Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Kulturdezernent mit mahnendem Appell zum Abschied
Jörg Riedlbauer tritt mit vielen Dankesworten seinen Ruhestand an und betont den hohen Stellenwert der Kultur
- Nach gut 15 Jahren ist der Biberacher Kulturdezernent Jörg Riedlbauer am Sonntagabend in der Stadthalle in den Ruhestand verabschiedet worden. In seine Dankesworte und die Bilanz mischte er auch einen Appell an die Verantwortlichen in der Kommunalpolitik: Kultur und Kultureinrichtungen seien kein Luxusgut, sondern unverzichtbar für das Sozialgefüge einer Stadt, gerade in schwierigen Zeiten. Wer Riedlbauer nachfolgt, entscheidet der Gemeinderat am 1. Februar. Dazu hatte Oberbürgermeister Norbert Zeidler bereits eine erste Information für die Gäste der Verabschiedung.
Passend für den promovierten Musikwissenschaftler und Germanisten Riedlbauer fand die Verabschiedung im Rahmen des Winterkonzerts des Biberacher Sinfonieorchesters in der gut besuchten Stadthalle statt. Zu dessen Programm hatte Riedlbauer auch musikalisch beigetragen, denn die Musikerinnen und Musiker spielten unter der Leitung von Andreas Winter die „Suite Gothique“von Léon Boëllmann, ursprünglich für Kirchenorgel komponiert und von Riedlbauer für großes Orchester arrangiert.
Für ihn stehe an erster Stelle der Dank an die Stadtspitze, den Gemeinderat und alle seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sagte Riedlbauer. Drei Blumensträuße überreichte er aus diesem Grund an seine Mitarbeiterin Renate Einsiedler, an Kulturamtsleiterin Dorothea Weing sowie an seine Ehefrau Ute Hermann.
Riedlbauer blickte zurück auf wichtige Projekte in seiner Amtszeit, darunter die Organisation der 60. Internationalen Musischen Tagung (IMTA) 2016 oder die Heimattage Baden-Württemberg 2023. Neue Formate wie der jährliche Kulturparcours im Herbst, die
Bürgeroper in dreijährigem Turnus, die Erweiterung des „Club modern“auf verschiedene künstlerische Sparten, aber auch die Einrichtung des Wieland-Gartenhauses als kleines Literaturmuseum fielen unter Riedlbauers Ägide. „Es ist sehr beglückend, in der Rückschau Revue passieren zu lassen, was aufgrund der jeweiligen Gemeinderatsbeschlüsse hier möglich wurde und was wir gemeinsam im Team alles umgesetzt haben“, bilanzierte er.
Ein Fragezeichen machte er hinter den „Kultur für alle“-Slogan der 1980er- und 1990er-Jahre. Seiner rund 30-jährigen kulturpolitischen Erfahrung nach, sei es zwar wichtig, dass Kulturpolitik Zugänge für alle schaffe, um möglichst viele für Kunst und Kultur zu begeistern, so Riedlbauer. „Aber es wäre fatal zu glauben, alle dadurch erreichen zu können, dass man die Qualitätsmaßstäbe absenkt.“Ein Kunstwerk dürfe nicht in Form von nett verpackten und leicht konsumierbaren Häppchen serviert werden, weil man andernfalls Sorge habe, jemanden zu überfordern, sondern so, dass die Lust auf das Erlebnis von Kunst als Originalerfahrung geweckt werde. Riedlbauer: „Kulturelle Bildung soll sich bloß davor hüten, durch Niveau-Absenkung jemanden erreichen zu wollen, der ohnehin nicht berührbar ist und auch erst gar nicht berührt werden will.“
Glücklicherweise seien die meisten Menschen noch immer berührbar, meinte der scheidende Kulturdezernent. Die Betonung liege dabei durchaus auf dem Wort „noch“. „Kunst und Kultur vermögen es, Herz und Seele ganz unmittelbar zu erreichen, emotional zu wirken und im gemeinsamen Erleben Identität herzustellen.“
Dies gelte ganz besonders in schwierigen Zeiten, in denen die Kultur einem ganz besonderen Legitimationsdruck
ausgesetzt ist. „Wenn nämlich darüber räsoniert wird, ob man sie sich in solchen Zeiten überhaupt noch leisten könne“, so Riedlbauer.
