Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Von der Schönheit des Verfalls und verlassenen Anwesen
Benjamin Seyfang ist Lost-Places-Fotograf – Dabei hat er schon sehr viele geheimnisvolle Orte entdeckt
- Mitten im Wald steht ein alter VW-Käfer umgeben von Bäumen und hohen Brennnesseln. Rost hat das Auto schon angefressen, die Motorhaube und das Dach sind mit einer dicken Moosschicht bewachsen, Zweige, braune Blätter und kleine Pflanzen sammeln sich dort, wo einst der Motor war. Dieses Bild ist auf dem ersten Fotoband „Lost Places Baden-Württemberg“von Benjamin Seyfang zu sehen. Jüngst hat er in einem Vortrag der Volkshochschule (VHS) Laichingen-Blaubeuren-Schelklingen und der Buchhandlung Bücherpunkt Blaubeuren im Blaubeurer Alten Postamt einen Vortrag über Lost-Places-Fotografie gehalten.
Wenn man Benjamin Seyfang von seinen Fotos und den Abenteuern erzählen hört, bekommt man richtig Lust, ihn einmal bei seinen abenteuerlichen Touren zu begleiten. Nicht verwunderlich ist es deshalb, dass der Vortragssaal im Alten Postamt gerammelt voll ist und es viele begeisterte und erstaunte „Oh’s“aus dem Publikum gibt.
Der mittlerweile 35-Jährige entdeckte seine Leidenschaft für Lost Places (verlassene Orte) durch Graff iti. Nach seinem Zivildienst war er noch in der Jugendarbeit tätig und hat dabei mit Jugendlichen Häuser verschönert, die ohnehin abgerissen werden sollten. „Flächen zu finden, wo man das legal darf, ist sehr schwierig. Natürlich sind wir dann in die Gebäude hineingegangen und haben uns umgesehen. Es ist wirklich erstaunlich, was man dort alles findet“, erzählt
Seyfang. Durch die Fotografie von Graffitis sei er öfter an verlassene Orte gekommen. „Die Fotografie wurde dann für mich interessanter als die Graffitis.“Er hat sich die kindliche Neugier erhalten und geht mit offenen Augen durch die Welt, sagt er.
„Seit 2012 bin ich in dem Bereich, inklusive neuer Kamera, sehr aktiv. Es macht einfach Spaß, man erlebt etwas und hat eine Menge zum Staunen“, schwärmt der Fotograf. Unterwegs ist er mit seiner Nikon, einem Objektiv mit einer Brennweite von 14 bis 25 Millimeter sowie einem mit einer Brennweite mit 24 bis 70 Millimeter, seiner Drohne und einem Stativ.
„Mittlerweile gehören aber Kletterausrüstung, ein Neoprenanzug und Ähnliches zu meiner Ausrüstung.“
Zu den Merkmalen der besonderen Orte erklärt er: „Sie sind eindeutig unbewohnt, es sind Spinnweben zu sehen, die Gebäude oder Orte machen einen verwilderten Eindruck und die Vegetation hat sich schon wieder viel zurückgeholt.“Vergessene Orte gebe es überall: Das können alte Fabriken, Kraftwerke, Wohnhäuser, Autos oder Schiffe, Hotels, Kinos, Freizeitparks, Bäder, Kasernen, Depots und Bunker sein. „Es gibt so viel zu entdecken“, sagt Seyfang. Manchmal besucht der
35-Jährige Lost Places mehrmals. „Es kommt vor, dass das Timing nicht passt. Im Winter kann man beispielsweise keine Orte im Untergrund wegen der Fledermausschutzzeit besuchen. Aber ich besuche Orte ohnehin gerne wieder, weil sie je nach Jahres- oder Tageszeit vollkommen anders aussehen.“
Trotz der Faszination und den beeindruckenden Orten, die man dabei entdeckt, gibt es dennoch einiges zur Sicherheit und aus rechtlicher Sicht zu beachten. „Wenn man ein solches Gebäude betritt, begeht man Hausfriedensbruch. Ich zitiere da gerne aus dem Kinderbuch ,Die kleine
Hexe' von Ottfried Preußler: ,Verboten ist vieles – man darf sich nur nicht erwischen lassen’.“Dennoch sollte man mit den Orten, Gebäuden und Gegenständen, die man dabei findet, vorsichtig umgehen. „Da gilt die Regel: Nimm nichts mit, außer deinen Bildern. Lass nichts da, außer deinen Fußspuren. Man soll nichts zerstören, damit andere nach einem ebenfalls noch die Schönheit des Lost Places genießen können.“Außerdem sollte man sich aus Sicherheitsgründen nicht alleine auf Entdeckungstour begeben. „Im Notfall kann noch jemand Hilfe rufen.“
Benjamin Seyfang hat sich schon durch einige enge Löcher, Gitter und an Rohren vorbei gezwängt, erzählt er. Insgesamt hat er schon in 24 Länder auf vier Kontinenten Lost Places besucht und fotografiert. Nicht immer funktioniert es, einen Weg in ein Bauwerk zu finden. „Manchmal zählt einfach die Aktion und dass man etwas zu erzählen hat“, sagt Seyfang.
Von einigen seiner Abenteuer berichtet er den Zuhörern in seinem Vortrag. So hat er in Nordmazedonien eine Kirche im Wasser entdeckt, in die er sogar für Bilder hineingeschwommen ist. „Wer kann schon sagen, dass er in eine Kirche geschwommen ist?“, sagt er und lacht. In einer aufgegebenen Mine in Nordwales, der „Cavern of the Lost Souls“, ist ihm etwa sein kleines Boot auf einem unterirdischen See davongetrieben. „Wichtig ist da natürlich, dass man ruhig bleibt. Ich habe dann überlegt, was ich mache und versucht, mein Boot mit Steinen, die ich hinter das Boot warf, und den daraus entstehenden Wellen wieder an Land zu bekommen. Das war einfach Physik und es hat tatsächlich funktioniert.“
Skurrile und teilweise gruselige Lost Places hat der 35-Jährige ebenfalls schon besucht: „Einmal war ich in einer ehemaligen Tierarztschule und der Keller war komplett voll mit Tierpräparaten. Die waren teilweise noch sehr gut erhalten, weil sie in Alkohol eingelegt waren. Wie ich dann erfahren habe, wurde der Raum eine Woche später leer geräumt.“
Natürlich gibt es Orte, die man ganz legal gegen Bezahlung in Führungen besuchen kann. Dazu gehört unter anderem das Schlosshotel Waldlust bei Freudenberg oder die Papierfabrik in Oberlenningen. „Aber ich habe auch schon mit Besitzern von anderen Lost Places gesprochen und bekam grünes Licht, dass ich das Gebäude betreten darf.“
Das Finden solcher Lost Places ist wiederum mit viel RechercheArbeit verbunden. Es gibt zwar Lost-Places-Communitys im Netz, aber ganz konkrete Standorte oder Wegbeschreibungen bekommt man hier eher selten. Dennoch hat Seyfang für Interessierte einige Tipps: So könne man beispielsweise über Suchmaschinen und Online-Karten, Zeitungsartikel, historische Bücher, Archive oder Social Media verlassene Orte finden. Anregungen finden sich trotzdem in den Interessengruppen im Netz zu verlorenen Orten. Eine ebenso gute Möglichkeit sei Geocaching, eine GPSSchnitzeljagd. Die versteckten Dosen finden sich auch immer wieder bei oder in Lost Places.