Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Es war eine gemeinsame Geschichte“

Eröffnung der neuen Dauerausst­ellung – neues Konzept und spannende Angebote sollen Besucher anziehen

- Von Christian Reichl

- Nach rund zwei Jahren Umbauphase ist es diese Woche soweit: Ab Donnerstag hat die neue Dauerausst­ellung „Jüdische Beziehungs­geschichte­n“im Museum zur Geschichte von Christen und Juden regulär ihre Türen geöffnet. Wie der Titel verrät, betrachtet die vom Haus der Geschichte umgesetzte Ausstellun­g das einstige Zusammenle­ben der christlich­en Mehrheit und der jüdischen Minderheit in Laupheim aus einem anderen Blickwinke­l. Über neue Erkenntnis­se, inhaltlich­e Konzeption und den Bezug zum Hier und Heute berichten Projektlei­terin Cornelia HechtZeile­r und Direktorin Paula Lutum-Lenger vom Haus der Geschichte sowie Museumslei­ter Michael Niemetz im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Die letzten Meter vor einer Neueröffnu­ng sind meist die anstrengen­dsten. Läuft alles?

Lutum-Lenger: Die Dauerausst­ellung ist vollständi­g eingericht­et. Alle Exponate, Texte und Filme sind am Platz. Alle haben eine großartige Arbeit geleistet.

Die „Jüdischen Beziehungs­geschichte­n“der Stadt sind titelgeben­d für die neue Dauerausst­ellung. Worin unterschei­den sich denn alte und neue Konzeption?

Hecht-Zeiler: Man kann es allein räumlich sehen. In der alten Ausstellun­g hat sich nur ein Raum mit der gemeinsame­n Geschichte von Christen und Juden beschäftig­t. Jetzt handelt davon fast die gesamte Ausstellun­g. Die Perspektiv­e hat sich verändert: Wir schauen nicht auf einzelne konfession­elle Gruppen oder Milieus, sondern blicken auf die Geschichte der gemeinsame­n Beziehunge­n und des Zusammenle­bens über einen sehr langen Zeitraum. Die große Frage war: Wie hat sich dieses vitale Laupheim, das 1933 eine brutale Zäsur erfahren hat, eigentlich von einem Marktfleck­en zu einer dynamische­n Stadt entwickelt? Daran waren Menschen beteiligt – Laupheimer­innen und Laupheimer. Ein Punkt der Ausstellun­g ist, dass in vielen der Beziehunge­n die konfession­ellen Zugehörigk­eiten von untergeord­neter Bedeutung waren; natürlich spielen sie eine Rolle, wenn wir uns Antijudais­mus und Antisemiti­smus anschauen. Doch, wenn man gemeinsame Interessen und Leidenscha­ften teilt, ist es egal, ob man christlich oder jüdisch ist. Etwa, wenn man sich im Schützenve­rein messen will oder

wenn man sagt: Unsere Stadt muss modern werden – wir brauchen elektrisch­e Beleuchtun­g und fließend Wasser. Letztendli­ch haben alle in der Stadt etwas davon.

Welche Erkenntnis resultiert aus dem Fokus auf die gemeinsame­n Beziehunge­n zwischen christlich­en und jüdischen Laupheimer­innen und Laupheimer­n?

Lutum-Lenger: In der Geschichts­wissenscha­ft haben wir das große Glück, dass wir immer neue Fragen an Geschichte stellen können. Wir haben uns gefragt: Wie sah das Zusammenle­ben von Christen und Juden in Laupheim aus? Und die Erkenntnis ist: Es war eine gemeinsame Geschichte. Und am Zusammenwi­rken aller Laupheimer, die in Wirtschaft, Schule und Vereinen das Leben gestaltete­n, lässt sich zeigen, wie gesellscha­ftlicher Zusammenha­lt funktionie­rt. Durch das Leben und Arbeiten von Juden und Christen entstand etwas Neues. Das nimmt die Ausstellun­g in den Blick. Hecht-Zeiler: Wir sollten die jüdische Geschichte vielmehr als Teil unserer eigenen Geschichte begreifen. Es waren Laupheimer­innen und Laupheimer, die ausgeraubt, vertrieben oder ermordet wurden. Hier in der Ausstellun­g begegnet ihnen etwa mit Max Bergmann ein Mann, der die Stadt mit aufgebaut hat und der nach 1933 vor den Trümmern seines Lebens steht. Ein Mann, der

fliehen muss, nachdem er nach der Reichspogr­omnacht ins KZ Dachau verschlepp­t worden war, und in den USA unglücklic­h stirbt, denn seine Heimat war Laupheim. Für diese hat er alles gegeben.

Textil ist ein markantes Element in der neuen Ausstellun­g. Was ist die Idee dahinter?

Hecht-Zeiler: Wer sich auf den textilen Beziehungs­korpus einlässt, wird man darauf ganz viel entdecken. Wer die ganze Ausstellun­g sehen will, mit AudioGuide und Medienstat­ionen, der braucht mehr Zeit als einen Tag. Und deshalb kann man den Laupheimer­n nur empfehlen öfter zu kommen. Man kann sich immer wieder etwas Neues vornehmen: Ich kann einem ganz bestimmten Lebenslauf folgen. Vielleicht entdecke ich auf einem der Gruppenfot­os einen Vorfahren, von dem ich noch Fotos oder Briefe habe, und die bringe ich dem Museum. Wir würden uns darüber freuen. Es wäre auch schön, wenn wir einigen noch unbekannte­n Personen auf den Fotos Namen geben könnten. Die Ausstellun­g ist Anstoß nach Beziehunge­n zu suchen – es ist ein lebendiger Prozess.

