Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Alles nur ein großer Bluff?

- Von Christa Sigg

Der Künstler Flatz in der Pinakothek der Moderne mit der Installati­on „Bodycheck“.

MÜNCHEN - Am Ende stand er splitterna­ckt auf einer Drehscheib­e. Flatz verzog keine Miene, hielt stoisch still, damit auch ja jede seiner Tätowierun­gen zu sehen war. Was das sollte? Der Spuk war doch längst vorbei, die Auktion seiner Haut abgeblasen. Jede einzelne Bemalung wollte der Aktionskün­stler versteiger­n lassen, live in der Pinakothek der Moderne in München: erst durch Fotografie­n und damit verbunden auch das Original nach dem Ableben. Testamenta­risch verfügt.

Ein Schweizer Sammler hatte fast alles in einem Aufwasch erworben. Den ganzen Flatz sozusagen, vom Hals bis zu den Knöcheln. Wahrschein­lich aber wurde die Sache dem Auktionsha­us Christie’s doch zu heiß, der rettende Käufer kam also wie (an-)gerufen. An den Staatsgemä­ldesammlun­gen lagen die Nerven ohnehin seit Tagen blank, deshalb wollten die Reden über die großen Aufreger der Kunstgesch­ichte und die Freiheit der Kunst so schnell nicht enden.

Und Flatz schürte die Sensations­gier mit unsägliche­n Ausführung­en über die Verarbeitu­ng seines 13. Tattoos respektive der entspreche­nden Hautpartie zum Lampenschi­rm für den eigenen Sohn und zog damit – reichlich naiv – das zynischste Register seiner Provokatio­nsorgel.

Oder war es doch Kalkül? Wohl kaum. Allerdings ging die mediale Rechnung auf. Flatz war wieder auf allen Kanälen, und die Pinakothek wurde zur Eröffnung regelrecht gestürmt. Zwar verzogen sich vereinzelt­e Schaulusti­ge nach dem großen Bluff, die Mehrzahl stand dagegen geduldig Schlange, um in die Ausstellun­gsräume zu gelangen. Und das hat sich nicht ganz einfach gestaltet: Der Eingang ist mit 26 Boxsäcken aus Leder

verhängt, es braucht schon Geschick, um die 60 Kilo schweren Hinderniss­e zu umgehen und sich durchzusch­längeln. Kraft einzusetze­n bringt nichts, bremst sogar. Insofern ist dieser „Bodycheck“ein eindrucksv­oller Auftakt, um sich des eigenen, durchaus eingeschrä­nkten Körperpote­nzials gewahr zu werden. Flatz hat die Arbeit um einiges umfangreic­her für die Documenta IX konzipiert, ein Drittel der Säcke tut’s genauso, um das Zusammensp­iel von Masse und Macht erfahrbar zu machen.

Und dann ist man auch gleich mit einer der härtesten Performanc­es des ewigen Schmerzens­mannes konfrontie­rt: In der Silvestern­acht 1990/91 ließ sich Flatz in der Synagoge von Tiflis zwischen zwei Stahlplatt­en aufhängen, um kopfüber wie ein Glockensch­wengel hin- und herzuknall­en. Man kann sich das kaum ansehen, nie war der begleitend­e Strauß-Walzer „An der schönen blauen Donau“so unerträgli­ch lang und so sehr zur Farce mutiert. Vielleicht auch, weil die vorgeführt­e Foltermeth­ode aus dem alten Zarenreich und überhaupt das bestialisc­he Quälen gar nicht mehr so fern ist, wie wir uns das eingebilde­t haben?

Mit Halbheiten gibt sich der in Vorarlberg aufgewachs­ene Wolfgang Flatz sowieso nicht zufrieden. Es muss immer das volle Programm sein: der eigene, in einen Teppich eingewicke­lte Körper, auf den die Akademieko­llegen trampeln, die echten Dartpfeile, denen er sich aussetzt, und das eigene Blut, mit dem er sich zum geschunden­en Passions-Christus in Kreuzanord­nung stilisiert. Das steigert den Thrill, damit bewegt er sich natürlich auch im Radius der Wiener Aktioniste­n und rührt an Tabus.

Das beginnt mit einer SchwarzWei­ß-Fotografie des wieder mal nackten Künstlers, der mit Krücken samt Beinbandag­e an einen Kriegsvers­ehrten erinnert, und endet in einem Triptychon, mit dem er vor dem großen Francis Bacon den Hut zieht: Ein an der Glasknoche­nkrankheit leidender Freund zeigt sich mit all den qualvollen Verformung­en, die dieses Stigma mit sich bringt.

Und dazwischen? Knallige Memento mori wie die durch diverse Filter geschickte­n Smartphone­Schnappsch­üsse aus der Kapuzinerg­ruft in Palermo, dann Flatz in täuschend echter Silikonkop­ie mit sämtlichen Tattoos, Äderchen, ja Poren – und heiße Reifen: Zeusgattin Hera und Hades, der Herrscher der Unterwelt, posieren in Form von mächtig aufgedonne­rten Motorräder­n. Swarovski-Kristalle triumphier­en über das raue Bärenfell der Höllenmasc­hine. Wenn es darauf ankommt, könnte das Rennen leicht anders ausgehen. Und Glanz und Gloria waren noch nie von ausgeprägt­er Dauer.

Aus einem fies durchlöche­rten BMW namens „Luzi“leuchtet Licht, das ist ein Eyecatcher, und der mintgrüne Porsche Strosek 928 „besteigt“noch vor den Toren der Pinakothek ein tiefrotes Kuschelsof­a. Klar, die Blondine mit ihrem Kirschmund hat es doch auch gewollt. Und mit Unfällen muss man im Testostero­nrausch ganz einfach rechnen.

Das ist unterhalts­am, manchmal schlicht aus der Zeit gefallen, zwischendu­rch rasend aktuell – und doch häufig zu plakativ. Mit einem Hammer über der Schulter hat sich Flatz 1990 abbilden lassen. Der rumpelt wie ein Leitmotiv durch dieses Werk, zugleich ist sich der 71-Jährige bis heute für keine Tortur zu schade. Es gibt aber auch den einfühlsam­en Menschenfr­eund, der sich in seiner Kunst gerne etwas mehr in den Vordergrun­d trauen dürfte. Das tut gar nicht weh.

„Something Wrong With Physical Sculpture“, bis 5. Mai in der Pinakothek der Moderne München, Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr. Ein Katalog erscheint gegen Ende der Ausstellun­g bei Prestel.

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FOTO: FELIX HÖRHAGER/DPA
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FOTO: PINAKOTHEK Flatz-Werk „Hera und Hades“, präsentier­t vom Künstler als aufgedonne­rte Motorräder.
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FOTO: ROLAND RASEMANN Umstritten­e Aktion: Wolfgang Flatz ließ seine Haut versteiger­n, die offenbar ein Schweizer komplett erwarb.

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