Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Die Wertschätzung für Schwäbisch wächst wieder“
Johannes Kretschmann gibt Unterrichtsstunde zum schwäbischen Dialekt am Carl-Laemmle-Gymnasium
- Fränkisch, Alemannisch, Schwäbisch: Baden-Württemberg ist eine Hochburg der Dialekte. Doch immer weniger Kinder und Jugendliche sprechen diese. Die Initiative „Mundart in der Schule“hat es sich zur Aufgabe gemacht, Dialekte im Sprachschatz zu bewahren. Mehrere prominente Dialektsprecher wollen in Workshops Schülerinnen und Schüler für den Dialekt begeistern. Im Rahmen des vom Land geförderten Projekts hat Sprachwissenschaftler Johannes Kretschmann zwei 10. Klassen des Carl-Laemmle-Gymnasiums besucht – und mit Vorurteilen gegenüber dem Schwäbischen aufgeräumt.
„Schwäbisch ist nicht einfach nur eine vernuschelte Version unserer Standardsprache“, betont der Sprachwissenschaftler Johannes Kretschmann. Wie sein Vater, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, ist er ein Verfechter des schwäbischen Dialekts und macht sich stark für diesen. Gerne ist er deshalb der Einladung von Gymnasiallehrer Georg Arnold an die Laupheimer Schule gefolgt. „Der Dialekt gehört im ländlichen Raum zur kulturellen und gesellschaftlichen Vielfalt dazu“, findet auch Arnold.
Kretschmann hat den Weg nach Laupheim auf sich genommen, um Ordnung in das Wirrwarr der Dialekte zu bringen, und möchte den Schülerinnen und Schülern zeigen: Die schwäbische Mundart ist historisch gewachsen und folgt eigenen Regeln –
und zwar ganz anderen als die deutsche Standardsprache. Kretschmann hat dafür das Wort „Arm“an die Tafel geschrieben. „Was ist der schwäbische Plural?“, möchte er wissen. „Ein Arm, mehrere Ärm“, sagt eine Schülerin. „Richtig“– lobt Kretschmann. Im Schwäbischen übernehme ein Umlaut die Funktion, damit sich der Singular vom Plural
unterscheiden lässt. „Die Entwicklung der Sprachgeschichte liegt Jahrhunderte zurück.“
Auf der Landkarte an der Wand lassen sich mit scharfem Auge die Umrisse von Staaten und darin die einzelner Bundesländer erkennen. Nun sollen die Schüler Farbe bekennen: Welche Dialekte werden in Baden-Württemberg gesprochen, und wo verlaufen die sprachlichen Grenzen. Klar, Ersteres wissen die Schüler: „Schwäbisch!“Und was gibt’s denn da noch? „Badisch!“– genau. „Alemannisch wäre die korrekte Bezeichnung. Es ist das sprachliche Gegenstück zu Schwäbisch“, fügt Kretschmann hinzu. Während sich der Begriff „Schwaben“sprachgeschichtlich vom germanischen Volksstamm der „Sueben“ableite, lasse sich der Name „Baden“auf gleichnamige Fürstentümer zurückführen.
Schnell bemerken die Schüler: Nicht nur die Terminologie ist uneinheitlich. Auch staatliche Grenzen und Dialektgrenzen passen nicht ganz zusammen. „Neu-Ulm gehört schon zu Bayern, aber dort sprechen die Leute wie in Ulm Schwäbisch“, merkt eine Schülerin
an. Eine gute Beobachtung, die den Sprachwissenschaftler zum nächsten Punkt bringt. Geografische Grenzen wie ein Fluss bedeuten noch lange keine sprachlichen Grenzen.
Schließlich löst Kretschmann den jiddischen Satz auf, den er am Anfang der Stunde an die Tafel geschrieben hat. „Eine Sprache ist ein Dialekt, mit einer Armee und einer Flotte“, übersetzt er. Zugeschrieben wird der Satz dem jüdischen Sprachwissenschaftler Max Weinreich, der ihn in einer Vorlesung aufgegriffen und verbreitet haben soll. Zwei Dinge, betont Kretschmann: Zum einen können aus Dialektgrenzen auch Sprachgrenzen werden, etwa wenn ein Staat sich von einem anderen abzugrenzen versucht. „Zum anderen braucht es Liebe und Macht, damit aus einem Dialekt eine Sprache entstehen kann“, ist Kretschmann überzeugt.
Umgekehrt bedeutet das aber auch: Ein Dialekt, der stiefmütterlich behandelt und immer weniger gesprochen wird, verschwindet mit der Zeit aus den Köpfen. „Die Wertschätzung für Schwäbisch wächst wieder, auch
wenn dies zu später Stunde geschieht; in der Praxis ist der Schwund das Beherrschende“, sagt Kretschmann. In der Klasse 10 hatte er zuvor eine Umfrage gestartet – sieben von 26 Schülern haben sich als Dialektsprecher betrachtet. „Viele sind unsicher, wie breit ihr Schwäbisch ist.“Kretschmann geht es darum, ein Bewusstsein über den Sprachgebrauch zu schaffen, dadurch könnten sich Menschen im Dialektsprechen bestärkt fühlen – dies gehe nur mit Begeisterung und Freude.
In der folgenden Unterrichtseinheit dürfen die Schüler selbst ans Werk und ihr Wissen in einem Gedichtswettbewerb unter Beweis stellen. Ihre Aufgabe ist es, zum Thema „Liebe im Dorf“ein „schwäbisches“Haiku zu schreiben. Das Haiku, die traditionelle japanische Gedichtform, gilt als kürzestes Gedicht der Welt – und wie sich zeigt, reicht auch im Schwäbischen ein Dreizeiler, um alles Wichtige zu sagen: „Im Ländle isch‘s schee. Onsre Oart send wonderschee. Mr brauchat it mee”, reimt eine Gruppe.