Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Das Geheimnis der Sandsteinzapfen
Volker J. Sach aus Ochsenhausen und zwei Kollegen wollen mit Forschung Leben retten
- Sie erinnern an Blumenkohl, Keulen oder einen männlichen Phallus: Zapfensande. In Ochsenhausen und Umgebung sind sie durchaus bekannt. Drei Forscher aus der Region haben sich nun mit den 15 Millionen Jahre alten Elementen neu beschäftigt und eine Erklärung für ihre Entstehung gefunden. Mit ihren Erkenntnissen haben sie es in das amerikanische Wissenschaftsjournal Nature Communication geschafft.
Volker J. Sach (Foto: Privat) ist in seiner Kindheit und Jugend beim Buddeln im Gelände um seine Heimatstadt Ochsenhausen immer wieder auf die seltsamen beigen Gebilde gestoßen. Er betreibt heute in Ochsenhausen das Büro „Fokus Natur“und bietet angewandte Geologie, beispielsweise für Brunnen- und Erdwärmebohrungen. Sein Onkel, der Ochsenhauser Künstler Hans Gast, der auch dem Geologie-Zirkel der Firma Thomae angehörte, beschäftigte sich schon in den 1970er-Jahren mit den sonderbaren Steinen. Er war eines Tages an die Liebherr-Baustelle Richtung Erlenmoos gerufen worden. Eine Anwohnerin meinte, sie habe dort „eine prähistorische Keulenfabrik“entdeckt. Einige besonders schöne Exemplare der Zapfensande lagern heute im Biberacher Museum. Auch Volker J. Sach hat einen Bestand der Sandsteingebilde. Manch Ochsenhauser Familie schmücke mit den bis zu einem Meter langen Stücken den Garten, weiß er. Das Gros der Zapfen messen 20 bis 40 Zentimeter, manche sind aber kaum länger als ein Finger. Um Augsburg, Ulm und bis nach Ravensburg wurden ähnliche Zapfen gefunden.
Bekannt seien die ähnlich geformten Stücke der Wissenschaft seit 200 Jahren, „allerdings wurden die rätselhaften Gebilde bislang als eher unspektakuläre, zufällige Sedimentbildungen gedeutet“, führt Sach aus. Man nahm an, die Form sei entstanden, als kalkhaltiges Gundwasser langsam und stetig durch Sandschichten drang. Gemeinsam mit den Erdwissenschaftlern Elmar Buchner und Martin Schmieder von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Neu-Ulm hat der promovierte Geologe Sach
nun eine neue Erklärung für die Zapfensande. Und damit gewinnen die oberschwäbischen Keulen globale Bedeutung. Solche Sandsteinzapfen gibt es nämlich nicht nur hier, sondern auch unweit der geologisch aktiven SanAndreas-Verwerfung in Kalifornien (genauer am Mount Signal an der Grenze zu Mexiko), wo sie seit den 30er-Jahren als sogenannte „Sand Spikes“bekannt sind. Auch in den USA galten diese Zapfen bisher als geologisches Mysterium. In einer Studie belegen Buchner, Sach und Schmieder, dass die Gebilde durch die immense, spontane seismische Energie stärkster Erdbeben mit einer Magnitude von deutlich über 7, wahrscheinlich noch oberhalb von 8, entstanden sind.
Zum Vergleich: Das starke Erdbeben, das im Jahr 1906 die Stadt San Francisco fast vollständig zerstörte, hatte eine Magnitude von 7,7 auf der Momenten-Magnituden-Skala. Die Orientierung der Zapfen-Längsachsen im Untergrund weise dabei ziemlich verlässlich auf die Quelle des Erdbebens. Elmar Buchner erläutert: „Die Zapfen zeigen nicht nur das Auftreten von Starkbeben in der Vergangenheit an, sondern die Köpfe der Zapfen weisen zusätzlich in die Richtung des Epizentrums des Paläobebens. Somit können wir Regionen mit einem hohen Potenzial zerstörerischer Erdbeben identifizieren und Aussagen über das seismische Risiko dieser Strukturen treffen. Wir verfügen damit nun über ein neues Tool zur besseren Abschätzung von Erdbebenrisiken weltweit.“
Welches Beben war in Süddeutschland für die Bildung der Zapfensande verantwortlich? Eines, das von außen verursacht wurde, sind die Wissenschaftler
überzeugt. Vor etwa 15 Millionen Jahren schlug ein Asteroid auf die Albhochfläche im heutigen bayrischen-württembergischen Grenzgebiet. Der Brocken aus dem All, der bei einem Durchmesser von geschätzt einem Kilometer und einer Geschwindigkeit von bis zu 180.000 Kilometer pro Stunde auf die Erde zuraste, löste das sogenannte Ries-Ereignis aus. Das Nördlinger Ries ist eine kreisrunde, 24 Kilometer durchmessende Tiefebene zwischen der Schwäbischen und Fränkischen Alb. Aus der Vogelperspektive ist das Ries wie aus dem Papier gestanzt gut zu erkennen.
Die beim Einschlag verursachte enorme Hitze ließ den Himmelskörper verglühen, veränderte durch Druck und Temperatur vorhandene Gesteinsarten. Diese sowie Teile des typischen Jurakalksteins der Alb schleuderten bis über den Bodensee hinaus 180 Kilometer weit. Unter der Erdoberfläche verursachte der Aufprall des Himmelskörpers ein Beben mit einer Stärke von wohl über 8 auf der heutigen Richterskala. Um die Zeit des Ries-Ereignisses herrschte in Oberschwaben subtropisches Klima, erläutert Sach. Igelartige Insektenfresser, Säbelzahnkatzen, Bären, große Hunde, Nashörner und Urelefanten lebten hier. In der gesamten Tiefebene zwischen Alpen und Alb meandrierten Gewässer und verschliffen Gestein zu Sand. Der Asteroid löschte nicht nur alles Leben in einem Umkreis von 100 Kilometern aus, vermutet die Wissenschaft. Große Bereiche des Untergrunds im nordalpinen Vorlandbecken zwischen Ravensburg und Ulm wurden nun mehrere Meter tief von den Erdbebenwellen, die dem Ries-Einschlag folgten, umgepf lügt und stellenweise sogar intensiv in sich verfaltet, vermuten die drei Wissenschaftler. In den lockeren Sandschichten bildeten sich die Zapfen, die, wie Sach in der Studie nachweist, alle vom Einschlagort fortzeigen. Durch die Druckwellen trennte sich verstärkt Kalk aus dem feuchten Sediment und verfestigte sich nach Druckabfall Sekunden später wieder. Dabei formten sich die stromlinienförmigen Zapfen, erklärt Sach. Zapfensande geben somit Hinweise auf Erdbeben in der Vergangenheit und deuten in Richtung des Epizentrums.
Es gebe Hinweise in der wissenschaftlicher Literatur, dass solche Sand Spikes auch in weiteren Erdbebenregionen – Frankreich, Italien, Spanien – vorkommen, berichten die drei Forscher. „Im Schnitt verlieren jährlich rund 20.000 Menschen infolge von Erdbeben ihr Leben.“Ein wichtiges Ziel sei es daher, „unsere neuen Erkenntnisse zum Erdbebenrisiko bei infrastrukturellen Sicherheitsmaßnahmen wie etwa Baustandards für Gebäude und Brücken zu berücksichtigen um somit die Sicherheit der Bevölkerung in dicht besiedelten und tektonisch aktiven Regionen der Erde zu erhöhen“, erklären die Forscher den praktischen Nutzen ihrer Erkenntnisse für die Gegenwart.
Inzwischen gehen die drei promovierten Geowissenschaftler übrigens Hinweisen nach, wonach sich selbst auf dem Mars Zapfensande finden. Und auch auf dem Mars finden sich Krater von Asteroid-Einschlägen. Soweit müssen die Menschen in Biberach und Umgebung aber nicht gehen: Stattliche Exemplare der Zapfensande sind in der Naturkundeabteilung des städtischen Museums Biberach ausgestellt.