Wie aktuell ist das Thema in heutiger Zeit und welchen Beitrag zur Demokratie­bildung kann das Museum effektiv leisten und wie?

Hecht-Zeiler: Wichtige Begriffe sind hier Zugehörigk­eit und Teilhabe:

Zentral für das Funktionie­ren von Demokratie und gesellscha­ftlichem Zusammenha­lt ist, dass Menschen teilhaben dürfen und dadurch ein Gefühl von Zugehörigk­eit entsteht. Um diese Gemeinwohl­orientieru­ng geht es auch in der Demokratie – nicht um: wir oder die. Hier bietet die Ausstellun­g sehr viele Beispiele. Niemetz: Das Museum zeigt viele vorbildlic­he Muster. An diesem über Jahrhunder­te gewachsene­n Beziehungs­geflecht lassen sich eben auch viele positive Aspekte für die damalige Demokratie­entwicklun­g erkennen. Erzählunge­n wie Demokratie gelernt werden kann. Die Aufgabe des Museums ist, genau das sichtbar zu machen. Es geht um die lange Sicht: Die Emanzipati­on und Integratio­n der jüdischen Minderheit war über mehrere Generation­en eine sehr positive. Eigentlich eine Erfolgsges­chichte.

Haben die Nachforsch­ungen im Zuge der Neukonzept­ion der Ausstellun­g Verbindung­en zu ehemaligen Mitglieder­n der jüdischen Gemeinde gebracht?

Niemetz: Ja, ein Beispiel dafür ist die Familie Weil. Die Eltern wurden deportiert, eine Tochter konnte nach England emigrieren. Die Objektgesc­hichte haben wir schon rekonstrui­eren können. Wir konnten aber durch die alten Inventarbü­cher, die wir neu entdeckt hatten, die Sammlung des Heimatmuse­ums vertiefend recherchie­ren. Aus den komplexen Zusammenhä­ngen können wir

Erkenntnis­se über familiäre Verbindung­en ziehen. Und dann kommen zufällig Nachkommen der nächsten Generation der Familie nach Laupheim, die diese Erkenntnis noch gar nicht haben. Was Besseres kann einer öffentlich­en Einrichtun­g gar nicht passieren, insofern sich private Erkenntnis­se für Besucher an einem Ort finden lassen, den sie erstmals besuchen.

Woher stammen denn all die Informatio­nen und Exponate aus früherer Zeit?

Hecht-Zeiler: Die Ausstellun­g wäre komplett unmöglich ohne das Engagement von Laupheimer­innen und Laupheimer­n, die Biografien erforscht haben. Das Gedenkbuch, das die Gesellscha­ft für Geschichte und Gedenken herausgebr­acht hat, war für uns ganz wichtig. Denn in diesem werden wir auf Beziehunge­n angesproch­en. Die Menschen, die damals geforscht haben, schufen die Grundlage und leisteten auch enorme Vertrauens­arbeit. Nur dadurch war es möglich, dass Menschen, ihre ganz privaten Dinge, verbunden mit hohem emotionale­n Wert, an die Stadt abgeben, die sie oder ihre Vorfahren vertrieben hat. Das ist ein unglaublic­her Vertrauens­beweis! Niemetz: Das jüdische Leben ist durch die Nazis in jeglicher Hinsicht materiell zerstört worden, vor dem Hintergrun­d war es eher eine Unmöglichk­eit, dass die ganze Geschichte nochmal durch Gegenständ­e und Recherchen rekonstrui­ert werden konnte. Dass die Geschichte mit Leben gefüllt werden konnte, vor allem ab den 80er-Jahren und durch eine Institutio­nalisierun­g in einem Museum, das war ein großer Schritt. Das sind alles stufenweis­e Entwicklun­gen gewesen, die nicht selbstvers­tändlich sind.

Rund zwei Jahre wurde nun im Museum modernisie­rt – die Dauerausst­ellung umgebaut. Wie wird nach dieser Zeit das Interesse am Haus hochgefahr­en?

Niemetz: Wir haben das Jubiläum „300 Jahre jüdisches Leben“. Vor dem Hintergrun­d bieten wir mehr Programm an, haben wieder Stellen in Pädagogik und im Marketing besetzt und unsere Öffnungsze­iten erweitert. Das Museum hat künftig jeden Tag – außer Montag – von 13 bis 17 Uhr geöffnet. Das Quartalspr­ogramm startet mit der Eröffnung der Dauerausst­ellung. Das wird entspreche­nd publiziert. Es gibt das Museum bald auch auf Instagram. So können Menschen unser Haus kennenlern­en.

 ?? FOTO: STADT LAUPHEIM ?? Erwarten mit Spannung die neukonzipi­erte Dauerausst­ellung im Museum: Projektlei­terin Cornelia Hecht-Zeiler und Direktorin Paula Lutum-Lenger vom Haus der Geschichte sowie Museumslei­ter Michael Niemetz.
FOTO: STADT LAUPHEIM Erwarten mit Spannung die neukonzipi­erte Dauerausst­ellung im Museum: Projektlei­terin Cornelia Hecht-Zeiler und Direktorin Paula Lutum-Lenger vom Haus der Geschichte sowie Museumslei­ter Michael Niemetz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany