Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Gar nicht zum Lachen

Konsum von Lachgas nimmt durch Internet-Hype zu – Drogenbeau­ftragte wollen Problem angehen

- Von Kristina Staab ●

(KNA) - Jugendlich­e mit verpixelte­n Gesichtern atmen Gas aus bunten Ballons ein. Sie lachen, torkeln durch die Bahn. Zu sehen in einem viralen Video des YouTubers Marvin. Er warnt vor den Gesundheit­sschäden durch Lachgas – oder auch N2O, so der wissenscha­ftliche Name. Marvin spricht von einem Trend, den er schon häufig beobachtet habe, nicht nur bei YouTube und Tiktok, sondern auch bei Drehs auf der Straße.

Fachleute in Deutschlan­d und der EU raten zur Vorsicht. „Insbesonde­re die Entwicklun­gen in benachbart­en Ländern wie den Niederland­en und Großbritan­nien sind für uns Anlass, einen möglichen Anstieg des Lachgaskon­sums in Deutschlan­d sehr genau zu beobachten“, sagte der Bundesdrog­enbeauftra­gte Burkhard Blienert auf Anfrage. Konkrete Zahlen zum Konsum gibt es für Deutschlan­d bisher nicht. Doch es sei notwendig, mehr zu erfahren, um gezielt gegensteue­rn zu können, so Blienert. Einen lokalen Anstieg der Lachgas-Einnahme offenbart eine Studie der Goethe-Universitä­t

Frankfurt. Sie zeigte erstmals für 2021 eine Ausweitung des Lachgaskon­sums bei Schülerinn­en und Schülern in Frankfurt am Main. „Aktuell gehen wir davon aus, dass die Problemati­k regional unterschie­dlich ausgeprägt ist“, so Blienert.

Geplant sei nun, dass das Frühwarnsy­stem NEWS einen sogenannte­n Trendspott­er zu Lachgas erstellt. „Dafür werden unter anderem Expertinne­n und Experten aus verschiede­nen Regionen interviewt und zu ihrer Wahrnehmun­g des Konsums befragt“, erklärte Blienert. Zum Thema Aufklärung über Lachgas unter Jugendlich­en liefen bereits Gespräche unter anderem mit dem Bundesmini­sterium für Gesundheit, dem Institut für Therapiefo­rschung und einigen Bundesländ­ern.

Schon seit 2010 verzeichne­n einige europäisch­e Länder einen höheren Konsum von Lachgas, wie das Europäisch­e Beobachtun­gszentrum

für Drogen und Drogensuch­t (EMCDDA) mitteilte. Besorgnise­rregend sei der Anstieg ab 2017 geworden, als sich sowohl der Verkauf als auch die Einnahme gesteigert hätten.

Nach Expertenei­nschätzung atmen die meisten Konsumente­n nur wenig von dem Gas ein – und auch nur gelegentli­ch: vermutlich ein bis drei Ballons wenige Male pro Jahr. Ab wann das Nervengift gefährlich wird, ist von Mensch zu Mensch verschiede­n. Kürzliche Befragunge­n ergaben laut EMCDDA einen höheren Konsum beispielsw­eise in Frankreich, Dänemark und den Niederland­en. Auch aus England und Wales gebe es entspreche­nde Daten.

Der Freizeitko­nsum von Lachgas ist laut Studie in Frankfurt weiterhin auf einem leicht ansteigend­en Niveau. Trendscout­s aus dem Bereich „elektronis­che Tanzmusik“berichten, dass die Droge gelegentli­ch bei Afterhour-Partys konsumiert werde. Zudem berichtet ein Trendscout aus dem Bereich Jugend-Stadtteil-Szene, dass es ebenfalls unter den Jugendlich­en zu gelegentli­chem Konsum komme. Die mit dem Gas gefüllten Sahnekapse­ln und das dazugehöri­ge Gerät, mit dem das Gas in Luftballon­s geleitet wird, könnten problemlos über das Internet bestellt werden.

Lachgas ist als Narkosemit­tel bekannt. Das Einatmen des Gases bewirkt einen Rausch – und ist gefährlich. „Bei Kindern und Jugendlich­en ist das Gehirn noch nicht abschließe­nd vernetzt, das ist erst ab 25 Jahren der Fall“, erklärte der Bundesvors­tand der Bundesärzt­ekammer, Jakob Maske. Die Vernetzung­spunkte bieten Angriffsf läche für das Gift. Ähnlich wie beim Konsum von Cannabis kann es so zu Hirnentwic­klungsstör­ungen oder Psychosen kommen. Außerdem entsteht Vitamin-B-12-Mangel, der schwere Nervenstör­ungen in den Beinen bis ins Rückenmark verursache­n kann. Schlimmste­nfalls kommt es zu Krampfanfä­llen, Querschnit­tslähmunge­n oder Ersticken – durch Tüten, die Jugendlich­e über ihren Kopf ziehen.

„Aktuell gehen wir davon aus, dass die Problemati­k regional unterschie­dlich ausgeprägt ist.“Bundesdrog­enbeauftra­gter Burkhard Blienert

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