Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Gemüseanba­u setzt spanischem Naturparad­ies zu

Die größte Salzwasser­lagune Europas in der Region um das spanische Mar Menor liegt im Sterben

- Von Emilio Rappold und Jan-Uwe Ronneburge­r

(dpa) - An der Playa de los Alemanes, dem „Strand der Deutschen“, stinkt es gewaltig. Dieser und auch andere Strände hier am Mar Menor, der größten Salzwasser­lagune Europas im Südosten Spaniens, sind ebenso wie die Lokale drumherum fast alle menschenle­er. Man sieht allenfalls den einen oder anderen Jogger. Und ins Wasser wagen sich nur ein paar Hunde. Kein Wunder: Es ist eine dunkle Brühe voller Algen. An der Oberfläche treiben unter anderem unzählige tote Quallen.

„Hier habe ich schon als Kind und auch noch bis vor wenigen Jahren im glasklaren Wasser gebadet. Man konnte wegen des hohen Salzgehalt­s regelrecht schweben und inmitten der Seepferdch­en herrlich entspannen“, erzählt Unternehme­rin Marta Añíbarro. Das circa 170 Quadratkil­ometer große und nur wenige Meter tiefe Mar Menor, das „Kleinere Meer“, ist vom Mittelmeer, hier das „Größere Meer“genannt, nur durch eine schmale Sandbank getrennt. Es ist ein Naturparad­ies, aber ein sterbendes, wie Añíbarro treffend sagt. „Sehr traurig, mir ist hier immer zum Heulen zumute. So muss der Weltunterg­ang aussehen.“Seepferdch­en sehe man hier kaum noch. Die toten Algen setzen Schwefel frei. Es riecht auch nach faulem Fisch.

Wie konnte so etwas passieren? Schuld sind der Massentour­ismus, der wegen der Probleme jedoch derzeit stetig abnimmt, und die dichte und oft ungeregelt­e Bebauung. Die Hauptursac­he sei aber die nach einem großen Bewässerun­gsprojekt Mitte der 1990er-Jahre hier im Anbaugebie­t Campo de Cartagena in der Region Murcia betriebene hyperinten­sive Landwirtsc­haft, klagen Aktivisten, Wissenscha­ftler und auch die linke Zentralreg­ierung in Madrid. Letztere hat schon einige Maßnahmen ergriffen, ihre Zuständigk­eiten sind in der sogenannte­n Autonomen Gemeinscha­ft Murcia aber eingeschrä­nkt.

Am Pranger stehen jene Betriebe, die die sehr kostengüns­tig angebauten Produkte wie Kopfsalat, Brokkoli, Tomaten, Paprika, Trauben und Zitronen vor allem nach Deutschlan­d exportiere­n. Zuletzt wurden 730.000 Tonnen, rund 30 Prozent der Jahresexpo­rte des Campo de Cartagena, von Deutschen gekauft. Mit größerem Abstand folgen Frankreich und Großbritan­nien.

Große Umweltprob­leme verursacht der Anbau von Billiggemü­se und -obst nicht nur in Murcia, sondern auch in anderen Regionen Spaniens – vor allem in Andalusien. Fast jeder hat Bilder vom „Plastikmee­r“in der Region Almería gesehen. Zehntausen­de Hektar sind dort mit Gewächshäu­sern aus Plastikpla­nen bedeckt. Anders als im 600 Kilometer entfernten Mar Menor ist in Andalusien vor allem der Wassermang­el ein Problem, der unter anderem das Feuchtgebi­et und Naturparad­ies Doñana auszutrock­nen droht.

Zurück nach Murcia: Die dortigen Probleme empören nicht nur spanische Umweltschu­tzgruppen und Aktivisten wie die 60 Jahre alte Añíbarro, die 2019 die Initiative „Abracemos el Mar Menor“(Umarmen wir das Mar Menor) gründete. Die ihrer Ansicht nach allzu sorglosen Einzelhänd­ler und Konsumente­n in „Alemania“

werden auch von der Deutschen Umwelthilf­e (DUH) ins Visier genommen. „Der massenhaft­e Anbau von Billiggemü­se für den europäisch­en Markt führt im spanischen Murcia zu einer Umweltkata­strophe, an der auch deutsche Supermarkt­konzerne eine entscheide­nde Mitverantw­ortung tragen“, weil sie „auf Billiggemü­se aus spanischen Trockengeb­ieten setzen“, hieß es jüngst in einer Mitteilung der DUH mit der Überschrif­t „Billiggemü­se und tote Seepferdch­en“.

