Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ravensburger schafft den Sprung in neue Spielwelten
Mit Lorcarna betritt der Hersteller Neuland – Auch das leicht angestaubte blaue Dreieck soll neu belebt werden
- Geburtstag mit Megatorte: Ravensburger hat auf der Spielwarenmesse richtig Party gefeiert. Clemens Maier, Vorstandschef und Mitinhaber des Spieleherstellers, verteilte im Konfettiregen die süßen Stückchen, gekleidet mit T-Shirt und blauem Hut. „Wir brennen für das blaue Dreieck“, so Maier.
Das Markenzeichen des oberschwäbischen Spielherstellers wird dieses Jahr 50 Jahre alt. Ravensburger erhofft sich von dem Jubiläum neuen Schwung im klassischen Spielesegment. Brettsowie Kinder- und Lernspiele sind zwar im vergangenen Jahr besser gelaufen als der Markt insgesamt, der europaweit um rund fünf Prozent zurückging. Puzzles schwächelten allerdings und „besser als der Markt“bedeutet noch nicht, dass Ravensburger in seinem Kernsegment, Familien- und Kinderspiele, im Plus lag.
Auch mit den klassischen Vertriebswegen, dem Facheinzelhandel, stößt Ravensburger an Grenzen. Immer mehr Einzelhändler in den Innenstädten geben auf. Die Otto-Gruppe hat ihre Spielwaren-Filialen „Mytoys“verkauft und die Warenhauskette Galeria Karstadt Kauf hof ist in der dritten Insolvenz. Noch dazu ziehen sich die Lebensmitteleinzelhändler immer mehr aus dem NonfoodBereich zurück. Lag der Anteil an Nichtlebensmitteln im Schnitt in der Corona-Zeit bei rund 16 Prozent, erreicht er mittlerweile gerade noch sechs bis sieben Prozent. Grund genug, um über neue Vertriebswege nachzudenken.
Der Einstieg in den Markt für Sammelkarten mit dem Spielset „Disney Lorcana“kam für den Traditionshersteller deshalb genau zur rechten Zeit. Und er hat eingeschlagen. Die ersten Sets waren innerhalb weniger Tage vergriffen und dank Lorcana hat Ravensburger 2023 einen Umsatzsprung von fast zwölf Prozent auf 669 Millionen Euro geschafft.
Sammelkartenspieler bewegen sich außerhalb von Spielwarenabteilungen, sie sind meistens erwachsen, häufig männlich und verbringens sehr viel Zeit mit ihrem Hobby. Gekauft wird in sogenannten „Friendly Local Game Stores“. Mit „freundlich“wird wohl suggeriert, dass es hier nicht um gewaltaffine Darstellungen geht, sondern um Kartenspiele
mit Märchen- und Fantasy-Figuren. Die Story von Lorcana beginnt mit einem umgekippten Tintenfass, aus dem die Geschichten herauslaufen. Die Gestalten machen sich als Charaktere auf den Weg und erleben wieder neue Geschichten. Das dritte Set, das Mitte Februar auf den Markt kommt, heißt passend „Tintenland“und wird von den Fans schon sehnsüchtig erwartet.
Ravensburger hat damit eine neue Zielgruppe, die bereit ist, für ihre Leidenschaft tief in die Tasche zu greifen. Doch der Schritt auf Neuland war für das eher konservative Unternehmen nicht ohne Risiko. Die Spieler sind schließlich eine „anspruchsvolle Fangemeinde“, wie Maier sagt. Zwei Jahre lang haben die Entwickler aus Ravensburg gemeinsam mit dem Lizenzgeber Disney an dem Spiel getüftelt. Hier muss alles stimmen: die Geschichte, die Spielmechanik, die Grafik – und es muss praktisch unendlich weitererzählbar sein. Rund 50 Mitarbeiter sind allein bei Ravensburger
mit Lorcana beschäftigt, ein zweistelliger Millionenbetrag wurde investiert, Disney verdient an jeder Karte mit. Dennoch hat sich die Investition gelohnt, versichert Maier: „Lorcana hat unsere Erwartungen weit übertroffen.“
Bitter: Ausgerechnet der neue Umsatzbooster wird nicht in den eigenen Werken hergestellt. Ravensburger hat neben dem Stammsitz zwei weitere Werke in Policka (Tschechien) und in Banska Bystrica (Slowakei). Die Sammelkarten werden indessen im Auftrag in einem US-Werk und künftig auch in Belgien produziert. Wegen der aufwendigen Grafiken hätte Ravensburger dafür eigene Produktionslinien aufbauen müssen. Das wäre zu teuer geworden, erklärt Finanzvorstand Hanspeter Mürle.
Alle drei Monate soll nun ein neues Set erscheinen. Das vierte ist bereits in der Produktion, die Sets sieben und acht werden derzeit kreiert. Die Geschichte muss weitergehen. Der Sprung in eine neue Spielwelt ist Ravensburger
gelungen und Maier ist vom dauerhaften Erfolg der Lorcana-Serie überzeugt. Vielspieler-Spiele seien ein Trend. Hier würden Menschen „wirklich viel Zeit investieren in ein Thema“, so Maier.
Rund ein Viertel des Ravensburger Umsatzes stammt laut Maier mittlerweile aus dem Erwachsenen-Spieler-Bereich. Ein wachsendes Geschäft, das auf der Nürnberger Spielwarenmesse unter dem Schlagwort „Kidult“läuft – ein Kunstwort aus Kindern (Kids) und Erwachsenen (Adult).
Aber auch das Kerngeschäft soll künftig wieder mehr zum Wachstum beitragen. Das etwas angestaubte Image des blauen Dreiecks soll dazu neu aufgeladen werden. Es stehe für „Freude, Bildung, Gemeinsamkeit“, so Maier bei der Tortenparty. „50 Jahre blaues Dreieck bedeutet, dass es drei Generationen erlebt haben und kennen.“Über 50 Millionen Produkte mit dem bekannten Dreieck verkauft das Unternehmen jedes Jahr. Klassiker wie Memory gehen immer, der Lernstift
tiptoi ist nach wie vor beliebt bei den Jüngsten und Gravitrax ist die Nummer eins unter den Kugelbahnen.
Dennoch dürfte der Schub auch in diesem Jahr auf das Konto von Lorcana gehen. Bisher war das Spiel in Nordamerika, Deutschland, Großbritannien und Frankreich erhältlich. In den kommenden Monaten soll es in neun weiteren Ländern in die Shops kommen. Zudem ist Lorcana 2024 erstmals das ganze Jahr erhältlich. 2023 startete der Verkauf erst im August.
Der Erfolg steht für einen weiteren Trend, von dem Ravensburger profitieren dürfte: Das analoge Spiel lebt! Standen in den vergangenen Jahren vor allem digitale Spielideen stark im Fokus, geht es jetzt wieder stärker um Spiele zum Anfassen. „Vor fünf Jahren machten wir uns Gedanken, ob das Materielle wohl ganz aus der Spielewelt verschwindet. Doch das hat sich nicht bewahrheitet“, resümiert Maier: „Die Menschen lieben das Haptische.“