Schwäbische Zeitung (Laupheim)
„Ein Wirklichkeit gewordener Albtraum“
Scharfe Kritik an Gaffern und Filmern während der Geiselnahme von Ulms OB Czisch
(seli) - Die Geiselnahme in der Ulmer Innenstadt am Freitagabend hat für viel Wirbel in der Region gesorgt – und Menschen verunsichert. Doch es gab auch unschöne Szenen abseits des Absperrbands. Immer wieder musste die Polizei Passanten ermahnen, vom betroffenen Ort fernzubleiben. Trotzdem wurden Absperrungen ignoriert, mit gezückten Smartphones wurde munter drauf los gefilmt. Ulms OB Gunter Czisch war am Freitagabend vor Ort. Er lobt die Arbeit der Einsatzkräfte – und findet deutliche Worte für die Schaulustigen.
Herr Czisch, Wie haben Sie von der Geiselnahme in der Ulmer Innenstadt erfahren?
Ich war zum Zeitpunkt der Geiselnahme zufällig am Münsterplatz unterwegs und habe mich über die hohe Polizeipräsenz gewundert. Die erste Meldung habe ich kurz darauf per SMS erhalten, ein übliches Vorgehen, wenn es einen schwerwiegenden Vorfall bei Polizei oder Feuerwehr gibt. Mein Eindruck war: Der Polizei ist es sehr, sehr schnell gelungen, hochprofessionell und überlegt die Lage zu beurteilen und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Das Lagezentrum war in kürzester Zeit einsatzbereit und voll besetzt.
Wie haben Sie die Stimmung vor Ort erlebt?
Die Anspannung vor Ort war mit Händen zu greifen, gleichzeitig aber auch die Professionalität im Umgang mit der Lage. Eine bewaffnete Geiselnahme mitten in der belebten Stadt an einem Freitagabend: Es gibt, glaube ich, nur wenig Einsatzszenarien, die noch kritischer sind.
Nicht alle Passanten verstanden den Ernst der Lage. Was löst so ein Verhalten in Ihnen aus?
Sehen zu müssen, dass Passanten nicht bereit waren, polizeilichen Weisungen zu folgen und das abgesperrte Gebiet zu meiden, dieses leichtsinnige Verhalten, das der Polizei den Einsatz auch unnötig erschwert, dafür habe ich allerdings keinerlei Verständnis. Wenn Polizeikräfte sagen, hier ist kein Durchkommen, weil ein Polizeieinsatz läuft, sollte das eigentlich ausreichen. Gaffer und Leute, die Fotos und Filme machen, das geht einfach nicht in einer solchen Situation und kann extrem gefährlich sein.
Warum gingen Sie zum Einsatz?
Als Oberbürgermeister und Chef der Ortspolizeibehörde wird man in solchen Lagen engmaschig informiert, meist direkt durch die Einsatzleitung oder einen Mitarbeiter vor Ort. Schnelle, flankierende Entscheidungen der Stadt müssen sichergestellt und die Kommunikation nach außen abgestimmt sein. Im Lagezentrum sind deshalb immer mindestens die Leitung der Bürgerdienste und der Feuerwehr in solchen besonderen Lagen präsent. Als OB war es mir am Freitag darüber hinaus wichtig, nach Beendigung des Einsatzes den Verantwortlichen für ihre professionelle Arbeit zu danken und ihnen den Rücken zu stärken.
Was macht so eine Tat mit der Stadtgesellschaft?
Solch eine Tat ist für die Betroffenen, ganz besonders für die Geiseln, eine als lebensbedrohlich empfundene Stresssituation, ein Wirklichkeit gewordener Albtraum. Ich hoffe und wünsche, dass die Betroffenen dieses traumatische Erlebnis bald überwinden können.
Aus Sicherheitskreisen ist zu erfahren, dass der mutmaßliche Täter gar kein Ulmer ist, das Ganze vielleicht gar nichts mit Ulm oder Ulmer Bürgern zu tun hat. Erleichtert so etwas oder macht es keinen Unterschied?
Den Sicherheitskräften und der Notfallseelsorge vor Ort wird von jetzt auf gleich eine hohe Professionalität abverlangt, die alle an Grenzen führt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich beim Täter um einen Ulmer handelt oder nicht. Die Erkenntnis, dass solche dramatischen Vorfälle immer und überall geschehen können, belastet das durch die multiplen Krisen ohnehin schon „angekratzte“Sicherheitsgefühl vieler zusätzlich. Nur die hervorragende Arbeit der Sicherheitskräfte, wie in diesem Fall, stärkt die Gewissheit, dass es zwar keine absolute Sicherheit und absoluten Schutz gibt, aber die Polizei und die Blaulichtorganisationen funktionieren, dass auf sie Verlass ist. Deshalb ist zu wünschen, dass genau die Menschen, die dafür einstehen, dass uns in der Not geholfen wird, dass diese Menschen höchste Wertschätzung und Rückhalt erfahren.
Was genau meinen Sie damit?
Bilder, bei denen Sicherheits- und Rettungskräfte angegriffen, beleidigt oder behindert werden, wie wir sie auch schon gesehen haben, solche Bilder finde ich unerträglich. Damit wird schleichend die Autorität des Staates und letztlich auch unsere persönliche Sicherheit infrage gestellt. Wenn wir uns das bewusst machen, dann kann vielleicht auch ein schrecklicher Vorfall wie diese Geiselnahme – gerade weil er so hochprofessionell gemeistert wurde – dazu beitragen, das Vertrauen in die Sicherheitskräfte zu stärken.