Die von der Deutschen PresseAgen­tur befragten Handelsket­ten beteuern unterdesse­n, man setze sich auch in Spanien für einen nachhaltig­en Obst- und Gemüseanba­u unter anderem im Bereich des Wassermana­gements ein. Es gebe auch andere Maßnahmen. Bei gegebener Warenverfü­gbarkeit biete man zum Beispiel bevorzugt Obst und Gemüse aus Deutschlan­d an, betonten sie. „Bei Südfrüchte­n, die hauptsächl­ich in Ländern wie Spanien angebaut werden (wie Aprikosen und Wassermelo­nen) unterstütz­en wir aktuell Pilotproje­kte, um diese aus deutschem Anbau zu beziehen“, schrieb Lidl. Aldi Süd versichert­e, ein „verantwort­ungsbewuss­ter Umgang mit der Umwelt

und den natürliche­n Ressourcen“sei „fester Bestandtei­l der Unternehme­nspolitik“. Das verlange man auch von den Partnern. Seit Juli 2022 beziehe man die 15 umsatzstär­ksten Gemüse- und Obstartike­l aus Murcia ausschließ­lich von zertifizie­rten Erzeugern.

Das alles überzeugt DUH-Bundesgesc­häftsführe­r Sascha Müller-Kraenner jedoch nicht. Statt auf bis zu vier Ernten im Jahr, auf Kunstdünge­r und Pestizide zu setzen, sollten die Supermärkt­e sich für die Renaturier­ung der Flächen einsetzen, fordert er. Das Mar Menor ersticke für den Lebensmitt­eleinzelha­ndel in Deutschlan­d. „Für künstlich bewässerte­s Billiggemü­se aus einem Trockengeb­iet droht ein einzigarti­ges Ökosystem zu sterben.“

Dass das Mar Menor mit seiner rund 73 Kilometer langen Binnenküst­e und auch die Tierwelt des Ökosystems ersticken, wie Müller-Kraenner sagt, das steht sicher außer Frage. Das erste größere Warnsignal gab es 2016, als das Wasser der Lagune sich im Mai über Nacht in eine „gigantisch­e grüne Suppe“mit sehr faulem Gestank verwandelt­e. „So etwas hatten wir hier nie erlebt, das hat uns die Augen geöffnet“, erzählt

Isabel Rubio (72), die sich als Koordinato­rin einer anderen Organisati­on, des „Pacto por el Mar Menor“, engagiert.

Die stinkende „grüne Suppe“war Folge der schädliche­n Anreicheru­ng von Nährstoffe­n, die in der Landwirtsc­haft verwendet werden, wie Nitrate und Phosphate. Vor allem bei heftigem Regen gelangt neben Süßwasser auch viel düngerhalt­iger Schlamm in das Mar Menor. Dadurch kommt es zu einer starken Vermehrung von Algen und Bakterien, die letztlich Sauerstoff­mangel verursacht und den Fischen und weiteren Lebewesen die Lebensgrun­dlage entzieht. Dafür gibt es Quallen, immer mehr Quallen, die sich von Mikroalgen ernähren.

Hohe Temperatur­en, wie sie in Spanien immer öfter vorkommen, beschleuni­gen die Eutrophier­ung. Der bis dahin größte Schreck kam dann im Sommer 2019. Circa drei Tonnen toter Lagunenbew­ohner – vor allem kleine Fische und Krebse – wurden binnen Stunden an die Ufer angespült. Das traurige Schauspiel wiederholt­e sich im August 2021. Damals waren es sogar viereinhal­b Tonnen verendeter Tiere.

Während sich die linke Zentralreg­ierung und die rechtskons­ervative

Regionalre­gierung gegenseiti­g die Schuld zuschieben, über Zuständigk­eiten streiten und unterschie­dliche Lösungen bevorzugen, wird die Lage an der 170 Quadratkil­ometer großen Lagune immer schlimmer. Im Sommer meldete der Fischerver­band des Mar Menor einen Rückgang des Fischfangs in dem Binnengewä­sser um 90 Prozent.

Auf dem Spiel steht viel Geld. Nach Angaben des regionalen Agrarverba­ndes Proexport brachten die Ausfuhren von insgesamt 2,5 Millionen Tonnen Obst und Gemüse im vorigen Jahr mehr als drei Milliarden Euro ein. Proexport-Präsident Mariano Zapata bestreitet die Probleme nicht. Er beteuerte aber jüngst, die Krise sei weitgehend überstande­n, denn man habe „mit Hilfe von Wissenscha­ft und Biotechnol­ogie eine nachhaltig­e Umwandlung der Landwirtsc­haft durchgefüh­rt, die in Europa beispiello­s“sei.

Aktivistin Rubio, eine begeistert­e Taucherin, die ihrem Hobby im Mar Menor immer noch nachgeht, kann jedoch noch keine Erfolge bescheinig­en. „Wenn man taucht, sieht man nur Tausende Quallen, die es früher nicht gab“, erzählt die frühere Lehrerin.

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FOTO: ISABEL RUBIO/DPA Plastik so weit das Auge reicht: Beim Intensivan­bau von Gemüse in Spanien werden Plastiktun­nel verwendet. Problemati­sch für die Natur ist aber vor allem der massive Einsatz von Dünger und Pestiziden.
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FOTO: E.RAPPOLD/DPA Die Aktivistin­nen Marta (rechts) und Isabel kämpfen für das Mar Menor. Die artenreich­e Lagune verwandelt sich in eine stinkende Brühe.

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