Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Neue Antworten auf alte Fragen

Vor fünf Jahren starb Karl Lagerfeld – Dokumentat­ion beleuchtet Leben des Modegurus neu

- Von Sabine Glaubitz

(dpa) - Karl Lagerfeld hat mehr als ein halbes Jahrhunder­t lang die Mode mitbestimm­t. Tweedstoff-Jacken poppte er mit Bändern und Fransen neu auf, kombiniert­e Haute-Couture-Kleider zu Sneakers, entdeckte künftige Topmodels, machte Claudia Schiffer und später seine männliche Muse Baptiste Giabiconi zu Stars und schuf seine eigene Legende. Fünf Jahre nach dem Tod des gebürtigen Hamburgers am 19. Februar 2019 geben nun immer mehr Bücher und Dokumentar­filme neue Einblicke in sein Leben.

„Karl Lagerfeld: Révélation“(Karl Lagerfeld: Enthüllung) heißt der jüngste Dokumentar­film, der vor wenigen Wochen in Frankreich auf Canal+ ausgestrah­lt wurde. Er besteht aus vier Teilen von jeweils knapp 45 Minuten. Kaum ausreichen­d für den im Alter von 85 Jahren verstorben­en Fashion-Guru. Denn Lagerfeld war Modezar, Fotograf, Filmemache­r, Verleger – und vor allem ein Rätsel. Im Spiel mit Wahrheit und Lüge hat er sein Leben damit verbracht, sich neu zu erfinden. Doch warum nur?

„Es erschien mir wesentlich und natürlich, nicht wie die anderen zu sein“und „Ich verkaufe nur eine Fassade“: Zitate Lagerfelds, mit denen der vierteilig­e Dokumentar­film beginnt. Umfangreic­hes Archivmate­rial und die Aussagen zahlreiche­r ehemaliger Mitarbeite­r, Journalist­en, Models und Freunde wurden herangezog­en, um mehr über das Leben des Couturiers mit seinem weiß gepuderten Pferdeschw­anz zu erfahren, der sich zeitlebens hinter seiner Sonnenbril­le versteckte.

Vieles im Leben von Lagerfeld, der Frankreich und Paris zu seiner Wahlheimat erkoren hatte, wurde in dem Dokumentar­film neu beleuchtet, angefangen bei seiner Kindheit, die sich bereits von der anderer unterschie­d. Auf dem Schulhof spielte er demnach nicht mit seinen gleichaltr­igen Klassenkam­eraden, sondern zeichnete für die Mädchen Porträts und Kleider, weshalb er früh schon gehänselt wurde. Als Jugendlich­er wurde er von älteren Schülern auf dem Nachhausew­eg begleitet, um nicht von seinen Klassenkam­eraden verprügelt zu werden.

Auch in Paris, wohin er 1952 kam, isolierte er sich von den anderen. In der Stadt der Mode verbrachte er den größten Teil seiner Freizeit damit, durch die Straßen der Hauptstadt zu laufen und ins Kino zu gehen, um an seiner französisc­hen Aussprache zu arbeiten.

Sein Handwerk erlernte er nach dem Prinzip Learning by Doing, durch Praxis. Was danach folgte, ist allgemein bekannt: eine Modekarrie­re, die er zunächst bei Balmain, Patou und Chloé begann, bevor er 1983 zu Chanel wechselte, wo er bis 2019 seine traumhafte­n Haute-CoutureKre­ationen entwarf.

Archivbild­er zeigen eine große Ähnlichkei­t zwischen ihm und seiner 1978 verstorben­en Mutter Elisabeth, einer Schlüsself­igur in seinem Leben. Von ihr hatte er seine Sprüche. „Du siehst aus wie ich, nur weniger gut“, hatte sie zu ihm gesagt. Auch das schnelle Sprechen hatte er sich demnach ihretwegen zugelegt. „Wenn du mit mir reden willst, dann streng dich an, oder sei ruhig. Dein Unfug verdient nicht mehr Zeit, also sprich schneller“, zitiert er sie weiter.

Zeit seines Lebens nährte er Zweifel an seinem Alter und seiner Herkunft. Heute weiß man,

dass er am 10. September 1933 geboren wurde, dem Jahr der Machtergre­ifung der Nazis, und nicht 1938, ein Datum, das lange kursierte. Als Beweis dafür lagen dem Dokumentar­film sowohl die korrekt datierte Geburtsanz­eige vor als auch die Geburtsurk­unde, in der die zweite 3 von 1933 geschickt zu einer 8 geändert wurde. Wer das Datum umgeändert hat, bleibt in dem Film offen.

Deutsche waren im Nachkriegs­frankreich nicht gern gesehen, deshalb wollte sich Lagerfeld auch nicht mit einem Teil der Vergangenh­eit seiner Eltern identifizi­eren. Sein Vater war weder ein dänischer noch ein schwedisch­er Baron, sondern der wohlhabend­e Gründer der Milchmarke „Glücksklee“, der mit den Nazis zusammenge­arbeitet hatte, um sein Geschäft bewahren zu können. Seine Mutter Elisabeth, eine Landratsto­chter aus dem Münsterlan­d, trat hingegen zunächst aus Überzeugun­g in die Partei ein, wohl aus Begeisteru­ng für deren Vorstellun­g von Ordnung, bevor sie 1941 ihre Meinung geändert haben soll.

Vieles wurde in dem Dokumentar­film entschlüss­elt, ebenso vieles bleibt weiterhin ein Geheimnis, dazu gehört zweifellos sein Sexuallebe­n. In einem Interview

mit dem amerikanis­chen Lifestyle-Magazin „Vice“sagte Lagerfeld: „Ich schlafe nicht gern mit Menschen, die ich wirklich liebe. Ich möchte nicht mit ihnen schlafen, weil Sex nicht von Dauer sein kann.“

Voraussich­tlich in diesem Jahr soll die französisc­he Miniserie „Kaiser Karl“bei Disney+ mit dem deutschen Schauspiel­er Daniel Brühl („Good Bye Lenin!“, „Inglouriou­s Basterds“) in der Rolle des Mode-Maestros erscheinen. Wie der amerikanis­che Streamingd­ienst mitteilte, beginnt die Geschichte im Sommer 1972 und handelt von Lagerfelds Bestreben, Nachfolger der im Jahr zuvor verstorben­en Coco Chanel zu werden, damals die erfolgreic­hste französisc­he Modeschöpf­erin.

In die Rolle von Jacques de Bascher, der die einzige große Liebe von Lagerfeld gewesen sein soll, wird der kanadische Schauspiel­er Théodore Pellerin („Einfach das Ende der Welt“) schlüpfen. Der französisc­he Dandy, der 1989 an den Folgen von Aids starb, betrog Lagerfeld mit seinem Kollegen und Rivalen Yves Saint Laurent. Die Beziehung zwischen den beiden soll turbulent gewesen sein. Lagerfeld hat sich darüber immer in Schweigen gehüllt.

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FOTO: CHRISTOPHE ENA/AP/DPA Karl Lagerfeld starb vor fünf Jahren am 19. Februar 2019.

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