Er sprach sich deshalb klar gegen Kürzungen oder die Rücknahme sogenannter freiwilliger Leistungen im Kulturbereich aus. „Kultureinrichtungen sind daher kein Luxus für gute Zeiten, sondern unverzichtbar für das Sozialgefüge unserer Städte, deren lebendiger Mittelpunkt sie sind“, sagte Riedlbauer. „Umso mehr gilt dies, wenn wir – wie aktuell – als Städte oder Gemeinden aufgrund der demografischen Entwicklung in einem Wettbewerb um Menschen stehen, von denen wir hoffen, dass sie sich bei uns niederlassen, um als Arbeitskräfte in den ortsansässigen Unternehmen tätig zu werden. Wer im Wettbewerb um Menschen bestehen möchte, muss hierfür ein attraktives urbanes Umfeld schaffen, zu dem die Kultur einen gewichtigen Beitrag leistet.“
Es brauche die Kultur als Lebensmittel unserer Gesellschaft mehr denn je, so der scheidende Kulturdezernent. „Als ein Lebensmittel, das uns Mut zur Überwindung von Krisen gibt und uns ermutigt, als eine die Kultur tragende, sie stützende und schützende Zivilgesellschaft zugleich an unsere Demokratie zu glauben und diese gegenüber Kräften, die sie zu unterwandern trachten, entschieden zu verteidigen. Denn die Freiheit des Einzelnen, auf die sich unsere Demokratie gründet, spiegelt sich nicht zuletzt in der Freiheit der Kunst wider, die wir alle miteinander zu bewahren haben.“
Er gebe die Funktion des Kulturdezernenten wieder an die Bürger dieser Stadt zurück, so Riedlbauer und kehre in jenen Beruf zurück, in dem er vor 41 Jahren examiniert habe. Sprach’s und zückte den Taktstock, um das Sinfonieorchester zur Arie des Hans Sachs aus Wagners „Meistersinger von Nürnberg“zu dirigieren, in der Bass-Bariton Christoph
Schweizer sang: „Verachtet mir die Meister nicht“.
Seinen Ruhestand wird Riedlbauer mit seiner Ehefrau in Reutlingen verbringen. Damit er trotzdem ab und zu den Weg zurück nach Biberach findet, überreichte ihm Oberbürgermeister Norbert Zeidler einen üppigen Kulturgutschein der Stadt. Riedlbauer sei bis in die letzte Faser ein leidenschaftlicher und ein sehr wortgewaltiger Streiter für die Sache der Kultur gewesen, lobte der OB. „Bildung und Kultur sind das Bollwerk gegen den rechten Irrsinn, der sich zunehmend breit macht.“Riedlbauers Bilanz in Biberach könne sich sehen lassen. Als Gesamtverantwortlicher für die Heimattage habe er zum Abschluss seiner Laufbahn nochmals ein Meisterstück hingelegt“, so Zeidler.
Sei man im einen oder anderen Fall auch nicht immer einer Meinung gewesen: „Biberach ist gemessen an seiner Größe eine kulturelle Boomtown ersten Ranges.
Und dafür, dass das nachher wie vorher so ist, haben Sie, lieber Herr Dr. Riedlbauer, immensen Anteil“, sagte Zeidler.
Zum Schluss verriet der OB noch, wie es in Sachen Kulturdezernat, das künftig um den Bereich Bildung erweitert wird, weitergeht. Am 1. Februar wird der Gemeinderat nicht öffentlich entscheiden, wer aus dem Reigen des 44-köpfigen Bewerberfelds um Riedlbauers Nachfolge das Rennen macht. „So viel kann ich sagen: Ihn wird eine Dame beerben.“In die finale Vorstellungsrunde hätten es nur Frauen geschafft.
Den Dank der Mitarbeiter überbrachte Musikdirektor Andreas Winter, der in launigen Worten auch über den Menschen Jörg Riedlbauer erzählte, der unter anderem ein leidenschaftlicher und ausgezeichneter Koch sein soll. „Die Erfahrungen, die wir mit Ihnen machen durften, werden bleiben, dafür danken wir Ihnen. Genießen Sie ab morgen Ihren Ruhestand!“, schloss Winter.