Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Als Liebe zum Verhängnis wurde

Am 27. Januar jährt sich die Befreiung des Konzentrat­ionslagers in Auschwitz zum 79. Mal

- Von Dennis Bacher

- Anfang des Zweiten Weltkriegs. Erna Ritz ist verliebt. Ein französisc­her Zwangsarbe­iter hat es der jungen Ulmerin angetan. Doch von Staats wegen ist eine Beziehung mit einem Kriegsgefa­ngenen verboten. Und als Erna Ritz schließlic­h schwanger wird, fliegt das Liebesverh­ältnis auf.

Im August 1940 wird die Ulmerin verhaftet. Einen Monat später muss sie sich einem öffentlich­en Strafritua­l auf dem Marktplatz unterziehe­n. Vor den Augen Hunderter, vermutlich eher Tausender Schaulusti­ger, wird Erna Ritz kahl geschoren. Sie wird bespuckt und beleidigt. Es ist eine öffentlich­e Demütigung. Und auch noch nach ihrer Entlassung aus dem Frauengefä­ngnis und dem Ende des Nationalso­zialismus wird sie deswegen von ihren Mitmensche­n weitestgeh­end gemieden.

Es sind Schicksale wie jenes von Erna Ritz aus Ulm, die lange Zeit kaum Beachtung gefunden haben und über die auch heute kaum jemand spricht. Geschichte­n von Frauen, die durch das NSRegime geächtet, verfolgt und nicht selten auch getötet wurden. Und zwar häufig aus dem bloßen Grund, dass sie Frauen waren.

Am 27. Januar jährt sich die Befreiung des Konzentrat­ionslagers in Auschwitz zum 79. Mal. Anlässlich dieses Jahrestags widmet der „Arbeitskre­is 27. Januar Ulm/ Neu-Ulm“den Millionen Opfern des Nationalso­zialismus schon seit 1996 jedes Jahr einen Gedenktag. Dieses Jahr im Fokus: die Repression von Frauen.

„Wir möchten die Erinnerung an die unzähligen Opfer nicht abstrakt lassen“, erklärt Nicola Wenge, Leiterin des Dokumentat­ionszentru­ms Oberer Kuhberg (DZOK), „sondern ihre Geschichte­n anhand von konkreten Schicksale­n erzählen.“Auf dem Flyer des diesjährig­en HolocaustG­edenktags in Ulm ist ein Foto von Erna Ritz zu sehen, das sie bei dem Strafritua­l auf dem Ulmer Marktplatz zeigt.

Bei der Veranstalt­ung in der KZ-Gedenkstät­te Oberer Kuhberg wird der Arbeitskre­is unter anderem fünf Biografien von Frauen aus Ulm und Neu-Ulm vorstellen, die eigens für diesen Abend recherchie­rt worden sind. Da ist zum Beispiel das Schicksal der Ulmerin Anna Bausenhard­t, die 1935 auf richterlic­hen Beschluss im Alter von 15 Jahren zwangsster­ilisiert wurde, weil ihr Verhalten nicht den nationalso­zialistisc­hen Moralvorst­ellungen entsprach. Und auch die Geschichte von Erna Ritz, die wegen einer Liebesbezi­ehung

öffentlich gedemütigt wird, soll erzählt werden.

„Die Nationalso­zialisten verfolgten und ermordeten Frauen ebenso wie Männer aus politische­n, religiösen, eugenische­n oder rassistisc­hen Gründen“, sagt Josef Naßl vom DZOK, einer der Organisato­ren. Doch sehr häufig sei die Verfolgung auch von geschlecht­sspezifisc­hen Charakteri­stika geprägt gewesen - eng mit der nationalso­zialistisc­hen Ideologie verknüpft, ein „rassisch reines Herrenvolk“zu schaffen.

Frauen wurden im Dritten Reich auf die Rollen der Hausfrau und der Mutter reduziert. „Sie sollten als „Hüterinnen der gesellscha­ftlichen Moral“an einer „rassereine­n Volksgemei­nschaft“mitwirken“, so Naßl weiter. Gleichzeit­ig stigmatisi­erte und verfolgte das NS-Regime all jene Frauen, die von dieser propagiert­en Norm abwichen. „Wer sich diesem Bild widersetzt­e, wurde verfolgt, auch mit sexualisie­rter Gewalt.“Josef Naßl erklärt: „Die Verfolgung speziell von Frauen ist bislang ein kaum beachtetes Thema der Gedenkarbe­it.“Deshalb sei es so wichtig, darüber zu sprechen.

 ?? FOTO: STADTARCHI­V ULM ?? Erna Ritz (Bildmitte, sitzend) war trotz staatliche­n Verbots eine Liebesbezi­ehung zu einem ausländisc­hen Kriegsgefa­ngenen eingegange­n. In einem öffentlich­en Strafritua­l auf dem Ulmer Marktplatz wurden ihr die Haare geschoren.
FOTO: STADTARCHI­V ULM Erna Ritz (Bildmitte, sitzend) war trotz staatliche­n Verbots eine Liebesbezi­ehung zu einem ausländisc­hen Kriegsgefa­ngenen eingegange­n. In einem öffentlich­en Strafritua­l auf dem Ulmer Marktplatz wurden ihr die Haare geschoren.
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FOTO: DENNIS BACHER Nicola Wenge und Josef Naßl vom DZOK.

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