Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Weniger Kliniken, bessere Versorgung
Regionale Politiker machen Druck – Forderungskatalog an Gesundheitsminister Lauterbach
- Es kommt selten vor, dass regionale und überregionale Politiker beim umstrittenen Thema Krankenhausreform so geschlossen an einem Strang ziehen. Auf Einladung der Bundestagsabgeordneten Axel Müller (CDU) und Mechthilde Wittmann (CSU) haben sich drei Landräte, drei Bundestagsabgeordnete und sechs Bürgermeister getroffen und ein Beschlusspapier „Perspektiven der Krankenhausversorgung“unterzeichnet. Das Papier wurde an Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die Fraktionsvorsitzenden in den Landtagen von Baden-Württemberg und Bayern verschickt.
Im Kern geht es um die schnellstmögliche Umsetzung der von Lauterbach angekündigten Krankenhausreform. Zudem fordern die Unterzeichner „spürbare Liquiditätshilfen, um ein unkontrolliertes Sterben einzelner Häuser zu verhindern“. Neu ist, dass alle regionalen Entscheider moderne Krankenhaus-Neubauten unabhängig von Kreis- oder Ländergrenzen planen wollen – ein Punkt, der noch der Zustimmung der Landtage bedarf.
„Wir müssen die Krankenhauslandschaft völlig neu aufstellen“, sagt Müller im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, „die bestehenden Strukturen sind nicht mehr leistungsfähig, um die bestmögliche medizinische Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten.“Viele Kliniken in der Region melden seit Jahren erhebliche Verluste. Das aktuelle Defizit der Ravensburger Oberschwabenklinik liegt bei rund 30 Millionen Euro. Der Medizin Campus Bodensee schreibt ein Minus von rund 19 Millionen.
Laut Müller seinen rund 80 Prozent der Krankenhäuser defizitär. Weder die Landkreise noch der Bund könnten es sich leisten, die Kliniken weiter zu subventionieren. Rund 480 Milliarden Euro würden jährlich ins Gesundheitswesen f ließen, davon 80 Milliarden in Krankenhäuser – umgerechnet 5000 Euro pro Jahr und Kopf. Trotzdem musste die Rotkreuzklinik in Lindenberg kürzlich Insolvenz anmelden. Zuvor wurden Krankenhäuser in Bad Waldsee, Weingarten, Pfullendorf und anderen Städten geschlossen, weil die Kosten aus dem Ruder liefen.
Zu der strukturellen Geldthematik komme der alarmierende Fachkräftemangel. „Wir finden einfach keine Leute“, sagt der Bundestagsabgeordnete Volker Mayer-Lay aus Friedrichshafen dieser Zeitung. Die Lösung liegt laut der Unterzeichner des Forderungskatalogs in der schnellen Umsetzung von Lauterbachs Reform.
Sie sieht vor, dass Krankenhäuser nur noch 40 Prozent der Erlöse über DRG’s generieren und 60 Prozent über sogenannte Vorhaltekosten (Personal, medizinische Geräte etc.). Die Länder hatten die Krankenhausreform gestoppt, weil sie einen zu großen Einfluss des Bundes fürchten. Am 21. Februar tagt ein Vermittlungsausschuss zum geplanten Krankenhaustranzparenzgesetz.
Dazu teilt Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) auf Anfrage mit: „Die Eckpunkte, auf die sich Bund und Länder auf der Gesundheitsministerkonferenz in
Friedrichshafen länder- und parteiübergreifend einstimmig haben verständigen können, tragen klar die Handschrift Baden-Württembergs. Das Land wird sich in den anstehenden Beratungen mit der Bundesregierung und den Regierungsfraktionen, aber auch über den Bundesrat weiter alles dafür zum, um die bestmögliche Reform auf Gleis zu setzen.“
Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) teilt auf Anfrage mit: „Es ist gut, dass Landräte und Oberbürgermeister ihre Forderungen an den für die Betriebskostenfinanzierung zuständigen
Bund adressieren und im Interesse einer medizinisch wie wirtschaftlich leistungsfähigen Krankenhausversorgung den Druck auf Minister Lauterbach erhöhen. Wir haben dieselben Interessen: eine Lösung zum Wohle der Patienten. Der Ball liegt seit Monaten im Feld von Herrn Lauterbach. Es ist Zeit, dass er den Ländern einen aktualisierten Gesetzentwurf vorlegt, damit die Diskussion über die geplanten Reformschritte und -details weitergehen kann.“
Der „große Wurf“in Lauterbachs Reform liegt in der Abschaffung von Doppelstrukturen. Man müsse ein großes Zentrum in den Regionen stärken und die Grundversorgung drum herum über regionale Gesundheitszentren sicherstellen. „Die Menschen dürfen nicht das Gefühl haben, dass sich die Situation verschlechtert“, sagt Müller, „wenn man ihnen etwas wegnimmt, muss man ihnen auch etwas geben.“
Wie schwer das ist, zeigt das aktuelle Beispiel Bad Waldsee. Dort wurde seit der Klinikschließung im Jahr 2021 bis heute kein Ärztezentrum errichtet, was Müller erzürnt: „Hier hat sich der Landkreis aus der Verantwortung gestohlen!“Der Landkreis argumentiert mit der Rechtslage und der Zuständigkeit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV).
So oder so: Die Konzentration auf wenige Krankenhäuser ist für die Unterzeichner des Papiers alternativlos. „Es ist beispielsweise besser, mit einem Schlaganfall etwas länger in eine Spezialklinik gefahren zu werden als in ein Krankenhaus vor Ort, das nicht auf Schlaganfälle spezialisiert ist“, sagt Mayer-Lay. Laut Gesetzgeber müsse ein alarmierter Krankenwagen in von 30 bis 40 Minuten beim Patienten eintreffen – was in Baden-Württemberg und Bayern gewährleistet sei.