Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Biberacher warten lange auf ihren Steuerbescheid
Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer sagt aber nicht alles, so das Finanzamt
- Laut einer Auswertung der Online-Steuerhilfe Lohnsteuer-kompakt.de müssen die badenwürttembergischen Einkommensteuerzahler mit am längsten auf ihre Steuerbescheide warten, und innerhalb des Landes zählt das Finanzamt Biberach demnach zu den langsameren. Das heißt gewiss nicht, dass die Finanzbeamten hier dickere Ärmelschoner anhätten als andernorts. Was Kennziffern wie die Bearbeitungszeit aussagen – und was eben nicht. Und warum die Biberacher Behörde trotzdem daran arbeitet, schneller zu werden.
Bis vergangene Woche hat Roland Eberhart das Finanzamt Biberach geleitet, bevor er am Montag in gleicher Funktion nach Ravensburg wechselte. Zahlen wie die von Lohnsteuer-kompakt.de „sind bei uns im Haus natürlich Thema. Ich sage nicht, dass überhaupt nichts dran ist. Aber nach der Auswertung der Oberfinanzdirektion haben wir sogar 110 Prozent erledigt – also richtig die Hufe geschwungen.“Woher die Diskrepanz?
Laut Lohnsteuer-kompakt.de mussten Steuerpf lichtige 2023 ganze 73,9 Tage warten, bis sie vom Finanzamt Biberach ihre Steuerrückerstattung bekamen. Damit liegt es auf Platz 65 von 78 in die Erhebung eingeflossenen Ämtern im Land. Bundesweit steht Biberach auf Platz 442 von 480. Die Außenstelle Riedlingen schneidet etwas besser ab mit durchschnittlich 64,3 Tagen von der Abgabe der Steuererklärung bis zum Bescheid: Das bedeutet Platz 45 landes- und 377 bundesweit. Zum Vergleich: In Bad Saulgau warteten die Bürger 42 Tage, beim schnellsten baden-württembergischen Finanzamt in Sinsheim 40,2 Tage. Bundesweit war Herne (Nordrhein-Westfalen) mit 29,8 Tagen das schnellste. Im Ländervergleich lag RheinlandPfalz vorne, Baden-Württemberg mit einem Mittelwert von 63,9 Tagen auf Platz 14. Der bundesweite Mittelwert betrug 56,9 Tage.
Roland Eberhart ordnet die Zahlen zusammen mit dem Leiter der Geschäftsstelle Biberach und Controller, Florian Engel, ein: So wertet Lohnsteuer-kompakt.de eigenen Angaben zufolge bundesweit gut 400.000 Steuererklärungen aus, die über seine Software elektronisch abgegeben wurden. Es fließen nur Finanzämter ein, bei denen mindestens 50 Erklärungen hierüber eingereicht wurden. Eine relativ schmale Datenbasis, wenn man bedenkt, dass allein in Baden-Württemberg jedes Jahr mehr als vier Millionen Einkommensteuererklärungen und bundesweit mehr als 46 Millionen abgegeben werden. Engel äußert überdies die Vermutung, dass das Klientel des kommerziellen Dienstleisters aus Berlin eher aus dem Massengeschäft stammt. Es gibt noch andere Anbieter, außerdem Elster.de, den Lohnsteuerhilfeverein mit einer Filiale in Biberach und natürlich niedergelassene
Steuerberater. Die Zahlen können also nicht den Anspruch erheben, uneingeschränkt repräsentativ zu sein.
Eberhart nennt denn auch abweichende Zahlen, die aus hausinternen Auswertungen sämtlicher in 2023 beim Finanzamt Biberach bearbeiteten Einkommensteuererklärungen stammen: Demnach hat das Finanzamt Biberach im Schnitt 59 Tage gebraucht – 15 Tage weniger als laut Lohnsteuerkompakt.de. Im Landesschnitt waren es 54 Tage, zehn Tage weniger.
Aber selbst nach diesen offiziellen Zahlen „liegt das Finanzamt Biberach, was die Durchlaufzeiten angeht, eher im hinteren Viertel. Die Auswertungen von Lohnsteuer-kompakt zeigen also schon in die richtige Richtung“, daraus macht Eberhart gar keinen Hehl. Allerdings sage die mittlere Bearbeitungsdauer nichts über den Fleiß aus. „Das kann ich der Belegschaft überhaupt nicht zum Vorwurf machen“, betont er und stellt sich vor die rund 200 Mitarbeiter (ohne Auszubildende), längst nicht alle davon in Vollzeit. Sie bekommen in Biberach und Riedlingen mehr als 80.000 Steuererklärungen auf den Tisch.
Eine wichtige Aussagekraft haben für ihn noch andere Kennziffern: „Jedes Amt entscheidet am Anfang des Jahres, wieviel Manpower es in die jüngste Steuererklärung steckt.“In einem solchen Ranking stehe ein Amt 2023 umso besser da, je mehr Erklärungen für den Veranlagungszeitraum 2022 abgearbeitet sind. „Wir hatten jedoch noch einen hohen Arbeitsvorrat“, darunter viele offene Steuererklärungen
fürs Jahr 2021. Die eher einfachen Steuererklärungen gehen in der Regel im ersten Halbjahr ein, erläutert Eberhart. Komplexere Steuerfälle, etwa von Gewerbetreibenden, Freiberuf lern oder Leuten mit Einnahmen aus Vermietung kommen tendenziell eher in der zweiten Jahreshälfte herein. Deshalb schwappe ein Teil davon ins neue Jahr. Wenn dann noch längere Krankheitsfälle, Beschäftigte in Elternzeit oder eine Bugwelle noch offener Fälle aus der Corona-Zeit hinzukämen, könnten Altfälle erst im Folgejahr erledigt werden.
„Wir haben 2023 den zum Jahresbeginn bestehenden Arbeitsvorrat deutlich abgebaut von 13.000 auf 8000“, relativiert Eberhart daher. „Wir haben also 2023 richtig was geschafft und insgesamt 110 Prozent erledigt.“Oder wie sein Kollege Engel es ausdrückt: „Aus unserer Sicht war der Umschlag mindestens genauso wichtig wie die Bearbeitungszeit.“In der Tabelle mit der Erledigungsquote von 110 Prozent, die nicht allein den Veranlagungszeitraum 2022, sondern auch 2021 betrachtet, „liegen wir landesweit auf Platz 6“, so Eberhart. Die Zahl der erledigten Einsprüche, die Altfallquote, die Erledigungsquote bei Personenund Kapitalgesellschaften – es gebe eben ganz verschiedene Zielwerte, die ein Finanzamt berücksichtigen müsse, sagen Eberhart und Engel.
Hinzu kommt die neue Grundsteuer. Das sagt auch Felix Bodeewes, der Geschäftsführer der Firma hinter Lohnsteuer-kompakt.de: Bundesweit sei fast überall die Bearbeitungszeit gestiegen, „der Grund ist die hohe Arbeitsbelastung in den Finanzämtern wegen der Grundsteuererklärung.“Nach den Worten von Eberhart ist das Finanzamt Biberach da aber recht weit, „weil wir da mehr Personal reingesteckt haben“(siehe Kasten).
Das alles soll aber nicht heißen, dass das Finanzamt Biberach nicht bestrebt wäre, auch bei den Durchlaufzeiten der Einkommensteuererklärungen wieder besser zu werden. „Wir haben das bereits vergangenes Jahr erkannt“, sagt Eberhart, „und Maßnahmen ergriffen, aber es hat sich noch nicht genügend ausgewirkt.“