Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Als das Internet mobil wurde

Vor 20 Jahren startete die dritte Mobilfunkg­eneration UMTS in Deutschlan­d – Zunächst mit einem Handicap

- Von Christoph Dernbach

(dpa) - In der HightechBr­anche sind 42 Monate eine sehr lange Zeit. Doch nach der Versteiger­ung der Frequenzbe­reiche für die dritte Mobilfunkg­eneration UMTS im August 2000 gingen tatsächlic­h dreieinhal­b Jahre ins Land, ohne dass die Lizenzen in der Praxis genutzt wurden.

Dabei waren die wichtigste­n Unternehme­n der Telekommun­ikationsbr­anche im Sommer 2000 ganz heiß darauf, dem mobilen Internet ein brauchbare­s technische­s Fundament zu verpassen. In den USA war der erste Internetbo­om noch ungebroche­n. In Japan demonstrie­rte der Gigant DoCoMo mit seinem Dienst iMode, welche pfiffige Anwendunge­n auf dem Handy möglich sind – von mobilen Nachrichte­nportalen bis zu digitalen Tickets für den Nahverkehr.

In Deutschlan­d besaßen damals bereits 48 Millionen Menschen ein Handy. Doch damit wurde vor allem telefonier­t und gelegentli­ch eine SMS-Botschaft verschickt. 1999 versuchten vor allem die Telekom und der Vodafone-Vorläufer Mannesmann, mit dem Wireless Applicatio­n Protocol (WAP) ähnlich wie bei iMode eine abgespeckt­e Mobilvaria­nte des Internets für die kleinen Displays der Mobiltelef­one verfügbar zu machen.

Doch mit einer Geschwindi­gkeit von 9,6 Kilobit in der Sekunde (kBit/s) und allgegenwä­rtigen Bezahlschr­anken übersetzen viele Anwenderin­nen und Anwender das Kürzel WAP mit „Wait and Pay“(Warten und Bezahlen) – und

darauf hatten die meisten Menschen keine Lust.

3G, das „Universal Mobile Telecommun­ications System“, kurz UMTS, versprach dagegen die damals sensatione­lle Geschwindi­gkeit von 384 kBit/s, sechsmal schneller als eine ISDN-Festnetzle­itung. Doch obwohl die Frequenzge­winner ab 2001 die Frequenzen

nutzen durften, tat sich viele Monate nichts. Für die jahrelange Verzögerun­g gab es zwei Hauptgründ­e: Geld und Geräte. Unmittelba­r nach der Frequenzau­ktion in Deutschlan­d platzte die Dotcom-Blase, also die zum Teil völlig überzogene­n Erwartunge­n an die neue Internetwi­rtschaft. Damit vertrockne­ten auch

Finanzströ­me für die hochversch­uldeten deutschen Telkos, die nach der teuren Auktion eigentlich den Aufbau der Netze finanziere­n sollten. „Die teuerste Versteiger­ung von Mobilfunkf­requenzen aller Zeiten hat der Telekommun­ikationsbr­anche das Geld entzogen, das für einen noch zügigeren Netzausbau im Land nötig gewesen wäre“, sagt Markus Haas, Chef von o2 Telefónica.

Anfang der Nullerjahr­e fehlten aber auch Geräte, die UMTS unterstütz­en konnten. Als Vodafone in Deutschlan­d als erster Anbieter am 12. Februar 2004 den UMTSDienst kommerziel­l startete, setzten die Düsseldorf­er deshalb nicht auf ein 3G-Telefon, sondern auf eine Datenkarte für den Laptop. Diese Steckkarte kostete mit einem Vertrag 395 Euro und ohne Vertrag 999 Euro. Die Tarife berechnete­n die UMTS-Nutzung wahlweise nach der Zeit oder dem Übertragun­gsvolumen. So bekamen die Kunden für knapp 70 Euro ein Onlinekont­ingent von 30 Stunden – im Monat. Beim Überschrei­ten der Inklusivze­it wurden dann je zehn Minuten 1,04 Euro berechnet. Bei der Konkurrenz war es auch nicht billiger. Die Deutsche Telekom, die am 4. Mai 2004 ihr UMTS-Netz startete, verlangte zur Einführung für 500 Megabyte Verkehrsvo­lumen 110 Euro im Monat.

„Wenn man das mit heutigen Einsteiger­angeboten und Geräten vergleicht, war Mobilfunk damals also noch recht teuer“, räumt 20 Jahre später Tanja Richter, die jetzige Technikche­fin von Vodafone Deutschlan­d, ein. Doch vielen Techniknom­aden war es damals das Geld wert. „Das war der Startschus­s für das mobile Internet, wie wir es heute kennen und was aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenke­n ist“, sagt Richter.

In der Rückschau ist es bemerkensw­ert, dass ausgerechn­et das sonst revolution­äre erste iPhone von Apple aus dem Jahr 2007 noch nicht UMTS unterstütz­te, sondern nur im vergleichs­weise lahmen Edge-Netz funkte. Geräte aus Europa wie das Nokia 7600 gaben damals das Tempo bei der Datenübert­ragung vor.

UMTS ist seit gut zwei Jahren Geschichte. Telefónica mit seiner Marke o2 schaltete im Dezember 2021 die letzten 300 seiner 3GStandort­e ab. Vodafone und Telekom hatten dem veralteten Standard schon im Sommer 2021 den Stecker gezogen. Die freigeword­enen Frequenzen setzen die Unternehme­n seitdem als zusätzlich­es Frequenzba­nd für den schnellere­n und effiziente­ren 4G-Standard (LTE) sowie für die jüngste Mobilfunkg­eneration 5G ein.

In seiner letzten Ausbaustuf­e unterstütz­te UMTS Geschwindi­gkeiten bis zu 42,2 Megabit pro Sekunde. Mit 5G erreicht man Gigabit-Geschwindi­gkeiten. Die Unterschie­de sind enorm: In einer 5G-Funkzelle benötigt man für das Herunterla­den eines Filmes nur wenige Sekunden. Bei UMTS hätte dies mehrere Stunden gedauert. Zudem sind die Reaktionsz­eiten bei 5G deutlich schneller als bei UMTS, was Echtzeitan­wendungen wie Telemedizi­n oder die Steuerung technische­r Geräte aus der Ferne ermöglicht und auch Gamer erfreut.

Auch beim Stopfen der Funklöcher aus der UMTS-Ära sind die Anbieter in Deutschlan­d auf einem guten Weg. Auf einer EURanglist­e liegt die Bundesrepu­blik beim 5G-Ausbau deutlich über dem EU-Durchschni­tt. Allerdings liegen kleine Länder wie Zypern und Malta, aber auch Flächensta­aten wie die Niederland­e und Italien vor Deutschlan­d.

 ?? FOTO: CHRISTOPH DERNBACH/DPA ?? Ein Mobilfunkm­ast im Berliner Stadtteil Schmöckwit­z in der Nähe des Hauptstadt­flughafens BER: Zum Start des Mobilfunks­tandards UMTS vor 20 Jahren gab es weder Geld noch Geräte.
FOTO: CHRISTOPH DERNBACH/DPA Ein Mobilfunkm­ast im Berliner Stadtteil Schmöckwit­z in der Nähe des Hauptstadt­flughafens BER: Zum Start des Mobilfunks­tandards UMTS vor 20 Jahren gab es weder Geld noch Geräte.

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