehr langen Zeitraum. Die große Frage war: Wie hat sich dieses vitale Laupheim, das 1933 eine brutale Zäsur erfahren hat, eigentlich von einem Marktflecken zu einer dynamischen Stadt entwickelt? Daran waren Menschen beteiligt – Laupheimerinnen und Laupheimer. Ein Punkt der Ausstellung ist, dass in vielen der Beziehungen die konfessionellen Zugehörigkeiten von untergeordneter Bedeutung waren; natürlich spielen sie eine Rolle, wenn wir uns Antijudaismus und Antisemitismus anschauen. Doch, wenn man gemeinsame Interessen und Leidenschaften teilt, ist es egal, ob man christlich oder jüdisch ist. Etwa, wenn man sich im Schützenverein messen will oder
wenn man sagt: Unsere Stadt muss modern werden – wir brauchen elektrische Beleuchtung und fließend Wasser. Letztendlich haben alle in der Stadt etwas davon.
Welche Erkenntnis resultiert aus dem Fokus auf die gemeinsamen Beziehungen zwischen christlichen und jüdischen Laupheimerinnen und Laupheimern?
Lutum-Lenger: In der Geschichtswissenschaft haben wir das große Glück, dass wir immer neue Fragen an Geschichte stellen können. Wir haben uns gefragt: Wie sah das Zusammenleben von Christen und Juden in Laupheim aus? Und die Erkenntnis ist: Es war eine gemeinsame Geschichte. Und am Zusammenwirken aller Laupheimer, die in Wirtschaft, Schule und Vereinen das Leben gestalteten, lässt sich zeigen, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt funktioniert. Durch das Leben und Arbeiten von Juden und Christen entstand etwas Neues. Das nimmt die Ausstellung in den Blick. Hecht-Zeiler: Wir sollten die jüdische Geschichte vielmehr als Teil unserer eigenen Geschichte begreifen. Es waren Laupheimerinnen und Laupheimer, die ausgeraubt, vertrieben oder ermordet wurden. Hier in der Ausstellung begegnet ihnen etwa mit Max Bergmann ein Mann, der die Stadt mit aufgebaut hat und der nach 1933 vor den Trümmern seines Lebens steht. Ein Mann, der
fliehen muss, nachdem er nach der Reichspogromnacht ins KZ Dachau verschleppt worden war, und in den USA unglücklich stirbt, denn seine Heimat war Laupheim. Für diese hat er alles gegeben.
Textil ist ein markantes Element in der neuen Ausstellung. Was ist die Idee dahinter?
Hecht-Zeiler: Wer sich auf den textilen Beziehungskorpus einlässt, wird man darauf ganz viel entdecken. Wer die ganze Ausstellung sehen will, mit AudioGuide und Medienstationen, der braucht mehr Zeit als einen Tag. Und deshalb kann man den Laupheimern nur empfehlen öfter zu kommen. Man kann sich immer wieder etwas Neues vornehmen: Ich kann einem ganz bestimmten Lebenslauf folgen. Vielleicht entdecke ich auf einem der Gruppenfotos einen Vorfahren, von dem ich noch Fotos oder Briefe habe, und die bringe ich dem Museum. Wir würden uns darüber freuen. Es wäre auch schön, wenn wir einigen noch unbekannten Personen auf den Fotos Namen geben könnten. Die Ausstellung ist Anstoß nach Beziehungen zu suchen – es ist ein lebendiger Prozess.
Wie aktuell ist das Thema in heutiger Zeit und welchen Beitrag zur Demokratiebildung kann das Museum effektiv leisten und wie?
Hecht-Zeiler: Wichtige Begriffe sind hier Zugehörigkeit und Teilhabe:
Zentral für das Funktionieren von Demokratie und gesellschaftlichem Zusammenhalt ist, dass Menschen teilhaben dürfen und dadurch ein Gefühl von Zugehörigkeit entsteht. Um diese Gemeinwohlorientierung geht es auch in der Demokratie – nicht um: wir oder die. Hier bietet die Ausstellung sehr viele Beispiele. Niemetz: Das Museum zeigt viele vorbildliche Muster. An diesem über Jahrhunderte gewachsenen Beziehungsgeflecht lassen sich eben auch viele positive Aspekte für die damalige Demokratieentwicklung erkennen. Erzählungen wie Demokratie gelernt werden kann. Die Aufgabe des Museums ist, genau das sichtbar zu machen. Es geht um die lange Sicht: Die Emanzipation und Integration der jüdischen Minderheit war über mehrere Generationen eine sehr positive. Eigentlich eine Erfolgsgeschichte.
Haben die Nachforschungen im Zuge der Neukonzeption der Ausstellung Verbindungen zu ehemaligen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde gebracht?
Niemetz: Ja, ein Beispiel dafür ist die Familie Weil. Die Eltern wurden deportiert, eine Tochter konnte nach England emigrieren. Die Objektgeschichte haben wir schon rekonstruieren können. Wir konnten aber durch die alten Inventarbücher, die wir neu entdeckt hatten, die Sammlung des Heimatmuseums vertiefend recherchieren. Aus den komplexen Zusammenhängen können wir
Erkenntnisse über familiäre Verbindungen ziehen. Und dann kommen zufällig Nachkommen der nächsten Generation der Familie nach Laupheim, die diese Erkenntnis noch gar nicht haben. Was Besseres kann einer öffentlichen Einrichtung gar nicht passieren, insofern sich private Erkenntnisse für Besucher an einem Ort finden lassen, den sie erstmals besuchen.
Woher stammen denn all die Informationen und Exponate aus früherer Zeit?
Hecht-Zeiler: Die Ausstellung wäre komplett unmöglich ohne das Engagement von Laupheimerinnen und Laupheimern, die Biografien erforscht haben. Das Gedenkbuch, das die Gesellschaft für Geschichte und Gedenken herausgebracht hat, war für uns ganz wichtig. Denn in diesem werden wir auf Beziehungen angesprochen. Die Menschen, die damals geforscht haben, schufen die Grundlage und leisteten auch enorme Vertrauensarbeit. Nur dadurch war es möglich, dass Menschen, ihre ganz privaten Dinge, verbunden mit hohem emotionalen Wert, an die Stadt abgeben, die sie oder ihre Vorfahren vertrieben hat. Das ist ein unglaublicher Vertrauensbeweis! Niemetz: Das jüdische Leben ist durch die Nazis in jeglicher Hinsicht materiell zerstört worden, vor dem Hintergrund war es eher eine Unmöglichkeit, dass die ganze Geschichte nochmal durch Gegenstände und Recherchen rekonstruiert werden konnte. Dass die Geschichte mit Leben gefüllt werden konnte, vor allem ab den 80er-Jahren und durch eine Institutionalisierung in einem Museum, das war ein großer Schritt. Das sind alles stufenweise Entwicklungen gewesen, die nicht selbstverständlich sind.
Rund zwei Jahre wurde nun im Museum modernisiert – die Dauerausstellung umgebaut. Wie wird nach dieser Zeit das Interesse am Haus hochgefahren?
Niemetz: Wir haben das Jubiläum „300 Jahre jüdisches Leben“. Vor dem Hintergrund bieten wir mehr Programm an, haben wieder Stellen in Pädagogik und im Marketing besetzt und unsere Öffnungszeiten erweitert. Das Museum hat künftig jeden Tag – außer Montag – von 13 bis 17 Uhr geöffnet. Das Quartalsprogramm startet mit der Eröffnung der Dauerausstellung. Das wird entsprechend publiziert. Es gibt das Museum bald auch auf Instagram. So können Menschen unser Haus kennenlernen.